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Quo vadis, Berufsbildung 2030?

Bildung, Forschung und Innovation spielen eine zentrale Rolle für die gesellschaftliche und die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. Wir haben uns mit Josef Widmer, Stellvertretender Direktor beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), über Strategien und Visionen für die höhere Berufsbildung unterhalten.


GS1 network: Welche Aufgaben hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation?
Josef Widmer: Unsere Aufgaben sind vielfältiger Natur, behandeln aber in erster Linie alle Themen rund um die Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik. Als Fachbehörde des Bundes für den Bereich Bildung, Forschung und Innovation entwickeln wir eine strategische Gesamtschau und erarbeiten dafür die entsprechende Leistungs- und Ressourcenplanung des Bundes. Hinzu kommen die Qualitätssicherung und die Weiterentwicklung des gesamten Bildungssystems sowie die Sicherstellung der Vergleichbarkeit und Transparenz der verschiedenen Berufsbildungs- und Weiterbildungsangebote. Unter Berücksichtigung der sich wandelnden Bedürfnisse des Arbeitsmarktes stellen wir ein breites, vielfältiges und qualitativ hochstehendes Bildungsangebot zur Verfügung.

Die Bereiche Bildung, Forschung und Innovation sind gemeinsam in einem Staatssekretariat untergebracht. Wieso? Was waren die Überlegungen?
Es handelt sich um die Einlösung eines bereits seit geraumer Zeit bestehenden Anliegens, dass Bildung, Forschung und Innovation auf Bundesebene unter einem Dach sind. Der Wunsch nach einer ganzheitlichen Betrachtungsweise von Bildung, Forschung und Innovation zeigte sich auch in der deutlichen Annahme der Bildungsrahmenartikel in der Bundesverfassung im Jahr 2006.

Führt das zu positiven Synergieeffekten?
Ja, auf jeden Fall. Vor der Fusion waren bei verschiedenen Dossiers wie den vierjährigen BFI-Botschaften jeweils zwei Bundesämter direkt involviert. Nun können wir diese Fragen aus einer Hand angehen. Auch in anderen Bereichen – namentlich in der internationalen BFI-Zusammenarbeit – profitieren wir von einer ganzheitlichen Betrachtungsweise auf Bundesebene. Zudem ist es für unsere BFI-Partner einfacher, wenn sie einen einzigen Ansprechpartner auf Bundesebene haben.

Im schweizerischen Bildungssystem gibt es unterschiedlichste Bildungswege. Welche Rolle kommt der höheren Berufsbildung zu?
Die höhere Berufsbildung bildet zusammen mit den Fachhochschulen, den pädagogischen Hochschulen und den Universitäten/ETH die Tertiärstufe des Bildungssystems. Die höhere Berufsbildung weist einen starken Praxisbezug auf und orientiert sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Damit versorgt sie die Wirtschaft mit ausgewiesenen Fachkräften. Die eidgenössischen Berufsprüfungen ermöglichen Berufsleuten eine fachliche Vertiefung und Spezialisierung nach der beruflichen Grundbildung. Die eidgenössischen höheren Fachprüfungen qualifizieren Berufsleute als Expertinnen und Experten in ihrer Branche oder für Leitungspositionen in Unternehmen. Die Bildungsgänge an höheren Fachschulen fördern Kompetenzen im Bereich der Fach- und Führungsverantwortung. Sie sind generalistischer und breiter ausgerichtet als die eidgenössischen Prüfungen.

Wie sieht die Strategie für die höhere Berufsbildung 2030 aus, welche Vision wird verfolgt?
Die höhere Berufsbildung ist bereits heute insgesamt gut aufgestellt. Dies soll auch so bleiben: eine arbeitsmarktnahe und gefragte Qualifizierungsmöglichkeit auf Tertiärniveau und ein wichtiger Baustein fürs lebenslange Lernen. Aktuelle Entwicklungen, wie die Digitalisierung und neue Lerntechnologien, sollen in der Ausbildung Berücksichtigung finden.

Warum und in welcher Weise stärkt der Bund die höhere Berufsbildung?
Der Bund misst der höheren Berufsbildung einen hohen Stellenwert bei. Aus diesem Grund hat das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung im Jahr 2013 das SBFI beauftragt, gemeinsam mit den Verbundpartnern ein Strategieprojekt zur Stärkung und Weiterentwicklung der höheren Berufsbildung zu lancieren. Im Rahmen des Strategieprojekts wurde unter anderem die subjektorientierte Finanzierung für Kurse zur Vorbereitung auf eidgenössische Prüfungen verabschiedet.

Die Bundesbeiträge an die Durchführung der eidgenössischen Prüfungen wurden zuvor von 25 auf 60 bis 80 Prozent erhöht. Ausserdem wurden neu aussagekräftige englische Titelbezeichnungen für die Abschlüsse der Berufsbildung beschlossen. Der Nationale Qualifikationsrahmen (NQR) Berufsbildung erleichtert die Orientierung im Bildungssystem und führt zu einer besseren Vergleichbarkeit der Schweizer Abschlüsse in Europa. Im Rahmen von «Berufsbildung 2030» überprüft das SBFI gemeinsam mit den Verbundpartnern die höheren Fachschulen hinsichtlich ihrer nationalen und internationalen Positionierung. Ausserdem werden Empfehlungen für die Anrechnung von Bildungsleistungen sowie Grundlagen für digitale Lehr- und Lernformen erarbeitet.

Wie beurteilen Sie die Positionierung der höheren Berufsbildung und wo steht sie im Vergleich zur akademischen Weiterbildung?
Die höhere Berufsbildung ist auf dem Arbeitsmarkt gut positioniert, nicht zuletzt durch den starken Einbezug der Organisationen der Arbeitswelt (OdA), welche die Arbeitsmarktnähe sicherstellen. Durch die eidgenössische Anerkennung der Abschlüsse können Arbeitgeber in der ganzen Schweiz gut einschätzen, welche theoretischen Kompetenzen und praktischen Fähigkeiten Absolventinnen und Absolventen der höheren Berufsbildung mitbringen. Die enge Verbindung von Theorie und Praxis ist das Alleinstellungsmerkmal der höheren Berufsbildung gegenüber der rein akademischen Weiterbildung.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Fachverbänden in der höheren Berufsbildung?
Die Zusammenarbeit mit den OdA – dazu zählen Sozialpartner, Verbände, Betriebe, öffentliche und private Anbietende von Lehrstellen und anderen Bildungsangeboten – ist im Rahmen der Verbundpartnerschaft aus Bund, Kantonen und OdA fest etabliert. Sie ist ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche höhere Berufsbildung. Ziel ist, sich gemeinsam für eine qualitativ hochstehende Berufsbildung einzusetzen.

Konkret bilden die OdA die Trägerschaften der eidgenössischen Prüfungen. Sie definieren die Prüfungsinhalte und sind für die Durchführung der Prüfungen verantwortlich. Im Bereich der höheren Fachschulen entwickeln und erlassen die OdA in Zusammenarbeit mit den Bildungsanbietern die Rahmenlehrpläne und bilden deren Trägerschaft. Das SBFI begleitet und unterstützt diese Prozesse.

Seit 2018 gibt es ein neues Subventionsmodell für die höhere Berufsbildung. Funktioniert es wie geplant, und welche Volumen wurden gesprochen?
 Die subjektorientierte Finanzierung von Kursen, die auf eidgenössische Prüfungen vorbereiten, ist seit ihrer Einführung gut angelaufen. Die Abwicklung der Gesuche für Bundesbeiträge funktioniert reibungslos. Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 16,3 Millionen Franken ausbezahlt und 4096 Beitragsgesuche genehmigt. Das heisst, dass rund 17 Prozent der Personen, die im Jahr 2018 eine eidgenössische Prüfung abgelegt haben, von Bundesbeiträgen profitieren konnten.

Die Gesamtheit der Bezügerinnen und Bezüger des Prüfungsjahrs 2018 wird erst Ende 2020 bekannt sein, da die Gesuche bis zu zwei Jahre nach der Prüfung eingereicht werden können. Weiter gilt es zu beachten, dass wir uns noch in einer Übergangszeit befinden: Ein Teil der vorbereitenden Kurse mit Beginn bis Mitte 2017 war noch kantonal subventioniert und die Teilnehmenden konnten für diese keine Bundesbeiträge beantragen. Für das Jahr 2019 wurden Bundesbeiträge von rund 44 Millionen Franken ausbezahlt.

Entlasten die Bundessubventionen nun die Unternehmen oder finanzieren diese die Berufsbildung von Mitarbeitenden noch so stark wie früher?
Erste Zahlen zeigen, dass die Arbeitgeberunterstützung im Bereich der eidgenössischen Prüfungen mit der neuen Subjektfinanzierung leicht zurückgegangen ist. So ist der Anteil der Arbeitgeberbeiträge pro Kandidat oder Kandidatin bei den Berufsprüfungen von 45 auf 35 Prozent und bei den höheren Fachprüfungen von 47 auf 41 Prozent gesunken. Dies war infolge der Einführung dieser höheren öffentlichen Finanzierung ein Stück weit zu erwarten.

Nichtsdestotrotz erwartet das SBFI, dass sich die Arbeitgeber weiterhin engagieren. Neben direkter finanzieller Unterstützung kann dies auch in Form von Zeitguthaben oder durch Vorfinanzierung der Kursgebühren bis zum Erhalt der Bundesbeiträge erfolgen. Diese Entwicklungen werden im Rahmen eines Monitorings beobachtet.

Digitalisierung in der (höheren) Berufsbildung: Was ist die Rolle des SBFI? Was sind die Ziele?
Die höhere Berufsbildung ist mit den Auswirkungen der Digitalisierung unmittelbar konfrontiert. Bei der Entwicklung von Prüfungsordnungen und Rahmenlehrplänen werden die Anforderungen der Digitalisierung konsequent berücksichtigt und fliessen in die Berufsprofile der Abschlüsse ein. Es entstehen aber auch gänzlich neue Berufe, zum Beispiel im Bereich Cyber Security. Zudem werden im Rahmen der Initiative «Berufsbildung 2030» die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung breit diskutiert und Massnahmen eingeleitet.

Wie sehen konkrete Projekte aus?
 Im Rahmen von «Berufsbildung 2030» gibt es zum einen ein Projekt zur Beschleunigung der Zusammenarbeit bei der Berufsentwicklung. Es zielt darauf ab, dass die OdA ihre Ausbildungsinhalte rasch der dynamischen Entwicklung des wirtschaftlichen oder technologischen Umfelds anpassen können. Dafür werden Grundsätze für einen reibungslosen Ablauf der Revisionsprozesse festgelegt. In einem weiteren Projekt wird der Umgang mit digitalen Lehr- und Lernformen bei der Anerkennung von Bildungsgängen geprüft und es werden Grundlagen dafür erarbeitet.

Seit 2014 ist der NQR Berufsbildung in Kraft. Welche Bilanz ziehen Sie nach sieben Jahren?
Der Nationale Qualifikationsrahmen Berufsbildung erleichtert die Orientierung im Bildungssystem und trägt zur besseren Vergleichbarkeit der Schweizer Abschlüsse in Europa bei. Mithilfe des von der EU erarbeiteten Europäischen Qualifikationsrahmens – der als Referenzinstrument dient – sind die Schweizer Abschlüsse einfacher mit Abschlüssen anderer Länder vergleichbar. Die Einstufung der Abschlüsse erfolgt einzeln für jeden Abschluss anhand der Kompetenzen, die eine qualifizierte Berufsperson aufweist. Eine Einstufung erfolgt immer auf Antrag der Trägerschaft des Berufes und ist deshalb für diese mit einem gewissen Aufwand verbunden.

Unterdessen ist die berufliche Grundbildung fast vollständig in den NQR Berufsbildung eingestuft und die dazugehörigen Zeugniserläuterungen stehen auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch im Berufsverzeichnis des SBFI zur Verfügung. Bei der höheren Berufsbildung können wir für etwas mehr als die Hälfte der Abschlüsse bereits Diplomzusätze in vier Sprachen ausstellen. Das Verzeichnis der eingestuften Abschlüsse ist online einsehbar. Nach erfolgter Einstufung erhalten die Absolventinnen und Absolventen die Diplomzusätze direkt mit ihrem Fachausweis oder Diplom. Wer sein Diplom vor der Einstufung erworben hat, kann beim SBFI einen nachträglichen Diplomzusatz beantragen. Bisher wurde ein solcher in rund 1200 Fällen beantragt – dies zeigt, dass die Diplomzusätze als nützlich erachtet werden.

Was bedeutet das für die Zukunft des NQR?
Der NQR Berufsbildung muss sich wie die Berufsbildung selbst fortlaufend weiterentwickeln, um aktuell zu bleiben. Wir stufen nach Bedarf der Trägerschaften stetig weitere Abschlüsse ein und auch die vorhandenen Zeugniserläuterungen und Diplomzusätze werden aktualisiert, sodass die Absolventinnen und Absolventen der Berufsbildung ihre Kompetenzen im In- und Ausland sichtbar machen können.

Welchen Einfluss hat die Corona- Krise auf die Berufsbildung in der Schweiz?
Das ganze Ausmass der Auswirkungen von Corona auf den Wirtschaftsstandort Schweiz und somit auf die Berufsbildung, die stark mit der Wirtschaft korreliert, ist zurzeit noch nicht absehbar. Ich könnte mir aber vorstellen, dass insbesondere die Digitalisierung einen grossen Vorwärtsschub erhält, sowohl was das Lernen als auch das Lehren anbelangt.

Zudem hat Corona gezeigt, wie wertvoll ein gut funktionierendes Gesundheitssystem ist. Dies dürfte zu einer Aufwertung der Gesundheitsberufe führen und hoffentlich auch dazu, dass in diesem Berufsfeld mehr Lehrstellen angeboten werden. Auch ökologische Aspekte könnten in diversen Branchen und Berufen vermehrt an Bedeutung gewinnen.

Die Fragen stellte Joachim Heldt.
 

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