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Mission Alpenluft

Swiss Logistics Award Gewinner "System-Alpenluft" mit innovativem und ökologischem Entsorgungskonzept.Die Abfallentsorgung im Tourismusmagnet Zermatt ist angesichts von Spitzenbelegungszeiten und Fahrverbot für Motorfahrzeuge eine Knacknuss. Die Gemeinde setzt deshalb auf ein innovatives und ökologisches Entsorgungskonzept. «System-Alpenluft» wurde mit dem Swiss Logistics Award 2016 ausgezeichnet

Zermatt ist in vielerlei Hinsicht anders als viele Berggemeinden in anderen Talschaften der Schweiz. Während des ganzen Jahres wohnen rund 5700 Personen im Dorf am Matterhorn. Ganz anders zu Spitzenzeiten wie Weihnachten oder Ostern. Dann nämlich halten sich bis zu 35 000 Personen in Zermatt auf, mindestens so viele wie in Sion, dem Hauptort des Kantons Wallis. Entsprechend schwanken die Abfallmengen an den einzelnen Sammelstellen während des Jahres enorm.

15 Tonnen Abfall pro Tag
Als Zermatt die Abfallentsorgung 2010 neu ausschrieb, betrug das jährliche Gesamtgewicht des Siedlungsabfalls etwa 5500 Tonnen. Zudem ist die Gemeinde autofrei, allerdings mit ihren rund 550 immatrikulierten Elektrofahr- zeugen nicht verkehrsfrei. Die Bevölkerung kann ihre Abfallfraktionen nicht wie in anderen Orten mit dem Fahrzeug zu den Sammelstellen führen, sondern muss dies zu Fuss tun, denn nicht alle Strassen im Dorfgebiet sind befahrbar.

Dementsprechend wurden das Einsammeln und der Transport bei den damaligen 58 Sammelstellen als Pflicht in die Ausschreibung aufgenommen. Gemäss Anton Lauber, zuständiger Ressortvorsteher bei der Einwohnergemeinde Zermatt, war der Preis nicht alleiniges Zuschlagskriterium im Rahmen der öffentlichen Ausschreibung. Er wurde mit 50 Prozent gewichtet; ökologische und technische Kriterien zu 30 Prozent sowie Erfahrung und Referenzen zu 20 Prozent spielten ebenfalls eine Rolle.

Dreifache Innovation
Den Zuschlag erhielt die Schwendimann AG, der grösste private Anbieter im Bereich Abfallentsorgung im Grossraum Bern, die dafür das neu entwickelte Konzept «System-Alpenluft» anbot. Vor allem der ökologisch-technische Lösungsansatz überzeugte die Gemeindebehörden. Lauber präzisiert: «Aufgrund der saisonal grossen Abfallmengen wie Glas, bioorganische Abfälle und Metalle in allen Fraktionen und des begrenzten Platzangebots im dicht besiedelten Wintersportort hat der Ausschreibungsgewinner die richtigen Lösungen geliefert.»

Mit System-Alpenluft wurden drei neuartige Bestandteile, die bereits da und dort in der Industrie erprobt wurden, zu einem innovativen und einzigartigen Entwurf zusammengefasst. So arbeitet das System mit Abfallverdichtern. Der Abfall wird so direkt an der Sammelstelle komprimiert. Damit können die Behälter grössere Mengen aufnehmen, die Entleerungsfrequenz wird gesenkt und Fahrten lassen sich einsparen. Da die Verdichter je nach Standort unterschiedlich genutzt werden, schwankt die Fülldauer zwischen drei Tagen und vier Wochen.

Der Abtransport des Abfalls bis zur kommunalen Sammelstelle erfolgt mit elektrisch angetriebenen Fahrzeugen, die als Seitenstapler konzipiert wurden. Solche Fahrzeuge waren bislang vor allem in der Holzverarbeitung im Einsatz. Um die Anzahl Fahrten noch weiter zu reduzieren, setzt das Entsorgungskonzept zusätzlich auf eine automatische Zustandserfassung der Verdichter über die Logic-Box. Durch die Digitalisierung werden alle aktuellen Zustände wie Geoposition, Füllstände oder Anzahl der eingeworfenen Abfallsäcke erfasst und die Daten bei Bedarf automatisch versendet.

Über eine Website und eine Smartphone- App sind die Daten jederzeit einsehbar. Sobald die Behälter 75 Prozent und nahezu 100 Prozent der möglichen Füllmenge erreichen, werden SMS und E-Mails an die Zentrale geschickt. Gleichzeitig wird mit der Füllstandsmeldung eine automatische Wartungserinnerung ausgelöst. Manuel Wyss, Projektleiter bei der nun selbstständigen System-Alpenluft AG, gibt weitere Einblicke in die einzigartige Entsorgungslösung: «Wir haben so lange getüftelt, bis die Komponenten perfekt aufeinander passten. Die Modularität der Transportlösung war entscheidend. » Die Behälter mussten die Grundmasse von 5 Meter Länge und 1,2 Meter Breite aufweisen.

Neue Rahmenbedingungen
Seit der Umsetzung dieses neuartigen Entsorgungskonzepts konnte die Zahl der öffentlichen Kehrichtsammelstellen von 58 auf 45 reduziert werden. Ausschlaggebend für die Zufriedenheit der Gemeinde ist die Einrichtung der de- zentral verteilten Verdichter, in denen je das Volumen von rund 28 herkömmlichen 770-Liter-Abfallcontainern Platz findet. Daraus resultiert, dass weniger Fahrten für die Abfallsammlung notwendig sind.

Im Schwung dieser Innovation gelang es der Gemeinde Zermatt schliesslich, die Rahmenbedingungen und insbesondere das Abfallreglement anzupassen. Mit der Einführung einer Sackgebühr und der Separatsammlung von Bioabfällen hielt nun auch eine kommunale Entsorgungspolitik in Zermatt Einzug, die sich stärker am Verursacherprinzip orientiert. Das Ergebnis: Die Gesamttonnage der Siedlungsabfälle ist um über die Hälfte auf 2200 Tonnen gesunken. Dazu Anton Lauber: «Waren in früheren Jahren an Spitzentagen die Kehrichtunterstände mit Säcken massiv überfüllt, zeigen sich diese heute wieder von ihrer schöneren Seite.»

Weiterer Pilotversuch geplant
Die Innovation macht Furore im In- und Ausland. So gewann «System-Alpenluft » zusammen mit der Gemeinde Zermatt 2012 den Watt d’Or, erhielt an der IFAT 2016, der Weltmesse für Abwasser- und Entsorgungswirtschaft in München, einen Award für besonders innovative Arbeits- und Kommunalmaschinen und schliesslich im letzten November den Swiss Logistics Award. Gemäss dem Urteil eines Jurymitglieds müssten andere Bergdörfer und Kurorte ihre Abfallprobleme mit einem ähnlichen Ansatz bewältigen.

Sind diese Auszeichnungen bestes Sprungbrett auch für den Export der Idee? Projektleiter Manuel Wyss möchte zuerst einen Pilotversuch in einem urbanen Umfeld in der Schweiz starten: «Gerade in Städten, so glauben wir, wäre unsere Lösung genau richtig. Denn in Quartieren ist der Platz für das Sammeln von Abfällen begrenzt und eine lokale Verdichtung für maximale Kapazität die optimale Lösung.» In den letzten Jahren hätten die Städte massiv in Unterflur-Anlagen investiert, die in der Regel fünf Kubikmeter Volumen aufweisen. «Die Anlagen sind teuer und nicht überall realisierbar. Mit unseren stationären Verdichtern liesse sich viermal mehr Abfall auf der gleichen Grundfläche aufnehmen.»

Die Kernidee bleibt stets dieselbe: Abfall vor Ort verdichten schafft ökologische Effizienzvorteile, da die Verdichtung mit elektrischer Energie geschieht und zudem die Kapazität der Sammelstelle vervielfacht. Folglich wird die Frequenz für den Abtransport massiv reduziert. Zudem läuft der Informationsfluss zum Warenfluss parallel.

Manuel Fischer

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