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«Die Medical Device Regulation dient der Patientensicherheit»

Der US-amerikanische Konzern Johnson & Johnson setzt seit vielen Jahren in den Geschäftsbereichen Konsumgüter, Pharmazie und Medizintechnik auf globale Standards. Gerry Collins vertritt den Konzern im GS1 Healthcare Leadership Team. Wir konnten ihn zur Bedeutung der Medical Device Regulation (MDR) befragen.

GS1 network: Seit zwei Jahren sind Sie Mitglied des GS1 Healthcare Leadership Teams. Welche Aufgaben hat dieses und welche Erfahrungen machen Sie im Team?
Gerry Collins: Das GS1 Healthcare Leadership Team ist ein globaler Zusammenschluss von Experten für die Standardisierung im Gesundheitswesen und besteht aus Vertretern der Industrie, Pharma- und Medizinproduktehersteller, Grosshändler, Logistikdienstleister, Lösungsanbieter und Gesundheitsdienstleister sowie der GS1 Mitgliedorganisationen. Der Hauptzweck des Leadership Teams besteht darin, die Healthcare Strategie von GS1 zu entwickeln. Dazu gehören auch Massnahmen, die zur Erhöhung der Patientensicherheit beitragen.

Aufgrund der Zusammensetzung hat das Leadership Team guten Kontakt zu den führenden Unternehmen aus der Gesundheitsbranche; fördert den Einsatz der für die Prozessoptimierung benötigten Standards und hilft bei Bedarf an der Weiterentwicklung. Wir arbeiten auch sehr eng mit dem GS1 Clinical Advisory Committee zusammen. Der Beirat unterstützt das Gesundheitswesen bei der Einführung der GS1 Standards.

Das Engagement aller Teammitglieder, die GS1 Vision zu verwirklichen und gemeinsam Einigungen, Lösungen oder Kompromisse zu erreichen, ist sehr hoch und motivierend. Alle sind engagiert und überzeugt, dass die GS1 Standards die Patientensicherheit erhöhen. Meine Erfahrungen als Mitglied dieses Teams sind durchwegs positiv und hilfreich. Dennoch bleibt die Umsetzung und Verwirklichung globaler Standards im Gesundheitswesen eine Herausforderung.

Inwieweit haben sich die GS1 Standards während der Covid-19-Krise bewährt? Konnten Lieferengpässe dank dem GS1 System und den digitalen Bausteinen vermieden werden?
Während der Covid-19-Krise hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, die Produktechtheit zu garantieren. Aufgrund der Pandemie ist die Nachfrage für medizinisches Material sprunghaft gestiegen. Das hat aber auch dazu geführt, dass nicht konforme oder gefälschte Produkte in die Vertriebskanäle und somit auf den Markt gelangten.

Durch die Verwendung der GS1 Standards ist es möglich, gefälschte Produkte schnell zu erkennen und sicherzustellen, dass sie nicht den Patienten erreichen. Wir arbeiten auch sehr intensiv mit Behörden zusammen, damit keine gefälschten Produkte grenzüberschreitend vertrieben werden können.

Welche Auswirkungen hat die Medical Device Regulation bei Johnson & Johnson?
Wir sehen ganz klar den Mehrwert der Medical Device Regulation für die Hersteller. Mit der Serialisierung von Arzneimitteln haben wir ja bereits unsere Erfahrungen gemacht. Die Erkenntnisse daraus ermöglichen uns, nun auch die hohen Serialisierungs- und Rückverfolgbarkeitsanforderungen der MDR zu erfüllen.

Die Anforderungen gehen aber über eine blosse Serialisierung und Rückverfolgbarkeit hinaus. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Umsetzung einer so weitreichenden Gesetzgebung alle Beteiligten bezüglich Komplexität und Kosten vor eine grosse Herausforderung stellt. Schlussendlich dient sie aber – und das ist mir wichtig – der Verbesserung der Patientensicherheit.

Welches waren die Hindernisse bei der Umsetzung der Medical Device Regulation?
Wir konnten zwar dank der frühen Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, dem Handelsverband für die Medizintechnikbranche, den Konformitätsbewertungsstellen und anderen Branchenorganisationen ein tieferes und detailliertes Verständnis der Anforderungen gewinnen, trotzdem bezeichnen wir die verzögerte Verfügbarkeit der EU-Vorgaben als Hindernis bei der Erfüllung der Medical Device Regulation. Das wirkt sich natürlich auch auf unsere Umsetzungspläne aus.

Zudem führt die Ausbreitung von Covid- 19 zu Reiseeinschränkungen und stellt uns bezüglich der Zertifizierung unserer Qualitätsmanagementsysteme vor zusätzliche Herausforderungen. Hinzu kommt, dass die ohnehin zu wenig zahlreichen Konformitätsbewertungsstellen ihre Pflicht zur Marktüberwachung nicht mehr ausüben und somit auch keine Zertifizierungen ausstellen können.

Die Auswirkungen der Umsetzungsmassnahmen sind bei Johnson & Johnson enorm, denn sie betreffen nicht nur den Geschäftsbereich Medizinprodukte, sondern auch unsere Verbraucherprodukte- und Pharmasektoren.

Wie wird sich die Stammdatenpflege (Stammdatenmanagement) durch die Medical Device Regulation verändern?
Wie bei allen Vorschriften für Medizinprodukte handeln wir bei Johnson & Johnson möglichst vorausschauend, um gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden. So konzentrieren sich auch unsere Stammdatenmanagement-Teams auf qualitativ hochwertige Produktdaten, denn wir sind uns bewusst, dass sich die Krankenhäuser ebenso wie die Patienten auf unsere Produktdaten verlassen.

Stammdaten sind das A und O, denn sie sind ein wesentlicher Bestandteil aller Geschäftsprozesse. Das reicht von der Beschaffung bis hin zur Bezahlung und Nutzung der Produkte. Ändern sich aber die Regulierungsanforderungen bezüglich der verlangten Daten oder werden zusätzliche Daten angefordert, so hat dies nicht nur Auswirkungen auf die Erstellung neuer Produktdaten, sondern auch auf den fortlaufenden Unterhalt der Produktdaten.

Welche Vorteile bringt die Unique Device Identification (UDI) für Unternehmen der Medizinbranche?
Die Einhaltung der Unique Device Identification verhindert, dass gefälschte Produkte auf den Markt gelangen. Die eindeutige Kennzeichnung macht jedes einzelne Implantat rückverfolgbar und kann bist auf Patientenebene zugeordnet werden. Die UDI dient der Patientensicherheit.

Johnson & Johnson beschäftigt in der Schweiz mehrere tausend Mitarbeitende. Inwieweit ist unser Land ein strategischer Produktionsort für das Unternehmen?
Produktdesign und Herstellung sind sehr eng miteinander verknüpft. Die Schweiz verfügt über eine sehr lange Geschichte in Sachen Forschung und Innovation, gepaart mit der erforderlichen Präzision in der Herstellung. Diese Tatsache macht die Schweiz für uns zu einem Schlüsselstandort bei der Erforschung und Entwicklung neuer Lösungen für die Bedürfnisse der Leistungserbringer und Patienten.

Welche Tipps können Sie unseren Mitgliedern aus der Medizinprodukteindustrie bezüglich der MDR-Richtlinien mitgeben?
Ich möchte alle Mitglieder ermutigen, die Bestimmungen der Medical Device Regulation im Namen der Patienten und der Leistungserbringer umzusetzen. Das Vertrauen der Kunden steigt, wenn sie sehen, dass die Leistungserbringer weltweit vereinbarte Standards einhalten. Ebenfalls möchte ich die Mitglieder dazu anregen, sich zu engagieren und Organisationen wie GS1 beizutreten, um bei der Entwicklung und Verbesserung der Standards mitzuwirken und deren Einsatz in der Branche zu festigen.

Die Fragen stellten Christian Hay und Roland Weibel.

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