gs1-neton-header-06.jpg

Die Digitalisierung der Baubranche – Chance oder Risiko?

Die Branche befindet sich im Umbruch – die zügige Digitalisierung der Wertschöpfungsprozesse (Industrie 4.0, neue Kommunikationskanäle, BIM), der nachhaltige und effizientere Einsatz von Material- und Energieströmen sowie die Vernetzung der Anlagen stellen die grossen Ziele der Bauindustrie dar.

Mit einem Anteil von 17 Prozent an der Schweizer Wirtschaftsleistung zählt die Bauindustrie unter Berücksichtigung der Mieteinnahmen und der Eigenmieten zu den stärksten Wirtschaftszweigen. Zunehmend werfen auch die Megatrends aus den Bereichen Nachhaltigkeit, technologischer Fortschritt, Konnektivität und Demografie Fragen auf, die die Branche über die nächsten Jahre erheblich verändern werden:
• Wie kann der Übergang zu einem regenerativen System erfolgen, bei dem Ressourceneinsatz, Abfallproduktion, Emissionen und Energieverschwendung durch das Reduzieren von Energie- und Material- kreisläufen minimiert werden?
• Laut McKinsey Global Institute ist seit den 1940er-Jahren die Produktivität der Landwirtschaft um 1512 Prozent, der Fertigung um 760 Prozent sowie des Handels um 699 Prozent gewachsen; diejenige der Bauindustrie um gerade einmal 6 Prozent. Wie kann die Produktivität also langfristig und nachhaltig gesteigert werden?
• Die digitalen Kommunikationstechnologien verändern unser Leben. Welche neuen Geschäftsmodelle werden sich dadurch etablieren (z. B. Pay-per-use, Remote Diagnosis)?
• Die Bevölkerung wird älter und gleichzeitig bleiben die Menschen länger gesund. Wie kann auf das infolge Bevölkerungsalterung und tiefer Geburtenraten entstehende Arbeitskräftedefizit reagiert werden?

Ursache-Wirkungs-Diagramm
Die Intention dieses Beitrags besteht zunächst darin, zu zeigen, wie mithilfe des Ishikawa-Prinzips die wichtigsten Einflussgrössen für die Digitalisierung der Bauindustrie auf die Bereiche Mensch, Methode, Maschine, Material und Milieu zerlegt werden können. Diese Abstrahierung ermöglicht die Sichtbarmachung der wichtigsten Faktoren und wie mit diesen umgegangen werden könnte.

Mensch
Der Mensch bleibt fester Bestandteil der Digitalisierung, doch treten zunehmend neue Qualifikationsanforderungen an die Mitarbeitenden in den Vordergrund. Hierzu zählen nicht nur abstrahierende, analytische Fähigkeiten sowie Kommunikations- und Teamfähigkeit, sondern vor allem der Wille, sich auf Veränderungen einzulassen. Es bleibt zu hoffen, dass damit auch dem bestehenden Fachkräftemangel entgegengewirkt werden kann und sich mehr Frauen für die vielseitigen Berufsfelder der Bauindustrie interessieren.

Methode
Der Wille zur Anpassung ist auch wesentlich bei der zweiten wichtigen Einflussgrösse, der Organisation und Abarbeitung von Arbeitsabläufen. Grundsätzlich werden diese von Menschen erarbeitet und auf die Bedürfnisse der Organisationen angepasst. Daher ist es wichtig, innerhalb des Unternehmens auf eine offene und transparente Kultur mit Sachverstand und Respekt für Menschen hinzuarbeiten und dies vor allem bei Prozessänderungen konsequent und nachhaltig umzusetzen.

Maschine
Um vor allem der Gefahr entgegenzuwirken, gewachsene Prozesse einer Organisation durch den Einsatz digitaler Technologien vorschnell und ohne Verifizierung einzubinden, ist die frühzeitige Einbindung aller Partner der digitalen Wertschöpfungskette wichtig.

Material
Bei der Einführung neuer Kommunikationstechnologien ist darauf zu achten, zunächst die für das Datenmanagement geeigneten Informationstechnologien und Strukturen über den gesamten Lebenszyklus nachhaltig zu gewährleisten. Dies geschieht durch Erstellen der Datenanforderungen sowie die Definition von Standards, Open BIM-Formaten, Datenpflege, Stammdaten- und Schnittstellenmanagement. Das von GS1, buildingSMART und Cobuilder erarbeitete White Paper «Digital Supply Chains» hat folgende Ziele für die Bauindustrie ermittelt:
• Definition von strukturierten Produktdaten und Produktdatenvorlagen (PDT) sowie uneingeschränkter Austausch strukturierter Daten zwischen Anwendern und Softwareformaten.
• Erarbeitung und Definition von Industriestandards, die das bekannte IFC-Format um Standards für die Produkteigenschaften erweitern.
• Vereinbarung von Identifikationsschlüsseln für die global eindeutige Identifizierung von Produkten und Leistungen über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg.

Milieu
Für die Erzeugung eines digitalen Zwillings ist eine saubere Pflege der Stammdaten unerlässlich, da es diese in Zukunft erlauben, über Datenträger mit dem physischen Artikel verknüpft zu werden. Die Möglichkeiten der sich dadurch ergebenden Rückverfolgbarkeit reichen bis zu einem Immobilienpass, der die gesamte Geschichte der Immobilie verlässlich und eindeutig wiedergibt. So wird nicht nur ein nachhaltiger Gebäudebetrieb ermöglicht, sondern auch der nachhaltige Umgang mit den verwendeten Wertstoffen beschleunigt.

Resultate und weitere Schritte
Bei genauer Betrachtung aller Faktoren wird offenkundig, dass die Faktoren Maschine und Material die eigentlichen Technologiesprünge darstellen. Diese beinhalten beispielsweise neuartige Methoden zur Automatisierung der Arbeitsprozesse oder zur Vereinfachung der Gebäudewartung (3D-Beton-Druck, Robotics, Drohnen, Exoskelette).

Doch wie sollte nun im Detail vorgegangen werden? Nach der obligatorischen Ermittlung und Überprüfung der Kundenbedürfnisse wird empfohlen, sich von kompetenten und neutralen Partnern mit langjähriger Erfahrung im Datenmanagement beraten zu lassen. GS1 Switzerland arbeitet gemeinsam mit buildingSMART International an der Initiative Digital Supply Chains in Built Environment (DSCIBE). Ein Ziel besteht darin, offene und maschinenlesbare Arbeitsabläufe zu entwickeln, die es allen Beteiligten der Wertschöpfungskette in der Bauindustrie ermöglichen, mithilfe gemeinsam definierter Industriestandards auf verlässliche Produktinformationen aus Herstellerangaben zuzugreifen. Ein weiteres Ziel ist die Umsetzung und Anpassung bestehender Techniken und Standards, wie dem buildingSMART-Daten-Wörterbuch mit entsprechenden Schnittstellen für den Austausch von Gebäude-Datenmodellen und Merkmalslisten sowie vom Prozessmanagement. Zusätzlich sollen die für den Austausch von Gebäudemodellen notwendigen Attribute, aber auch die verwendeten Testmethoden durch den Gebrauch von Produktdatenvorlagen automatisiert werden.

Durchgeführte Anwendungsfälle europäischer Partner haben gezeigt, dass in Zukunft eine hochwertige Datenqualität und -verteilung mit einer nachhaltigen Verbindung zum Kunden nur dann möglich ist, wenn die Hersteller und Lieferanten selbst aktiv Verantwortung für ihre Produkte und deren Daten übernehmen. Durch diese Vernetzung aller Akteure innerhalb einer Wertschöpfungskette und die gemeinsame Erarbeitung zukünftiger Standards wird gewährleistet, dass der Werkplatz Schweiz auch in Zukunft attraktiv bleiben wird.

Dr. Uwe Rüdel

Weitere Informationen
GS1 Switzerland
Dr. Uwe Rüdel
Branchenmanager Technische Industrien
Monbijoustrasse 68
CH-3007 Bern
+41 (0)58 800 70 37
+41 (0)79 264 94 41
www.linkedin.com/in/ uwe-ruedel-9726a119
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Nach oben