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Mehr Selbstverantwortung für Unternehmen und mehr Sicherheit für Konsumenten

Paradigmenwechsel beim Lebensmittelrecht: War früher alles nicht Erlaubte verboten, ist es heute genau andersherum. Das bedingt neue Pflichten für die Industrie und gibt den Betrieben mehr Verantwortung. Michael Beer, Leiter Lebensmittel und Ernährung beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), schildert die wichtigsten Veränderungen.

GS1 network: Das neue Lebensmittelrecht erleichtert den Marktzugang. Machen die Lebensmittelhändler und Importeure davon bereits Gebrauch? Lassen sich Trends beobachten?
Michael Beer: Mit der neuen Philosophie des Lebensmittelrechts «Alles ist erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist» wird das Inverkehrbringen von innovativen Lebensmitteln leichter. Zudem geben wir vermehrt Ziele vor, überlassen es aber den Marktteilnehmern, den Weg dorthin selbst zu bestimmen. Es wird sicher eine Weile dauern, bis die Lebensmittelwirtschaft diese neue Freiheit nutzt. Es ist also definitiv zu früh, um bereits von neuen Trends zu sprechen.

Erhalten Sie Rückmeldungen aus der Unternehmenswelt zum neuen Lebensmittelrecht?
Ja, wir stehen durch unsere Arbeit in regelmässigem Austausch mit der Lebensmittelbranche. Experten aus der Branche waren bei der Erarbeitung des neuen Lebensmittelrechts sehr aktiv mit einbezogen. Seit April 2017 erfolgten im Rahmen mehrerer Informationsveranstaltungen Schulungen. Die bisherigen Rückmeldungen fallen positiv aus.

Welche wichtigen Veränderungen bringt das neue Regelungspaket für Unternehmen mit sich? Welche erfordern Mehraufwand, welche erleichtern das Geschäft?
Wir geben vermehrt die zu erreichenden Ziele vor: zum Beispiel, dass Lebensmittel sicher sein müssen. Den Weg dorthin bestimmen zu einem grossen Teil die Lebensmittelunternehmen respektive die Branche selber. Diese neue Philosophie führt zu weniger administrativer Belastung für die Unternehmen. Aber sie bedingt ein Umdenken und die Übernahme der Verantwortung. Wo früher vom Gesetzgeber Werte wie beispielsweise mikrobiologische Toleranzwerte vorgegeben wurden, ist nun die Lebensmittelwirtschaft gefordert, die gute Herstellungspraxis selbst zu definieren. Die Selbstkontrolle ist also die zentrale Säule einer guten Lebensmittelsicherheit und die Unternehmen sind gefordert, diese Verantwortung auch wahrzunehmen. Die Annäherung an das EU-Recht wird den Handel zudem für beide Seiten vereinfachen.

Die Unternehmen müssen die vorgegebenen Ziele selbstständig erreichen. Welche Unterstützung leistet das BLV dabei?
Das BLV schafft Voraussetzungen, damit die Sicherheit von Lebensmitteln auf hohem Niveau gewährleistet werden kann und die Konsumentinnen und Konsumenten vor Täuschung geschützt sind. Zudem unterstützt das BLV die Branchenverbände bei der Erarbeitung von Branchenleitlinien sowie beim Erstellen von Schulungs- und Informationsmaterial. Die Industrie ist aber gefordert, die mit der Freiheit einhergehende Verantwortung zu übernehmen und den Konsumentinnen und Konsumenten sichere, nicht täuschende und gesunde Produkte anzubieten.

Kleinstbetriebe sollen vermehrt Selbstkontrolle praktizieren. Welche Erwägungen stehen hinter diesem Ansatz? Was dürfen diese Betriebe anders machen als grössere?
Die Selbstkontrolle bleibt der zentrale Pfeiler des Lebensmittelrechts. Für Kleinstbetriebe sieht der Bundesrat jedoch eine erleichterte Selbstkontrolle und eine erleichterte schriftliche Dokumentation vor. Hintergrund der Erleichterung: Die vereinfachte Selbstkontrolle von Kleinstbetrieben mit maximal neun mitarbeitenden Personen reduziert deren administrativen Aufwand.

In der neuen Lebensmittel-Informationsverordnung werden Deklarationspflichten im Fernverkehr beschrieben. Welche Betriebe sind davon betroffen? Gehören neben den Onlineshops auch Telefonverkauf, Online- Lieferservices und die aktuell aufkommenden Frischprodukte- Lieferservices dazu?
Ja, da gehören all die genannten Verkaufsformen dazu. Das Lebensmittelgesetz sieht diese Deklarationspflicht für alle Firmen vor, die vorverpackte Lebensmittel auf Absatzkanälen zum Kauf anbieten, bei denen zwischen Käufer und Anbieter keine direkte physische Begegnung stattfindet.

Empfehlen Sie Unternehmen, sich bereits jetzt mit den nötigen Veränderungen zu beschäftigen und nicht die Übergangsfrist abzuwarten? Allenfalls entwickeln sich ja noch Branchenlösungen.
Es gibt Bereiche, in denen eine Übergangsfrist gilt. Es liegt an den Unternehmen, die Zeit zu nutzen und mit der Umsetzung frühzeitig zu beginnen. Das BLV gibt hier keine Empfehlung ab.

Wäre es nicht sinnvoll, dass der Bund selbst eine Datenbank zur Datenbereitstellung im Fernverkehr unterhält, wie das bereits im Gesundheitswesen der Fall ist?
Nein, das ist nicht Aufgabe des Bundes.

Mit Blick auf den Konsumenten steht der Täuschungsschutz im Vordergrund. Welche Aspekte gelten als täuschend, respektive was benötigt es zur Täuschung ganz genau?
Das ist richtig und wichtig: Für den Konsumenten bringt das neue Recht insbesondere Vorteile beim Schutz vor Risiken oder Täuschung. Die Vorgaben für die Deklaration und die Anforderungen an die Zusammensetzung von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen sind klarer als vorher. Eine Täuschung ist immer im Einzelfall zu beurteilen und es braucht eine Gesamtbetrachtung des Produkts. Es können keine allgemein gültigen Beispiele gegeben werden.

Welche Rolle spielt die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln respektive ihrer Bestandteile im neuen Gesetz?
Die Rückverfolgbarkeit ist ein wichtiger Pfeiler für eine gute Lebensmittelsicherheit. Daher wurde sie im neuen Recht auf weitere Bereiche ausgedehnt.

Wird diesen Anforderungen aus Ihrer Sicht bereits genügend entsprochen? Welche Lösungen oder Systeme kommen dabei zum Einsatz?
Aus Sicht des BLV wird den Anforderungen diesbezüglich genügend entsprochen.

Die Information der Konsumenten über die Lebensmittelbestandteile erhält allgemein einen hohen Stellenwert. Warum gewichtet das BLV diese Informationsverfügbarkeit so hoch?
Wie oben gesagt: Das BLV schafft Voraussetzungen, damit die Sicherheit von Lebensmitteln auf hohem Niveau gewährleistet werden kann und die Konsumentinnen und Konsumenten vor Täuschung geschützt sind. Ein besserer Gesundheitsschutz sowie ein besserer Schutz vor Täuschung waren zwei Hauptziele der Revision. Mit der geregelten und strukturierten Information auf Lebensmitteln können die Konsumentinnen und Konsumenten einen informierten Kaufentscheid fällen.

Es existieren bereits auf Datenhaltung spezialisierte Plattformen wie die GS1 trustbox. Damit können Unternehmen gesicherte Lebensmitteldaten publizieren, Konsumenten können diese online und mobil abrufen. Halten Sie diesen Ansatz der Informationsbereitstellung für sinnvoll?
Das BLV erarbeitet gesetzliche Vorgaben. Im Rahmen der Selbstkontrolle liegt es in der Verantwortung der Unternehmen, eine gute Datenqualität zu pflegen. Wie sie das erreichen, ist ihnen freigestellt. ||

Die Fragen stellten Alexander Saheb und Joachim Heldt.

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