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Hüttenlogistik – Herausforderung in den Bergen

Volle Regale im Supermarkt: selbstverständlich. Strom aus der Steckdose: selbstverständlich. Wasser aus dem Hahn: selbstverständlich. In den Bergen ist das jedoch alles andere als selbstverständlich. Für die logistische Versorgung seiner Hütten hat der SAC (Schweizer Alpen-Club) deshalb den Swiss Logistics Public Award 2013 gewonnen. GS1 network hat sich vor Ort umgesehen.

Stille. Totenstille. Kein Zug rattert, kein Lkw donnert vorbei. Man kann dem Eintauchen der Stöcke in den Schnee lauschen, dem Knacken unter den Schneeschuhen. Kaum zu glauben, dass es um Logistik geht – keine Paletten, keine Flurförderfahrzeuge, keine Strassen oder Schienen. Stauumfahrung ist heute mal kein Thema. Einzig die Schnee- und Wegverhältnisse sind ausschlaggebend für die Optimierung der Route bis zur Lidernenhütte. Von der Station Riemenstalden überwindet eine kleine Seilbahn 540 Höhenmeter bis zur Bergstation. Das letzte Wegstück muss zu Fuss zurückgelegt werden, vorbei an Iglus und eingeschneiten Ställen.

100 Kilo Huckepack
Die Lidernenhütte ist eine von 153 SAC-Hütten. Sie wird von der Sektion Mythen betrieben. Jedes Jahr übernachten hier 4000 bis 5000 Alpinisten. Bei vollem Haus benötigen 80 Personen Strom, Wasser und Lebensmittel. Auf 1727 Metern über Meer ist das nicht einfach, wie Irène Kamer Fähndrich weiss: Sie ist seit 21 Jahren Hüttenwartin und kennt die Herausforderung, die die Versorgung in den Bergen mit sich bringt. «Drei- bis fünfmal im Jahr werden wir per Helikopter beliefert», erklärt sie.
Mit dem Hubschrauber werden vor allem schwere Waren wie Holz, Gas und Benzin sowie haltbare Lebensmittel wie Getränke, Teigwaren und Konfitüre transportiert. «Bei den Versorgungsflügen helfen unsere Mitglieder mit», berichtet Walter Arnold, ehemaliger Präsident der SAC-Sektion Mythen. «Vor dem Flug müssen die Güter in Netze verpackt werden.» Die Mengen legt der Hüttenwart fest. «Das ist die logistische Leistung des Hüttenwarts», meint Walter Arnold. Die Versorgung aus der Luft wird aus Umwelt- und Kostengründen sparsam eingesetzt. Sie kann den Lebensmittelbedarf der Hütte nicht decken. Jede Woche transportieren deshalb Irène Kamer Fähndrich und ihr Team 100 bis 200 Kilo Frischprodukte mit der Seilbahn – und auf dem Rücken. «Das ist eine Aufgabe, die alle gerne machen», sagt die Hüttenwartin. «So kommt man aus der Hütte raus.»

Müll vermeiden
Die Helikopter kommen nicht nur für die Versorgung zum Einsatz. Auf dem Rückweg nehmen sie die Abfälle mit ins Tal. «Die Entsorgung ist sehr gut gelöst », findet Walter Arnold. Es werden fast nur Frischprodukte verwendet: vom Käse aus den umliegenden Alpen über Eier von eigenen Hühnern bis hin zu den Beeren, die Irène Kamer Fähndrich sammeln gehe. So können Verpackungsmaterialien gespart werden.
Problematisch sei, wenn die Besucher ihre eigenen Getränke mitbringen und die Flaschen stehen lassen. «Die Gäste müssen deshalb pro Flasche ein ‹Zapfengeld› bezahlen. Ich denke, dass der Hüttenwart damit gute Erfahrungen macht.» Dass die Leute ihren Kehricht nicht mitnehmen, sei ein gesellschaftliches Problem, das beispielsweise in Zügen deutlich wird. «Ich würde aber schon sagen, dass der Grossteil seinen Müll nicht in der Hütte lässt.»

Städtische Ansprüche prallen auf alpine Realität
Wie viele SAC-Hütten ist auch die Lidernenhütte nicht an das Stromnetz angeschlossen. Stattdessen nutzt sie Solarenergie. «Wir leben von der Sonne », meint Irène Kamer Fähndrich. Zusätzlich steht ein Generator bereit. Zum Heizen wird auf Holz gesetzt, für die Kühlung werden Gas und Sonnenstrom verwendet. «Wir verwenden den Strom sorgsam und schauen, dass wir irgendwie damit auskommen», sagt die Hüttenwartin. Problematisch werde es, wenn Gäste «Stromfresser» wie Föns oder gar elektrische Schuhwärmer anschliessen. Dafür hat Irène Kamer Fähndrich kein Verständnis. «Das geht hier einfach nicht. In solchen Fällen konfiszieren wir die Geräte, bis die Gäste wieder abreisen.»
Doch die Ansprüche der Gäste steigen, auch in den Bergen. «In den letzten 25 Jahren hat sich einiges getan. Früher musste man sein Essen selbst mitbringen. Wer Holz dabei hatte, konnte sich die ‹Holztaxe› sparen. Es wurde auch nur ein Raum geheizt», erzählt Walter Arnold. «Heute erwarten die Gäste, dass überall geheizt wird. Und sie wollen eine anständige Verpflegung.» Walter Arnold ist überzeugt, dass eine Sensibilisierung der Gäste nötig ist. «Heute ist es so selbstverständlich, dass man eine Steckdose fürs Handy hat. Wir müssen die Leute wieder dazu bringen, dass sie fragen, ob sie den Strom überhaupt nutzen dürfen. So können wir Aufklärung leisten.» Ernsthafte Versorgungsengpässe habe es in der Lidernenhütte noch nicht gegeben. «Essen ist immer genug da. Manchmal hat es vielleicht nicht alles, aber da muss man eben flexibel sein», sagt Irène Kamer Fähndrich. Es ist jedoch schon vorgekommen, dass das Wasser ausgegangen ist. Die Hütte wird von Quellwasser versorgt, die Mengen sind beschränkt. «Beim WC muss das Wasser abgedreht werden, aber die Gäste lesen die Schilder leider nicht immer.» Für den Notfall ist die Hüttenwartin zumindest teilweise gerüstet. «Wir haben immer etwa 60 bis 70 Liter Wasser in den Pfannen auf dem Herd.»
Als die Jury des Swiss Logistics Award ihre erste Sitzung traditionellerweise beim Gewinner des Swiss Logistics Public Award abhielt, fehlte es ihr an nichts. So mancher griff bei den hausgemachten Älplermagronen zweimal zu. Aber ein paar Gramm mehr «Fracht» waren dieses Mal kein ernsthaftes logistisches Transportproblem …

Katharina Birk

 

Impressionen vom Hüttenbesuch

Jürg Pletscher neu in der Jury
Die Jury des Swiss Logistics Award hat ab 2014 ein neues Mitglied: Jürg Pletscher, CEO von Antalis. Er nimmt den Platz von René Meyer, Logistik & Informatik bei der Migros, ein. René Meyer wird pensioniert. Er war 17 Jahre lang Jurymitglied. «Die Art der eingereichten Projekte, die Zusammensetzung der Jury und der Gesamtprozess von der Ausschreibung über die Jurierung bis zur Gala hat sich stetig entwickelt», so Meyer. «Die Juryarbeit war nie ein Muss, denn das Herausfiltern des Siegers war immer ein spannender Prozess, der mit engagierten Diskussionen verbunden war.»

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