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Mehr Transparenz in der Transportkette

Die Vision weltweit transparenter Transportketten fasziniert auch Philipp Muster. Als stellvertretender Direktor von Spedlogswiss, dem Verband schweizerischer Speditions- und Logistikunternehmen, weiss er aber auch, woran dieser Traum derzeit noch allzu oft scheitert. Allerdings gibt es Fortschritte in die richtige Richtung, wie er im Interview aufzeigt.

GS1 network: Mit dem eigenen Datacenter hat Spedlogswiss bereits umfassende Erfahrungen im Datenaustausch gesammelt. Wie lautet das Fazit bis heute?
Philipp Muster: Unser Produkt «Datacenter » besteht bereits seit einigen Jahren. Mittlerweile haben sich gegen 50 Verlader und deren Spediteure angeschlossen. So haben wir bereits umfangreiche Erfahrungen mit Datenkommunikation, zumindest was Transportaufträge und Statusmeldungen angeht. Bisher läuft alles problemlos und die Performance ist sehr gut.

Gibt es noch weiter gehende Anwendungsfälle ausgehend vom Datacenter?
Wir haben für einen Kunden eine umfassende Anwendung daraus entwickelt, mit der er seine ganze weltweite Logistikkette transparent macht. Die Anwendung erlaubt die weltweite Verfolgung einer Lieferung über alle in die Logistikkette involvierten Parteien hinweg. Absender, Warehouse, Spediteur, Zollagent und Marktteilnehmer im Empfangsland, also die ganze Transportkette, haben in unterschiedlichem Mass Zugriff auf die Daten. Im Kundenunternehmen selbst nutzen gegen 300 Personen die Daten. Die Resonanz ist sehr gut. Vor allem wissen alle sofort, wo die Ware gerade ist. Die Effizienzsteigerung bei allen Beteiligten ist enorm.

Gibt es dafür nicht noch grösseres Marktpotenzial?
Aus meiner Sicht ist das ein sehr innovatives Projekt, wenn auch ein Einzelfall und deshalb nicht sofort skalierbar. Es bietet Verladern, die ihre Logistikkette weltweit sehen wollen, komplette Transparenz. In diese Richtung wird auch die EDI-Nutzung künftig gehen. Die Transparenz der Transportkette über alle involvierten Parteien hinweg wird wichtiger, während heute meist nur zwei direkt betroffene Parteien Daten austauschen, nämlich der Verlader und ein Dienstleister.

Wie sehen Sie das Potenzial der Blockchain-Technologie in diesem Kontext?
Ich denke, auch die Blockchain hat hier gewisses Potenzial. Vermutlich wird es irgendwann mehrere Player geben, die auf Blockchain basierende Lösungen anbieten. Weil deren Neutralität aber wichtig ist, wäre es wohl am besten, wenn ein Verband oder eine übergeordnete Instanz so etwas bereitstellt, nicht ein selbst im Wettbewerb stehendes Unternehmen.

Warum setzt sich der Gedanke einer komplett transparenten Lieferkette nicht rascher durch?
Einerseits fehlt noch eine durchschlagend einfache Anwendung, andererseits sind die Ansprüche an die Qualität bei den Verladern nicht flächendeckend hoch. Aus meiner Sicht liegt die Schwierigkeit in der ungenügenden Qualität der Transportdaten bei den Verladern selbst. Die Standards sind da, die Technik auch. Trotzdem gehören Fax und manuelles Abtippen noch immer zum Alltag von Speditionsdienstleistern. Solange sich bei den Verladern die Datenqualität nicht verbessert, kommt die Sache nicht vom Fleck.

Könnten Sie das illustrieren?
Das ist ganz einfach. Es gibt viel zu viele Datensätze, die sich nicht mit einander verbinden lassen. Heute hat nahezu jedes Unternehmen ein eigenes ERP, zum Beispiel SAP. Dort kann eine Adresszeile aus 70 Zeichen und mehr bestehen. Doch auf internationalen Versandformularen sind für die Adresszeile nur 35 Zeichen vorgesehen. Das ist in Standards wie UN/EDIFACT weltweit so verankert. Wer streicht nun die überzähligen Zeichen aus dem SAPAdressdatensatz? Das muss manuell erfolgen. Kein Computer kann entscheiden, ob «zu Händen Frau Meier» wichtiger ist als die Angabe von Stockwerk und Büronummer in Hongkong. Die Datenqualität ist nicht durchgängig standardisiert – also braucht es immer wieder manuelle Eingriffe durch die Dienstleister.

«Die Standards sind da, die Technik auch.»

Das grosse Ziel der Lieferkettentransparenz scheitert also an ganz einfachen Dingen?
So ist es. Ein ähnliches Beispiel liefern bisherige Vorschriften zur Schweizer Zolldeklaration. Bis Ende des laufen Jahres muss die Warenbezeichnung in einer Amtssprache der Schweiz erfolgen. Für das internationale Versandformular (z. B. AWB, B/L) ist jedoch eine englische Warenbeschreibung Pflicht. Wer übersetzt nun den Warenbeschrieb aus dem Englischen ins Deutsche? Würde man ein zusätzliches Datenfeld für eine deutsche Warenbeschreibung schaffen, verliesse man bereits den Standard. Zum Glück akzeptiert der Schweizer Zoll ab 2017 auch Warenbeschreibungen auf Englisch! Ein weiteres Beispiel ist das Format XML, welches statt EDIFACT zunehmend eingesetzt wird. Es basiert aber auf keinem Standard, jeder baut seine XML-Tags (Feldernamen), wie es ihm beliebt. Leider ist auch kein weltweiter UN-Standard in Sicht. Eigentlich hätte unsere Branche ja das Interesse, einen XML-Standard zu definieren. So wie wir dies zusammen mit GS1 für den Speditionsauftrag im Format IFTMIN (UN/EDIFACT) schon seit 1991 definiert haben. Ob das für XML gelingt? Spediteure sind Dienstleister und müssen den unterschiedlichen Wünschen ihrer Kunden folgen. Ich bin also nur vorsichtig optimistisch.

Und seitens der Verlader gibt es keinen Handlungsdruck?
Wer stellt schon seine ganzen ERPSysteme um, damit der Dienstleister bessere Daten bekommt? Die Unternehmen müssen erst einmal davon überzeugt werden, dass das Ganze auch für sie Sinn macht. Wenn sich die grossen Verlader zusammenraufen, wird die Speditionswirtschaft mitziehen. Sie wird aber nicht der Treiber für die Veränderung sein, weil hohe ITInvestitionen absehbar sind, die durch erwirtschaftete Erträge zu amortisieren sind.

Die Vernetzung von Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette ist eines der zentralen Themen von Industrie 4.0. Wie offen sind die Mitgliedsfirmen für solche Vorhaben?
Grundsätzlich sind wir dafür sicher offen. Die Logistiker stehen jedoch am Schluss einer Auftragskette und arbeiten mit dem, was sie erhalten. Vielleicht werden die Verlader den Endkunden künftig mehr Daten mitliefern wollen. Doch benötigt es zuerst einmal die entsprechende Datenqualität und dann müssen diverse proprietäre Systeme miteinander verbunden werden.

Welche Rolle spielt der Datenaustausch heute unter den Mitgliedsunternehmen?
Der Datenaustausch ist schon heute für unsere Mitgliedsunternehmen wichtig. Ohne Datenaustausch können Speditionsunternehmen fast nicht mehr zusammenarbeiten. Auch in der Kooperation mit Fluglinien oder Reedereien spielt der reibungslose Datenaustausch eine grosse Rolle. Die Frage ist, wo er beginnt. Oder besser: wo ist der Medienbruch? Meist liegt er zwischen Verlader und Spediteur, wie zuvor geschildert. Zudem meinen mit «Daten» nicht alle das Gleiche. Der Verlader meint Rechnungsdaten, der Spediteur Transportdaten. Der erste liefert Angaben zur Artikelmenge, Farben und Grössen. Der zweite meldet nur eine Palette Kleidung. Oder der Verlader stellt fünf Rechnungen bereit, doch die Ware befindet sich auf einer einzigen Palette. Der Schlüssel zum erfolgreichen Datenaustausch, das ist ganz klar, ist die saubere Erfassung der relevanten Transportauftragsdaten.

«Eigentlich hätte unsere Branche das Interesse, einen XML-Standard zu definieren.»

Welchen Stellenwert hat das Thema «Förderung des Datenaustauschs» für Spedlogswiss?
Das ist für uns sehr wichtig. Derzeit verfolgen wir mit der IG Aircargo Switzerland ein gemeinsames Projekt, um Luftfracht auf dem vor- und nachgeschalteten Landweg papierlos zu befördern. Aus Sicherheitsgründen sind Ladungspapiere in physischer Form heute noch vorgeschrieben. Doch der Datenstrom in unserem Projekt könnte später einmal problemlos bis zum Warenempfänger verlängert werden. Auch bei der vorhin diskutierten Problemstellung könnte ein erweitertes Datacenter Sinn machen. Darin könnte die nötige Konversion der Datensätze hin zu einheitlichen Formaten erfolgen. Adressdaten liessen sich einfach auf die nötige Länge kürzen. Von Verbandsseite her könnten wir den Verladern durchaus funktionierende Lösungen anbieten.

Die Fragen stellte Alexander Saheb.

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