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Technische Industrie setzt auf Standards

Enzo Blonk, Industry Engagement Technical Industries bei Gs1 Global in Brüssel.In der Abwicklung logistischer Prozesse spielen die GS1 Standards eine wichtige Rolle und helfen auch Unternehmen in der technischen Industrie, wettbewerbsfähig zu bleiben. Im Interview informiert Enzo Blonk, Direktor Industry Engagement Technical Industries bei GS1 Global in Brüssel, über den aktuellen Stand.

GS1 network: GS1 hat die technische Industrie zu einer ihrer wichtigsten Branchen bestimmt. Welche Überlegungen haben dazu geführt?
Enzo Blonk: «Nur eine durchgängige Interoperabilität ermöglicht die Vorteile des Internet der Dinge zu nutzen. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Systeme kann nur durch offene Standards erreicht werden.» Diese Aussage stammt aus der McKinsey-Studie aus dem Jahr 2015 und fasst unsere Überlegungen sehr treffend zusammen. Industrie 4.0, das Internet der Dinge und die damit einhergehende Vernetzung der Systeme und Produkte beschäftigen die Unternehmen immer stärker. Produktion, Logistik und Vertrieb rücken über die Digitalisierung immer näher zusammen. In Zukunft müssen Maschinen und Produktteile über integrierte Chips und Sensoren miteinander reden und zwar global. Da fallen gewaltige Datenmengen an. Fakt ist: Ohne Standards geht nichts. GS1 erarbeitet seit 40 Jahren Grundlagen und Lösungen für standardisierte Wirtschaftsprozesse. Auch für die Umsetzung von Industrie 4.0 ist eine gemeinsame Sprache wichtig.

Warum sollte die technische Industrie auf die GS1 Standards setzen?
Egal ob Plagiatschutz, Ersatzteilmanagement, Rückverfolgbarkeit, Wartung oder Instandhaltung: im Hinblick auf Industrie 4.0 ist viel Transparenz gefordert. Geschäftspartner, Konsumenten und nicht zuletzt der Gesetzgeber fordern transparente Liefer ketten. Unternehmen müssen heute schnell und umfassend Auskunft erteilen können, auf welcher Produktions linie ein Artikel gefertigt wurde oder wo sich eine beanstandete Charge befindet. Viele Unternehmen haben damit Probleme. Nebst der weltweiten Eindeutigkeit stellt das GS1 System eine breite Palette von Identifikationswerkzeugen und Kommunikationsstandards zur Verfügung, mit denen Unternehmen die Wertschöpfungskette optimieren können. Ein zukunftsweisender Lösungsansatz ist EPC Information Services. EPCIS bietet eine durchgängige Prozessüberwachung und ermöglicht, allfällige Rückrufe besser und zielgerichteter durchzuführen.

Welche Branchen stehen im Bereich der technischen Industrie im Mittelpunkt?
Als Fokusbranchen haben wir die Automobil- und Maschinenbaubranche, den Energiesektor, die Rüstungsindustrie, die Luftfahrt und das Bahnwesen definiert. Industrie 4.0 endet nicht am Werkstor des eigenen Unternehmens. Alle Branchen zeigen Überschneidungen und Ähnlichkeiten in den Wertschöpfungsketten und Lieferstrukturen. Ähnlich wie in Industrie und Handel, beliefern in der technischen Industrie zahlreiche Unternehmen die unterschiedlichsten Branchen. Da drängt sich der Einsatz eines globalen Standards regelrecht auf. Für die technische Industrie arbeiten wir an einem Umsetzungsplan für den Einsatz der GS1 Standards. Dafür haben wir am Hauptsitz in Brüssel sowie in den einzelnen Länderorganisationen die personellen Ressourcen bereitgestellt.

Wie kann der Konsument von der Einführung der GS1 Standards in den technischen Industrien profitieren?
Denken Sie nur mal an die Ersatzteile für Personenwagen. Zum Spiel mit dem Leben wird es, wenn es sich bei den eingebauten Bremsscheiben oder Bremsbelägen um billige Kopien aus Schwellenländern handelt. Gefälschte Dichtungen können platzen oder Chips können falsche Steuerbefehle weitergeben. Nicht einmal die einfachsten Sicherheitsvorschriften werden eingehalten. Um sich gegen die Produktpiraten zu schützen, setzen die Hersteller unterschiedliche und teure Methoden ein: Hologramm, QR-Code oder Dutzende von Mitarbeitenden, die Webshops und Märkte durchforsten und Fälscher den Behörden melden. Mit der Brancheninitiative MAPP – Manufacturers against Product Piracy – propagieren Hersteller wie Bosch, Continental/ATE, Federal- Mogul Motorparts, GKN, GS1, Mahle, MANN-FILTER, Motorservice, Schaeffler, TRW und WABCO sowie die Datenplattform TecAlliance einen weiteren Schutzmechanismus. Das Stichwort heisst hier Serialisierung. Jedes Autoersatzteil erhält eine einzigartige GS1 Identifikationsnummer, dargestellt in einem GS1 DataMatrix Code. Mittels App und zentraler Datenbankabfrage wird die Nummer überprüft und man sieht sofort, ob es sich um ein Original oder eine Fälschung handelt.

Wo liegen die Herausforderungen im Bereich der technischen Industrie?
Während bei den klassischen GS1 Leistungen der Betrachtungsschwerpunkt auf der Supply Chain liegt, rückt bei der technischen Industrie der gesamte Produktlebens zyklus ins Zentrum – angefangen von der Produktentwicklung bis hin zur Entsorgung. Die Herausforderungen sind besonders komplex bei Produkten, die aus mehreren Bauteilen bestehen. Hier kann man leicht den Überblick verlieren, zumal die unterschiedlichsten Abteilungen wie Entwurf, Produktion, Vertrieb und Service betroffen sind. Alle Änderungen müssen dokumentiert und verwaltet werden. Als zentrales Element können hier serialisierte GS1 Identifikationsschlüssel eingesetzt werden. In Kombination mit dem EPC Information Service ist die Verfolgbarkeit auf Produktebene lückenlos möglich. Hinzu kommt, dass der Plagiatschutz gewährleistet ist, und aufgrund der Produkthistorie kann sogar festgestellt werden, an welcher Stelle der Lieferkette ein Plagiat eingeschleust wurde. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Unternehmen zum Verzicht auf proprietäre Systeme zu be wegen. Diese Systeme können nur begrenzte Interoperabilität und Rückverfolgbarkeit bieten. Zudem werden Schnittstellen benötigt, welche durch einheitliche Standards wegfallen.

Was sind die weiteren Schritte, die GS1 in den technischen Industrien unternehmen wird?
Um die einzelnen Länderorganisationen zu sensibilisieren, planen wir zu diesem Thema verschiedene Veranstaltungen, Messen und Workshops. So nehmen wir gleichzeitig Anforderungen, Interessen und Erfahrungen auf und stärken die Wahrnehmung dieser Branche. Parallel dazu trifft sich das Technical Industries Advisory Team, in dem neben GS1 auch weltweit operierende Unternehmen vertreten sind. Die Arbeitsgruppe definiert eine Roadmap für die Branche, um den unternehmensund sektorübergreifenden Einsatz von Standards langfristig zu planen und erfolgreich umzusetzen. Die Arbeitsergebnisse überführen wir anschliessend in die Praxis, damit auch kleinen und mittleren Unternehmen Zugang zur Digitalisierung in Produktion und Logistik ermöglicht wird. Ich bin überzeugt, dass sich die Prozesse in der technischen Industrie mit den GS1 Standards spürbar transparenter und schlanker gestalten lassen.

Die Fragen stellte Simon Zäch.

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