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«Fachliche Herausforderungen sind mir wichtiger als Führungsverantwortung.»

Business Engineer in der IT und Dozentin bei GS1 Schweiz: Sibille Häusermann fürchtet Fachchinesisch genauso wenig wie die Arbeit in Männerdomänen und das Unterrichten vor den Logistikfachleuten. Ihre Laufbahn startete jedoch fern von IT und Unterricht …

Es prasselt. Ein paar Regentropfen zerplatzen auf dem Boden, die anderen peitscht der Wind gegen die Scheiben. Dunkle Wolken verhängen den Himmel wie ein schwerer Vorhang. Ab und an wird er von einem Blitz zerrissen. Die ungemütliche Atmosphäre ausserhalb des kleinen Cafés steht im Gegensatz zum freundlichen Gespräch mit Sibille Häusermann. Nur den Fotografen zwingt Sturmtief «Tini II» in die Knie. Er muss heute auf Aussenaufnahmen der Gesprächspartnerin verzichten.

Lehren aus Überzeugung
So stürmisch wie «Tini II» ist die GS1 Dozentin nicht. Seit rund einem Jahr unterrichtet sie «Prozessmanagement » im Lehrgang «Logistikfachmann/- frau». Eine Dozententätigkeit in der Erwachsenenbildung habe sie schon immer interessiert, auch wenn sie das Teilzeitengagement als Kursleiterin «eigentlich für später» vorgesehen habe. Der Zufall wollte es anders. Der bisherige Dozent hat mit ihr im Prozessmanagement von Emmi zusammengearbeitet und ihr vorgeschlagen, seine Nachfolge anzutreten.
Sibille Häusermanns Skepsis schwand schnell. «Ich habe in den Gesprächen mit ihm gemerkt, dass ich den Kurs halten kann.» Ihren Vorgänger begleitete sie zu seinen verbleibenden Lektionen. «Das war für mich ein guter Einstieg, und ich konnte viel von ihm lernen.» Eine didaktische Aus- oder Weiterbildung hat sie nicht absolviert. «Ich werde aber auf jeden Fall den Kurs machen, den GS1 Schweiz für ihre Dozenten anbietet.»
Dass Sibille Häusermann die «Teilzeitstelle Dozentin» für später vorgesehen hatte, liegt auch an ihrem Alter: Nicht selten ist die Dreissigjährige jünger als die Lehrgangsteilnehmer. Das sei aber noch nie ein Problem gewesen. «Vor allem zu Beginn des Kurses hören sie aufmerksam zu und überprüfen, was ich überhaupt kann», meint sie schmunzelnd. Sibille Häusermann ist übrigens auch die einzige Frau im Dozententeam von GS1 Schweiz – und steht meistens einer Männerklasse gegenüber. Auch das sei kein Problem.

«Vor allem in der Logistik ist es wichtig, dass man genau weiss, wer was wann in welcher Reihenfolge macht.»


«Es fällt mir ehrlich gesagt gar nicht mehr auf. Ich habe schon immer überwiegend mit Männern zusammengearbeitet. » Vor Kurzem wurde sie von einer Kursteilnehmerin auf das Thema angesprochen. «Sie musste ein Projekt mit Geschäftspartnern aus einem anderen Kulturkreis umsetzen. Diese waren es aber nicht gewohnt, mit einer Frau zusammenzuarbeiten. Für die Kursteilnehmerin war es deshalb etwas schwieriger», erzählt sie. «Das Problem kenne ich nicht. Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, gebremst worden zu sein, nur weil ich eine Frau bin.» An ihrer Dozententätigkeit schätzt Sibille Häusermann auch, dass sie sich mehr mit Modellen und Methoden des Prozessmanagements auseinandersetzt. «Ausserdem nehme ich manchmal Inputs aus dem Kurs mit in die Emmi.»

Sibille Häusermann ist Business Engineer und einzige Dozentin bei GS1 Schweiz. Sie unterrichtet Prozessmanagement im Lehrgang Logistikfachmann/-frau.Damit die linke Hand weiss, was die rechte macht
Warum müssen sich Logistikfachleute überhaupt mit Prozessmanagement auseinandersetzen? Sibille Häusermann bringt es auf den Punkt: «In der Logistik zählen Schnelligkeit und eine geringe Fehlerquote. Beides kann man nur erreichen, wenn man über die eigenen Prozesse genau Bescheid weiss.» Im zweitägigen Modul beleuchtet die Aargauerin zwei Aspekte: einzelne Prozesse und das Prozessmanagement.
«Ein einziger Prozess zeigt an, wer in welcher Reihenfolge welche Tätigkeit verrichtet. Das Prozessmanagement bildet den Rahmen», erklärt sie. «Es geht sowohl um einzelne Prozesse als auch um die Frage, wie man alle Prozesse im Unternehmen steuert, überwacht und gestaltet.» Für die Schüler sei «Prozessmanagement » übrigens kein Fremdwort. «Das kennen sie aus ihrem Alltag, auch wenn sie sich dessen nicht unbedingt bewusst sind. Gerade in der Schweiz fragen wir uns immer, wie wir etwas noch besser machen können.» Im Kurs gibt Sibille Häusermann ihnen die richtigen Werkzeuge an die Hand, um Prozesse effizienter gestalten zu können «Ausserdem zeige ich auf, wie Prozessmanagement, Unternehmensführung, Zielsetzungen und Organisation zusammenhängen.»

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Ausserhalb von GS1 Schweiz managt sie keine Prozesse. Seit 2008 ist sie Business Engineer in der IT-Abteilung von Emmi. «Meistens analysiere ich die Prozesse und optimiere sie dann zusammen mit den Fachbereichen und den Spezialisten aus der IT.» Auch wenn sie in der IT arbeitet, hat ihre Tätigkeit kaum etwas mit Computern zu tun. Sie sei keine Technikerin, sondern «fortgeschrittene Anwenderin»: «Ich weiss primär das, was ich zum Verstehen der Zusammenhänge brauche. » Auch wenn man sich Informatik immer sehr technisch vorstelle, gehe es auf Software- und Prozessebene mehr um Verständnis und logisches Denken als um Technik zum Anfassen. Vielmehr baut sie regelmässig Brücken zwischen den Fachbereichen und der IT. «Ich soll dabei helfen, diese chinesische Mauer zwischen ihnen zu überwinden. » Sie grinst.
Zusammen mit den Fachabteilungen analysiert Sibille Häusermann deren neue Bedürfnisse und wie sie am besten mit dem System unterstützt werden können. «Ich bin sozusagen Übersetzerin. Ausserdem untersuche ich die betriebswirtschaftlichen Aspekte, bevor ein Spezialist an die Umsetzung geht. Mit Kosten-Nutzen-Analysen schätze ich ab, ob sich eine Automatisierung überhaupt lohnt. Meine Tätigkeit hat viel mit der Entwicklung von Sollprozessen zu tun.» Je nach Projekt fallen ihre Aufgaben unterschiedlich aus: von der Koordination über die Erstellung von Konzepten bis hin zu Schulungen. «Manchmal verfasse ich auch die Spezifikationen, damit die Programmierer das sozusagen in Einsen und Nullen umsetzen können.»

Teamarbeit gefragt
Sibille Häusermanns Laufbahn begann in einem ganz anderen Bereich als der IT. Sie machte zunächst die Ausbildung zur kaufmännischen Angestellten bei Coop. Später entschloss sie sich zu einer Weiterbildung und erwarb an der Höheren Fachschule für Wirtschaft das Diplom als eidg. dipl. Betriebswirtschafterin HF. «Ich wusste, dass ich in einem rein administrativen Job mit viel Tagesgeschäft nicht glücklich werde. Da ich mich jedoch noch nicht auf eine Fachrichtung festlegen wollte, habe ich mich für diese generalistisch ausgelegte Weiterbildung entschieden. » 2008 schloss sie diese mit der Note 5,3 als Beste ab.
Dank der Weiterbildung fand sie ihren Weg in das Prozess- und Projektmanagement. «Ich habe gemerkt, dass mich das besonders interessiert.» Zu ihrer jetzigen Stelle bei Emmi kam sie – ähnlich wie zu ihrer Stelle als Dozentin bei GS1 Schweiz – über Mund-zu-Mund-Propaganda. «Ein Kollege hat mir von einer Stelle erzählt.» Nach einem Schnuppertag habe sie auf ihren Bauch gehört und sich «einfach reingestürzt». Zunächst verstand sie nur «Bahnhof», Abkürzungen und Fachbegriffe machten ihr das Leben schwer. IT-Spezialistin ist sie heute noch nicht: «In die Technik muss man sich nur so weit einarbeiten, wie es für das Verständnis der Logik und der Zusammenhänge nötig ist. Sobald es tiefer geht, arbeite ich mit Spezialisten zusammen.» Und das schätzt Sibille Häusermann: «Für jedes Thema gibt es einen Experten, und wir arbeiten viel im Team.»
Interessant findet sie die Zusammenhänge in der IT: «Es ist spannend, zu sehen, was passiert, wenn man einen Punkt ändert.» Ihre Zukunft sieht sie in einer Expertenlaufbahn. «Ich möchte Fachspezialistin sein und nicht die Karriereleiter raufklettern, um im Organigramm aufzurücken. Fachliche Herausforderungen sind mir wichtiger als Führungsverantwortung.» Freude hat sie jedenfalls an ihrer Stelle. «Die Mischung aus IT und Prozessen ist spannend. Mir gefallen ausserdem die konzeptionelle Arbeit und das Aufgleisen von Projekten. Ich finde es super, wenn ich neue Prozesse anschauen kann.» Ihr Bauch hatte also recht. Und bei so viel Begeisterung gerät auch «Tini II» ganz schnell in Vergessenheit.

Katharina Birk


Über Emmi AG
Emmi ist die grösste Milchverarbeiterin der Schweiz und eine der innovativsten Premium-Molkereien in Europa. In der Schweiz fokussiert das Unternehmen auf die Entwicklung, Produktion und Vermarktung eines Vollsortiments an Molkerei- und Frischprodukten sowie auf die Herstellung, die Reifung und den Handel primär von Schweizer Käse. Im Ausland konzentriert sich Emmi mit Markenkonzepten und Spezialitäten auf Märkte in Europa und Nordamerika. Bei den Frischprodukten stehen Lifestyle-, Convenience- und Gesundheitsprodukte im Vordergrund. Zudem positioniert sich Emmi als weltweit führendes Unternehmen für Schweizer Käse. Die Kunden von Emmi sind der Detailhandel, der Bereich Food Service (Grosshandel, Gastronomie und Hotellerie) und die Lebensmittelindustrie.

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