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"Vertrauen ist die wichtigste Voraussetzung für Kollaboration."

Im Wettbewerb zählt Schnelligkeit. Unternehmen müssen in kürzester Zeit handeln und reagieren. Hier setzt Kollaboration ein. GS1 network hat sich mit Dirk Morschett, Professor für Management an der Universität Fribourg, über das Erfolgsmodell Kollaboration unterhalten.

GS1 network: Wie ist der Begriff Kollaboration zu verstehen, und wo im Unternehmen ist er einzuordnen?

Dirk Morschett: Kollaboration bezeichnet ganz allgemein die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen unabhängigen Unternehmen, mit der Absicht, dadurch Ziele besser erreichen zu können als bei individuellem Vorgehen. Im engeren Sinne wird der Begriff Kollaboration heute meist für die Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette, also mit Kunden und Lieferanten, verwendet. Dabei geht es darum, Prozesse unternehmensübergreifend aufeinander abzustimmen, um dadurch effektiver und effizienter agieren zu können.
Im Prinzip ist Kollaboration damit auf allen Ebenen des Unternehmens einzuordnen. Versteht man Kollaboration als Unternehmensphilosophie, die auf der Erkenntnis aufbaut, dass wirklich effiziente Wertschöpfungsketten nur in enger Zusammenarbeit mit den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungspartnern realisiert werden können, dann ist es natürlich die Aufgabe der Geschäftsleitung, dies in der Unternehmenskultur zu verankern und die Voraussetzungen zu schaffen, dass kollaborative Prozesse im Unternehmen entwickelt werden können. Aber wirklich gelebt werden muss Kollaboration letztlich von den Mitarbeitenden, beispielsweise in der Logistik und im Marketing, die mit ihren Kolleginnen und Kollegen bei Lieferanten oder Kunden täglich in den operativen Prozessen zusammenarbeiten.

Wo liegt genau der Unterschied zwischen Kooperation und Kollaboration?

In der Literatur werden die Begriffe Kooperation, Allianz, Zusammenarbeit und Kollaboration eigentlich ohne klare Unterscheidung verwendet, sie bezeichnen also weitestgehend das gleiche Phänomen. Es geht immer um die freiwillige Zusammenarbeit zwischen unabhängigen Unternehmen.
Im Rahmen der Wertschöpfungskette oder von Wertschöpfungsnetzwerken wird dabei, wie schon erwähnt, meist der Begriff Kollaboration verwendet. Da dieser Begriff historisch belastet ist, wird in der Management-Literatur auch das englische Wort Collaboration benutzt.

Was sind generell die Zielsetzungen von Kollaboration?

Allgemein kann man sagen: Es geht um die berühmte Win-win-Situation. Und bei der Kollaboration ist dies nicht nur eine hohle Phrase, sondern von zentraler Bedeutung, denn auf Dauer funktioniert eine freiwillige Zusammenarbeit eben nur, wenn beide Partner davon profitieren. Und die Ziele der jeweiligen Partner können dabei vielfältig sein; sei es die Steigerung des Umsatzes, die Verringerung der Logistikkosten oder die Verbesserung der Nachhaltigkeit.
Konkreter geht es darum, die Effektivität und Effizienz von Wertschöpfungsketten in der Konsumgüterwirtschaft zu erhöhen. Effektivität heisst, man will die Kundenbedürfnisse gemeinsam immer besser verstehen und befriedigen. Effizienz bedeutet, dass dies mit möglichst geringem Ressourceneinsatz geschehen sollte, also beispielsweise mit weniger Transporten und damit weniger Emissionen und geringeren Kosten, ohne unnötige Lagerhaltung, mit einem möglichst schonenden Umgang mit der Natur. Das Schöne an einer effizienten Wertschöpfungskette ist, dass hier ökonomische und ökologische Ziele Hand in Hand gehen.

Warum sind gut vernetzte Unternehmen erfolgreicher?

Ohne Kollaboration können Unternehmen nur ihre internen Prozesse optimieren. Und dies ist schon vor Jahrzehnten recht erfolgreich geschehen. Aber an den Schnittstellen zwischen den Unternehmen blieben Reibungsprobleme be­stehen. Ohne einen umfassenden Informationsaustausch und Wissen über die anderen Unternehmen in der Wertschöpfungskette führt eine lediglich unternehmensinterne Optimierung nämlich insgesamt zur Verschwendung, beispielsweise zu hohen Lagerbeständen, nicht optimalen Bestellmengen, Out-of-Stocks. Mit gut aufeinander abgestimmten, unternehmensübergreifenden Prozessen können diese Probleme erheblich gemildert werden – und dies zu niedrigeren Kosten.
Im Marketing führt eine fehlende Abstimmung zu fehlgeleiteten Marketingausgaben, während gemeinsame Aktivitäten von Lieferant und Händler auf besseren, gemeinsamen Insights über die Kundennachfrage und den optimalen Zeitpunkt aufbauen und damit effektiver wirken.
Und auch die Nachhaltigkeitsinitiativen, bei denen Händler gemeinsam mit ihren Lieferanten im globalen Kontext die sozialen Standards für Mitarbeitende verbessern, Produkt- und Produktionsstandards sicherstellen und Lieferketten ökologisch verbessern, sind nur mit einer guten Vernetzung dauerhaft zu realisieren.

Nennen Sie zwei Beispiele für veränderte Prozesse dank Kollaboration.

Im Grunde existieren zwei der besten Beispiele für erfolgreiche Kollaboration zumindest in ihren Grundzügen nun schon fast zwei Jahrzehnte. Das eine ist Efficient Replenishment, also die Zusammenarbeit beim Warennachschub zwischen Herstellern und Händlern unter Einbezug von Logistikdienstleistern. Diese beruht auf einem intensiven Informationsaustausch, und je nach Situation werden verschiedene Standardprozesse eingesetzt, beispielsweise Vendor Managed Inven­tories. Mit Efficient-Replenishment-Prozessen ist es nachweisbar gelungen, die Lagerbestände in vielen Wertschöpfungsketten deutlich zu reduzieren und dabei die Verfügbarkeit für den Kunden gleichzeitig zu verbessern.
Auf der Marketingseite ist es wohl das Category Management, das die Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie im letzten Jahrzehnt am stärksten verändert hat. Auch dieses Konzept ist schon in den 1990er-Jahren entstanden, hat sich aber doch erst in den letzten zehn Jahren wirklich auf breiter Front durchgesetzt.

Und wie wirkt sich Kollaboration auf den Unternehmenserfolg aus? Lässt sich der Erfolg überhaupt quantifizieren?

Kollaboration ist ein wichtiger Baustein zur Optimierung von Prozessen, die dann auf allen Ebenen im Unternehmen Vorteile bringen. Die Summe aller dieser Vorteile lässt sich schlecht quantifizieren. Für einzelne Prozesse oder Projekte ist der Erfolg aber durchaus quantifizierbar. Am einfachsten fällt dies in der Logistik, wo Einsparungen in den Lagerbeständen oder in den Out-of-Stocks klar nachzuweisen sind. In den letzten Jahren wurde dabei der Blick immer stärker auch auf die ökologische Optimierung gelenkt; und auch hier kann man die CO2-Einsparungen, die durch eine kollaborative Optimierung einer Lieferkette erreicht wurden, meist recht klar messen.
Zur Quantifizierung des Erfolgs und des verbleibenden Potenzials lohnt sich ein Blick auf die Global Scorecard, ein Messinstrument, das von vielen wichtigen Verbänden – darunter GS1, ECR Europe und The Consumer Goods Forum – getragen wird und mit dem Verbesserungspotenziale identifiziert und Verbesserungen gemessen werden können.

Was sind die Vorbehalte gegenüber Kollaboration?

Zum Teil haben Unternehmen sicherlich Vorbehalte gegenüber einer zu grossen Transparenz und einem zu weit gehenden Informationsaustausch mit ihren Lieferanten oder ihren Kunden. Denn es bleiben ja nach wie vor unabhängige Unternehmen, die für ihre jeweiligen Gewinne verantwortlich sind und dazu auch mit dem Wertschöpfungspartner zum Teil harte Verhandlungen führen. Die Befürchtung ist natürlich, dass zu umfassende In­formation die Verhandlungsposition schwächt. Dann gehen viele Unternehmen auch davon aus, dass sie Wettbewerbsvorteile, die sie durch sehr gute interne Prozesse haben, dann besser sichern können, wenn sie diese eben nicht in Kollaboration, sondern individuell gestalten. Auch gibt es Vorbehalte darüber, ob der mögliche Kooperationspartner wirklich im Interesse meines Unternehmens und nicht nur seines eigenen die Prozesse und Aktivitäten optimiert.
Gerade in der Konsumgüterwirtschaft besteht natürlich eine sehr komplexe Konkurrenz-Kooperations-Situation, denn hier beliefern meist die gleichen Lieferanten unterschiedliche Händler, und umgekehrt beziehen die Händler Produkte von konkurrierenden Lieferanten.

Inwiefern sind diese Vorbehalte auch berechtigt?

Zum Teil sind die Vorbehalte berechtigt, aber dennoch muss man die Probleme lösen, ohne dabei auf Kollaboration zu verzichten. Gemeinsam kann man grosse Einsparungen erzielen. Und dann stellt sich die Frage, wie man diese Einsparungen fair aufteilt. Aber es darf nicht sein, dass Misstrauen bezüglich der zweiten Frage die Optimierung verhindert.
In der Supply Chain können Prozesse häufig kollaborativ verbessert werden. Und wenn dabei auf Standardprozesse gesetzt wird, ist dies oft für alle Beteiligten besser, denn es vermeidet Kosten, die für jeweils individuelle Lösungen entstehen. Und der Vorbehalt, dass man damit einen Wettbewerbsvorteil aufgeben würde, ist meist unberechtigt, denn durch die komplexen Vernetzungen von Händlern, Herstellern und Logistikdienstleistern sind Standardprozesse in der Gesamtsicht wesentlich effizienter. Es schadet einem Unternehmen nicht, wenn auch die anderen besser werden.
Im Marketing muss man meines Erachtens selektiver vorgehen, um die genannten Vorbehalte zu überwinden. Mit wichtigen und vor allem vertrauenswürdigen Lieferanten und Partnern, bei denen auch die strategischen Ziele übereinstimmen, enger zusammenzuarbeiten ist wichtig, um Kundenbedürfnisse optimal zu befriedigen. Dabei darf man natürlich nicht naiv vorgehen. Natürlich hat ein Partner Eigeninteressen, aber es gilt, die gemeinsamen Ziele zu identifizieren und optimal zu erreichen. Aber dies ist aus meiner Sicht nicht mit allen Lieferanten in einer Warengruppe, sondern nur mit ausgewählten, strategischen Partnern sinnvoll. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch dazu, hier auf Standardprozesse wie zum Beispiel Category Management zu setzen, die Inhalte aber sehr individuell auszugestalten.
Dennoch: Im weltweiten Vergleich halten sich seit vielen Jahren gerade die Unternehmen hinsichtlich Marketing, Supply Chain oder Nachhaltigkeit an der Spitze, welche in diesen Bereichen einen kollaborativen Gedanken verfolgen und dies auch offen kommunizieren.

Verändert Kollaboration die Kultur eines Unternehmens?

Ich denke schon. Es gibt Unternehmen, die sehr offen für Kollaboration sind, die in vielen Bereichen kollaborative Prozesse implementieren, die damit erfolgreich sind und bei denen Kollaboration Kernelement ihrer Unternehmenskultur ist.
Bei vielen anderen geht dies nicht so weit, aber man kann eine schrittweise Veränderung der Unternehmenskultur beobachten, zumindest in einzelnen Funktionsbereichen. Einzelne Kooperationsprojekte (häufig nicht wirklich aus Überzeugung angestossen, sondern weil es gerade in Mode ist) belegen die Vorteilhaftigkeit der Kooperation, zum Beispiel in der Supply Chain. Dann werden weitere Projekte angestossen, und langsam wächst die Einsicht, dass in vielen Bereichen eben Kollaboration die bessere Lösung ist. Wenn es dann zum üblichen Vorgehen wird im Unternehmen, Prozesse kollaborativ zu optimieren, ist es Teil der Kultur geworden.

Welches sind die wichtigsten Faktoren einer erfolgreichen Kollaboration?

Im Grunde gibt es drei wichtige Faktoren, die in der Literatur auch immer wieder hervorgehoben werden: Erstens müssen die Partner einheitliche strategische Ziele verfolgen, zweitens müssen die Partner auch bezüglich ihrer Ressourcen, Systeme, Infrastrukturen sowie ihrer allgemeinen Unternehmenssituation zusammenpassen. Dies sind die harten Faktoren. Drittens, und vielleicht am wichtigsten, müssen aber auch die weichen Faktoren stimmen, das heisst, die Einstellungen und Werte der Partner sollten zueinander passen. Oder, wie man so schön sagt, die Chemie zwischen den Menschen muss stimmen. Denn Vertrauen ist die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiche Kollaboration.

«Es ist Aufgabe der Geschäftsleitung die Voraussetzungen zu schaffen, dass kollaborative Prozesse im Unternehmen entwickelt werden können.»

Inwieweit spielt ECR für Kollaboration eine Rolle?

In der Konsumgüterwirtschaft bildet Efficient Consumer Response seit nunmehr fast 20 Jahren den Rahmen, in welchem kollaborative Best-Practice-Prozesse und Standards ent­wickelt werden. Im Grunde hat ECR – ausgehend von einzelnen Beispielen effizienter kollaborativer unternehmensübergreifender Prozesse – die Vision geliefert, warum Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette zusammenarbeiten sollen. Unter dem heutigen Motto «Working together to fulfill consumer wishes better, faster, at less cost and in a sustainable way», das fast unverändert seit zwei Jahrzehnten gilt, wurde verdeutlicht, dass wirklich effiziente und effektive Wertschöpfungsketten im Dienste des Konsumenten nur durch Kollaboration von Konsumgüterherstellern und Händlern unter Einbezug der beteiligten Dienstleister erreicht werden können.

Kennen Sie Beispiele, bei denen sich Kollaboration negativ – das heisst zum Nachteil eines Unternehmens – ausgewirkt hat?

Explizit fällt mir kein Beispiel ein. Entlang der Wertschöpfungskette hat eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den wichtigen Lieferanten und Kunden fast immer Vorteile. Natürlich hat es Fälle gegeben, in denen der mächtigere Partner in der Wertschöpfungskette seine Probleme auf Kosten der anderen gelöst hat, beispielsweise indem er die eigenen Lagerbestände reduziert hat und der Partner dafür seine Lagerbestände überproportional erhöhen musste, ohne dafür kompensiert zu werden. Aber dies ist gerade nicht Kollaboration.

Gesellschaftlich leben wir in einer Zeit zunehmender Individualisierung. Steht das Ihrer Meinung nach nicht im Widerspruch zum Konzept der Kollaboration?

Hier bin ich anderer Meinung. Soziale Netzwerke boomen, mit dem Web 2.0 setzen wir auf User-Generated Content, Wikipedia hat Standard-Enzyklopädien ersetzt. Open-Source-Software hat wichtige Marktanteile erzielt, Firefox ist einer der weltweiten Marktführer bei Webbrowsern. All dies sind Formen der Kollaboration, die auf der Leistung von Individuen aufbauen, diese aber in moderne Crowd-Phänomene überführen. Damit geht der gesellschaftliche Trend zwar in Richtung Individualisierung, aber zugleich auch in Richtung Vernetzung.
Dies hat interessante Parallelen zu unserem Thema der Kollaboration in der Wertschöpfungskette: Viele Leute arbeiten an interessanten Lösungen. Und diese Arbeit muss mit entsprechenden Regeln und Standards gesteuert werden, um effektiv und effizient zu sein, um Redundanzen zu vermeiden, Stärken optimal zu nutzen und letztlich auch breite Akzeptanz und Anwendung zu finden.

Was bringt uns die Zukunft? Mehr Kollaboration oder mehr Individualismus?

Ich denke, eindeutig mehr Kollaboration. Es werden Wertschöpfungsketten bzw. -netzwerke gegeneinander konkurrieren, von Rohstofflieferanten über Hersteller bis zu Händlern, und weniger einzelne Unternehmen. Die Entwicklung dahin können wir heute schon beobachten.

Die Fragen stellte Joachim Heldt.

Zur Person
Univ.-Professor Dr. Dirk Morschett ist Professor für Management an der Universität Fribourg und Inhaber des Liebherr/Richemont Endowed Chair for International Management. Daneben war und ist er Dozent in verschiedenen Master-Programmen. Unter anderem war er als Gastdozent in Hong Kong, Dublin, Basel, Bangkok, Cluj-Napoca und Santiago de Chile tätig. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich des Handelsmanagements und des Marketings, insbesondere in den Feldern Kooperation, Online-Handel, Cross-Channel-Handel und Retail Branding, sowie im Bereich der Internationalisierung.
Zu diesen Themen ist er auch als Referent, Moderator und Berater aktiv. In diesen Funktionen arbeitete er unter anderem für SAP, ZGV – Der Mittelstandsverbund, Markant Deutschland, Edeka, Coop, E/D/E, T-Systems, Kaufland und ECR Europe. Zudem ist er im Strategie-Beirat des Unternehmens retailsolutions mit Sitz in Zug. Für GS1 Schweiz hat er die Entwicklung der neuen Strategie aktiv begleitet.

 

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