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Mit Standards lebt sich’s meistens leichter

Standards sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Bisweilen aber sind sie auch dazu da, dass man sich über sie hinwegsetzt.

(hm) Würden Sie ein Flugzeug besteigen, das internationalen Mindeststandards bezüglich Sicherheit nicht entspricht? Wie gross sind die Chancen, Dancing Star zu werden, wenn man die Standardtänze nicht beherrscht? Wie glaubwürdig wäre eine Zeitung, die sich «Der Standard» nennt, ihren Lesern jedoch ausschliesslich unbedeutenden Boulevard-Tratsch vorsetzt? Sind Sie der Typ, der sich beim Kauf eines neuen Wagens mit der Standardausstattung begnügt? Und was wäre der Jazz ohne die Standards, einprägsame Melodien als Ausgangsmaterial für unendlich viele Variationen? Standards sind aus unserem Leben nicht wegzudenken. Aber die Assoziationen, die wir mit diesem Begriff verbinden, reichen von «solid» bis «langweilig», von «fair» bis «fundamentalistisch», von «kreativ-inspirierend» bis «einengend ».
Wir starten auf der Schattenseite des ambivalenten Begriffs «Standard». In Richard Wagners einziger halbwegs komischer Oper, den Meistersingern, tritt ein Herr Beckmesser auf. Er prüft mit unerbittlicher Strenge und zum Gaudium des Publikums, ob die Lieder der Contest-Teilnehmer dem vorgeschriebenen Versmass entsprechen.
Er hält sich an die Standards, an die Spielregeln der Nürnberger Gesangsschule – und erntet für seine Messgenauigkeit beim Publikum Spott und Hohn. Seither gilt laut Duden die Beckmesserei als eine «Kritik, die sich an Kleinigkeiten stösst, dabei aber den grossen Zusammenhang übersieht». So leicht verkommt der Standard vom Mass zum Mittelmass.

Standards sind aus unserem Leben nicht wegzudenken. Die Assoziationen reichen von «solid» bis «langweilig», von «fair» bis «fundamentalistisch», von «kreativ-inspirierend» bis «einengend».

In seiner ursprünglichen Bedeutung aber steht der Standard für das gute Beispiel, für Best Practice. Diese setzt, um ihre Funkt

ion erfüllen zu können, eine Schar Gleichgesinnter voraus, die der Wille eint, nach Besserem zu streben. Standards sind somit Qualitätsverbesserungsprogramme, die sich eine Gemeinschaft auferlegt. Künstler und andere Originale sehen in sich selbst das Mass aller Dinge, verabscheuen daher Standards. Bisweilen aber unterwerfen auch sie sich den Spielregeln, die andere aufgestellt haben – zum Beispiel wenn sie sich als Schriftsteller in Klagenfurt einer ExpertenJury stellen. Andere machen Karriere, indem sie gegen Standards flammenden Protest erheben – wie zum Beispiel Martin Luther in Wittenberg oder Peter Handke damals auf der Versammlung der Gruppe 47 in Princeton, USA.

Standards als «Enabling Technology »

Im Wirtschaftsleben erfüllen Standards eine ebenso einfache wie plausible Funktion. Sie sind unglaublich praktisch, sprich kosten-, zeit- und nervensparend. Die Artikel- und Firmenidentifikation, von GS1 verwaltet, schafft Unverwechselbarkeit, räumt solcherart mit Missverständnissen auf und macht Komplexität operabel. Gegen Fälschungen ist freilich kein GS1 Kraut gewachsen. Davon abgesehen aber ist der Code die perfekte Kürzelsprache im Wirtschaftsverkehr, ein Rationalisierungsfaktor von hohem Win-win-
Potenzial für die Glieder der Supply Chain. Daher sind die GS1 Standards als «Enabling Technology» für alle ECR- und Datenübertragungsprozesse unverzichtbar, egal ob auf Supply oder Demand Side. Und sie tragen dazu bei, dass Distributionssysteme von grosser Sortimentstiefe die Kostenvorteile der Diskonter-Logistik zumindest teilweise kompensieren können.

Dr. Hanspeter Madlberger, Freier Wirtschaftsjournalist: «In seiner ursprünglichen Bedeutung steht der Standard für das gute Beispiel, für Best Practice. Diese setzt, um ihre Funktion erfüllen zu können, eine Schar Gleichgesinnter voraus, die der Wille eint, nach Besserem zu streben.»

Academic Partnership

Entscheidend für die Akzeptanz und das Funktionieren von firmen- und märkteübergreifenden Standards ist die Art und Weise, wie sie zustande kommen. Die Rede ist vom Spannungsfeld zwischen demokratischer Mitbestimmung und fachlicher Autorität. Wir leben in einer Zeit, in der Autorität permanent vom Volk und von den Medien nach ihrer Legitimität hinterfragt wird. Für die fachliche Legitimierung, sprich Zertifizierung, von Standards im Wirtschaftsleben empfiehlt sich eine Instanz: die Wirtschaftswissenschaft und hier wiederum jene Disziplinen, die sich in Forschung und Lehre dem Thema widmen, als da sind die Institute für Wirtschaftsinformatik, Marketing, Vertrieb und Supply Chain Management. Academic Partnership, wie bei ECR vorgesehen, soll dafür sorgen, dass die GS1 Standards wissenschaftlichen Objektivitätsansprüchen gerecht werden. Im Sinne des «Spiegel»-Claims: Wenn sich alle einig sind, fangen wir an zu zweifeln.

Dr. Hanspeter Madlberger
Freier Wirtschaftsjournalist

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