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Beginn einer globalen Shopperkultur

David Bosshart, CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts (bs) David Bosshart, CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts und Trendforscher, untersucht mit seinem Team den Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft sowie deren Zusammenhänge und Wechselwirkungen. Gemeinsam erarbeiten sie Thesen und Prognosen über die zukünftige Entwicklung. Im Gespräch äussert er sich über die Hintergründe unserer heutigen Konsum- und Shoppingkultur.

GS1 network: Wofür steht Konsum heute in unserer Gesellschaft?
David Bosshart: Konsum ist negativ, Shopping ist positiv. Der Konsument ist passiv, verzehrend, wie es das Wort sagt, ja oftmals nur wegwerfend, und wenig sich dessen bewusst, was er tut. Das ist nicht gut in einer Welt, die neu wieder die Knappheit und Endlichkeit von Ressourcen kennenlernt. Shopping hingegen ist lustvoll, anregend, inspirierend, längst ein Teil meiner Identitätsbildung und immer mehr Lifestyle geworden in den letzten 20 Jahren.

Es ist kein Zufall, dass das Shopping auch in der Krise eine stüt-zende wirtschaftliche Kraft war. Wir stehen am Beginn einer globalen Shopperkultur, in der die Menschen sich selbst mit iPad, H&M, Swatch oder Prosecco besser kennenlernen. Ob Dubai, Sao Paulo, Shanghai, Chicago oder Madrid – wir sind genauso Shopper geworden, wie wir Bürger und Menschen sind. Nun müssen wir den bewussten Konsum fördern, damit der Shopper seine Lust weiter ausleben kann.

Wie hat sich das Konsumverhalten in den letzten 50 Jahren verändert?
Ultrakurz: Zuerst war der Versorgungskonsum mit vielen Engpässen, vor allem im Ernährungshandel, geprägt vom Bild des Zweiten Weltkriegs, in dem die Menschen viele Entbehrungen und Hunger über sich ergehen lassen mussten. Haushälterischer Umgang mit dem Einkommen war das Entscheidende. Dann der Wunschkonsum, geprägt vom Überfluss und den Marken einer westlich dominierten Welt. Heute haben wir eine Mischung: zwischen gratis, billig, teuer und unbezahlbar. Die meisten Dienstleistungen im Netz sind gratis – von Google Maps bis zu den Porno-Anbietern. Die Food Discounter, ein Erbe aus der Zeit, als die Menschen als erstes Ziel einen vollen Teller hatten, haben beispielsweise in den 80er- und 90er-Jahren das Kaufverhalten ganzer Länder wie Deutschland umgekrempelt und die Konsumenten sozusagen umerzogen – billig ist besser, so die Botschaft. Daneben gibt es den – teuren – WerteKonsum, also Mehrwertprodukte, die auf Umwelt, nächste Generation und Tiere Rücksicht nehmen. Und schliesslich das Unbezahlbare, was nicht mit Geld kaufbar ist: eine unverbaubare Seesicht, ein Musikinstrument, das über Generationen vererbt wird, oder schlicht und einfach Kundentreue, die nicht monetär motiviert ist.
 
Welche Konsumtrends erwarten Sie für die kommenden Jahre?
Eine rasch voranschreitende Fragmentierung: Die Konsumlandschaft wird älter, weiblicher, ausländischer, mobiler, gestresster, wählerischer, informierter, ichbezogener.
 
Wo liegt Ihrer Meinung nach die Grenze zwischen «natürlichen» Konsumbedürfnissen der Menschen (Nahrung, Behausung) und jenen, die künstlich geschaffen werden? Sind beide noch steigerbar?
Das lässt sich nicht wirklich festmachen – Hybridität ist das Thema. Das Leben beginnt häufig dort, wo das Notwendige aufhört. Das gilt für mo-netär arme Menschen wie reiche Menschen zugleich.
 
Welche Bedeutung haben die Social Media auf das Konsumverhalten? Werden die klassischen Verkaufsstra¬tegien (Marketingmassnahmen) der Unternehmen durch die Social Media unterlaufen oder sogar bedeutungslos?
Zweifellos. Die mobilen Smartgeräte beschleunigen die Veränderungen. Die verschiedenen Produktkategorien gehorchen allerdings anderen Regeln: In der Mode können sie sich schneller verändern, beim Essen etwa geht das viel langsamer. Aber der Übergang von den klassischen Medien zur Dominanz von Suchmaschinen und nun zu Social Media mit der Beeinflussung von sogenannten Freunden ist eine Revolution.
 
Wo befinden sich die Märkte der Zukunft? In der Stadt oder in Shoppingcentern auf der grünen Wiese?
Die grosse Trennung ist die zwischen Stadt und Land. Urbanisierung ist nicht rückgängig zu machen. Die Jobs der Zukunft sind trotz Internet und Smartgeräten in der Stadt und ihrer Agglomeration. Das Land ist der Ort des Tourismus, des Bleisure (Leisure kombiniert mit Business), also eher für das Wochenende. Ein attraktives Shoppingcenter ist ein Lifestyle-Center, das kraft seiner Mieter, vor allem auch mit Restaurants und Services, Menschen zum Hinreisen verführt.
 
Ein Kauf ist auch ein Akt des Ver-trauens zwischen Konsument und Anbieter bzw.Verkäufer: Wie hat sich dieses Vertrauensverhältnis verändert?
Vertrauen ist die wichtigste und kostbarste Ressource überhaupt, denn die Skandale, aber auch die Propaganda bis hin zur übelsten Art, werden zunehmen. Nebst den Marken spielen vor allem Persönlichkeiten eine Rolle, die mich beeinflussen und von denen ich mich beeinflussen lasse, weil ich ihre Meinung für wertvoll halte.
 
Das Cluetrain-Manifest von 1999 postuliert unter anderem: «Märkte sind Gespräche!» Hat sich diese These heute – über 10 Jahre später – bestätigt, wurde sie widerlegt oder hat sie sich weiterentwickelt?
Märkte sind heute nur noch Gesprä-che – aber das heisst: vom Geschwätz bis zum Argument geht alles. Wir sind heute Informationsgiganten und Wis-senszwerge. Auf der einen Seite steht die «No bullshit»-Fraktion, die sich nach Authentizität und Glaubwürdigkeit sehnt. Auf der anderen Seite gibt es die «Laissez-faire»-Fraktion, für die alles gut ist, was der Markt bietet. Letztendlich dürfen wir auch die Machtfrage nicht vergessen: Wer setzt sich durch? Zu dieser Frage wird übrigens ein Mitautor des Cluetrain-Manifests, Doc Searls, an der Trendtagung des GDI im März mitdiskutieren. Ich persönlich erwarte für die Zukunft eher eine Kakofonie von Interessen denn klar identifizierbare Entwicklungen.

Die Fragen stellte Bernhard Sticker.

 

Zur Person
David Bosshart ist CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, eines der führen¬den europäischen Think Tanks. Er ist Autor diverser Publikationen, u.a. von «Kultmarketing», «Die Zukunft des Konsums», «Billig», und Referent bei Veranstaltungen in Europa, den USA und Asien. Schwerpunkte sei¬ner Arbeit sind Handel und Konsum, Management und gesellschaftlicher Wandel.
 

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