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Handel 4.0 – smart, vernetzt, erlebnisreich, omnipräsent

Die Unterscheidung «hier stationärer Laden» und «dort Onlinevertrieb» taugt für die Zukunft des Retails nicht mehr. Die Zukunft der Branche wird digital transformiert und bleibt dennoch handfest.

Quo vadis, Detailhandel? Im ersten Corona-Pandemiejahr 2020 realisierte die sehr bedeutende Branche der Schweizer Wirtschaft einen Umsatz von rund 99 Milliarden Franken, was einem Plus von 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr (96,6 Milliarden) entspricht. Der Ausreisser nach oben ist bemerkenswert, da über die letzten Jahre die Umsatzzahlen auf hohem Niveau verharrten – mit einem leichten Negativtrend, den Experten auf die zunehmende Onlinewie Offlinekonkurrenz aus dem Ausland aufgrund des vergleichsweisen hohen Preisniveaus in der Schweiz zurückführen.
Tatsächlich finden innerhalb der Branche grosse Umwälzungen statt. Standortgebundene Ladenketten, Warenhäuser oder Fachgeschäfte haben Mühe, spezialisierte Online-Versandhandelsunternehmen schreiten voran. Die während der beiden Corona-Jahre verstärkte Neigung der Kundschaft, aus einem schier grenzenlosen Onlinekatalog Ware auszuwählen und nach Hause liefern zu lassen, entpuppte sich als Booster für Onlinegiganten wie Amazon, aber auch für lokal domizilierte Online-Vertriebskanäle.

Schiere Grösse und Club- Marketing
«Gross wird grösser», sagt dazu Dagmar Jenni, Direktorin der Swiss Retail Federation, des schweizerischen Verbands der Detailhandelsunternehmen, zu dem Warenhäuser, Fachgeschäfte, Verbraucher- und Abholmärkte, selbstständige Detaillisten, Food-Fachhändler sowie Kioske gehören. Denn wer Ware aus einem quasi unerschöpflichen Internet-Marktplatz bereitstellen, zu guten Kosten-Nutzen-Bedingungen anbieten kann und überdies die Logistikprozesse beherrscht, ist strategisch besser aufgestellt als eine auf stationäre Verkaufspunkte abgestützte Handelskette, die das Warenangebot breit halten will.
Ein weiterer Megatrend ist das Direktmarketing über kombinierte Vertriebskanäle via Onlineshops und Flagshipstores, die Kunden direkt an die Marke binden. Erfolgreich umgesetzt haben dieses Konzept Nespresso, Nike, Puma, Burberry oder L’Oréal.

Digitale Transformation betrifft alle
Noch gelingt es dem stationären Handel ungleich besser, Kunden sachgerecht zu beraten. Online-Bekleidungsspezialisten (von Amazon bis Zalando) treiben jedoch die digitale Datenanalyse konsequent voran und wissen immer besser über individuelle Präferenzen Bescheid. «Doch die klassischen Profilierungsfaktoren, die man dem Onlinegeschäft oder dem stationären Handel zuordnet, beginnen sich zu verwischen», so Jenni. Alle im Detailhandel tätigen Akteure hätten demnach keine andere Wahl, als sich dem veränderten Kundenverhalten anzupassen. Denn mit dem Smartphone hat «jeder und jede das Warenhaus in der Tasche. Ob man jetzt den Laden aufsucht oder online einkauft, ob man sich von einem Instagram- Blogger beeinflussen lässt, ist je länger je weniger ein bewusster Entscheid, sondern der Stimmung oder der Situation geschuldet, in der sich Kaufwillige befinden.»

Einkaufserlebnis schaffen
Der stationäre Detailhandel – ein Kulturgut, das eigentlich niemand missen möchte – wird sich mit Geschick digitaler Werkzeuge bedienen müssen, darf aber seine traditionellen Stärken nicht vernachlässigen:
• Themenfelder über Erlebniswelten (Marokko-Woche, Bergsteigen usw.) bearbeiten, Ware dementsprechend kuratieren und präsentieren. Was oft unterschätzt wird: Auch junge Menschen haben nach wie vor das Bedürfnis, sich zu treffen und einkaufen zu gehen.
• Navigationshilfen via Smartphone- App führen die Kunden zu den gewünschten Waren im Laden.
• Augmented-Reality-Apps vermitteln optionale Farben und Varianten für zahlreiche Objekte wie Brillen, Haarfärbemittel, Lippenstifte oder Pullover, die kameragestützt dargestellt werden können.

Geschäftsprozesse optimieren
Auch Logistikprozesse müssen beständig optimiert werden:
• Omni-Channel-Kommunikation mit der Kundschaft wird sich überall etablieren für die Bestellung sowie Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen.
• Die fortschreitende Prozessautomatisierung in der Lieferkette erlaubt es, die Bevorratung der Ware am Verkaufspunkt restriktiver zu handhaben, da sich die Warenstange in den digitalen Raum fortsetzt und so dennoch – dank präziser Abfragen der Lagerbestände – selten verlangte Varianten eines Produkts schnell verfügbar bleiben.
• Mitarbeitende können die Warenverfügbarkeit über digitale Geräte den Kunden gegenüber transparent anzeigen, was Vertrauen schafft.

Nachhaltigkeit
«Kauf dies, kauf das, alles superbillig» ist ein Reiz, der abstumpft. Sinnhafte, dauerhafte Produkte sind durchaus gefragt. Doch mit dem Allerwelts- Stichwort «Nachhaltigkeit» ist es nicht getan: Einerseits verhalten sich Einkaufende widersprüchlich, da sie ihre Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Produkte nicht erhöhen. Andererseits bemühen sich die Anbieter viel zu wenig, ihr Nachhaltigkeits-Profil zu schärfen. Wofür steht das Label XY wirklich? Sind bei Textilien akzeptable Arbeitsbedingungen gemeint? Wird die Baumwolle pestizidfrei angebaut? Geht es um eine hohe Recyclingquote bei einem Elektronikartikel? Die guten und ehrlichen Geschichten müssen oft noch zuerst geschrieben werden. Digitale Hilfsmittel können die Glaubwürdigkeit von Labels unterstützen:
• Über QR-Codes oder andere Identifikationsschlüssel lässt sich eine Tür zu weiteren, inhaltlich und gestalterisch gut aufbereiteten Zusatzinformationen (im Internet) aufstossen. Sensibilisierte Kunden erfahren mehr über die Hintergründe des Produkts.
• Noch interessiert sich ein mässiger Teil der Kunden für spezifische Nachhaltigkeits-Themen – gerade im Nonfood-Bereich. Dies auch, weil die Prüfung der Ware vor Ort nach Nachhaltigkeits-Kriterien mühsam ist. Neue Geräte aus der Welt der Computerspiele wie die bereits bekannte VR-Brille mit stereoskopischen Effekten können helfen, Geschichten zur Herstellung und zum Vertrieb von Produkten «immersiv» erleben zu lassen.

Ausbildung
«Bei der Digitalisierung stehen wir erst am Anfang», prognostiziert Jenni. Mit dem sogenannten Metaverse, also der Konvergenz von virtueller, erweiterter und physischer Realität entstehe bald eine ganz neue Herausforderung der Interaktion, der Präsentation und des Vertriebs von Produkten. So gesehen hinke selbst eine aktualisierte Grund- und Weiterbildung im Detailhandel der Realität immer ein Stück weit nach.

GS1 Excellence Day, Strategietag, 8. Juni 2022, Konsumgüter & Retail
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Manuel Fischer

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