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Ohne Daten kein Kauf

Hand aufs Herz: Welcher Betrieb überlegt nicht, wie Prozesse optimiert werden und so Kosten gespart werden können? Und welches Unternehmen beschäftigt sich nicht mit dem effizienten Stammdatenaustausch zwischen Handelspartnern? Doch wie viele haben eigentlich darüber nachgedacht, warum und wie dem Konsumenten korrekte Stammdaten zur Verfügung zu stellen sind?

(kb) Anja Meier steht fragend vor dem Supermarktregal. Sie möchte Kekse für ihren vierjährigen Sohn Samuel kaufen. Das Problem: Samuel ist allergisch auf Nüsse. Ein paar Milligramm reichen für einen anaphylaktischen Schock. Anja Meier ist also auf genaue Informationen über die Inhaltsstoffe angewiesen. Mit ihrem Smartphone scannt sie die Barcodes vier verschiedener Kekssorten. Bei dreien erhält sie gar keine Information. Für Keks Nummer vier findet sie den Hinweis «nussfrei». Hier greift sie zu. Die anderen drei würdigt sie keines Blickes und lässt sie im Regal liegen.

Immer mehr Konsumenten informieren sich via Smartphones und Tablets über ProdukteDer aufgeklärte Konsument
Was hier ein fiktives Beispiel ist, ist bei vielen Schweizer Konsumenten Realität. Der aktuelle Report «Konsumgüter 2023+» von GS1 Schweiz und IBM kommt zur Erkenntnis, dass 92 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer mindestens eine Technologie nutzen, um sich vor dem Kauf über ein Produkt zu informieren. Tendenz: stark steigend. Konsumenten suchen aktiv Informationen. Sie sind «smart». Der Preis ist übrigens nur ein Kriterium, denn gerade im Lebensmittelbereich werden immer mehr Produktinformationen erwartet.
Bereits heute besitzt rund die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ein Smartphone, bei den jungen Erwachsenen sind es sogar vier von fünf. Häufig werden auf diesen Smartphones Apps zum Einholen von Produktinformationen genutzt. So ist die populäre App Codecheck.info in der Schweiz bereits auf jedem dritten iPhone installiert. Seit ihrem Start im März 2010 sind 1,5 Millionen Downloads zu verzeichnen, davon über eine Million aus der Schweiz (Stand: 31.8.2012). Und sie wird rege genutzt: Über 21 Millionen GTINs (Global Trade Item Numbers) werden über Codecheck.info alleine aus der Schweiz jährlich abgerufen. Statistisch gesehen lässt sich jeder Einwohner der Schweiz über Codecheck.info Produktinforma­tionen zu 2,7 GTINs anzeigen. Und Codecheck ist nur eine von vielen Anwendungen dieser Art.

Aus Ketchup wird Spielkonsole
Was die oben genannten Zahlen allerdings nicht verraten, ist die Qualität der erhaltenen Informationen. Denn die Daten, die ein Kunde nach dem Scannen eines Barcodes erhält, sind oftmals problematisch. Wie die Studie «The Not so Unique Global Trade Identification Number» von Auto-ID Labs St.Gallen/ETH aufzeigt, hakt es schon am Produktnamen. Für die Studie wurden für 129?649 GTINs bei mehreren öffentlichen Quellen, wie beispielsweise Google oder Amazon, Produktdaten angefragt. Zwar waren nur 1,85 bis 2,24 Prozent der Produktnamen nicht korrekt. Doch was auf dem Papier als «nicht korrekt» recht harmlos klingt, kann in der Praxis ganz anders aus­sehen, wie Dr.?Florian Michahelles, Mitautor der Studie, an einem besonders eindrücklichen Beispiel aufzeigt: «Für die GTIN, die Heinz Ketchup zugeordnet ist, haben wir in einer Quelle als Ergebnis eine Super-Nintendo-Konsole erhalten.»

Gesucht: Produktstammdaten
Die Stammdatenproblematik geht jedoch weit über die Produktnamen hinaus. GS1 UK hat Anfang 2011 eine Studie veröffentlicht, die Markeninhabern die Augen öffnen sollte. Der «Mobile savvy-shopper report» untersuchte die Folgen qualitativ schlechter Daten auf das Kaufverhalten und stellte Drittanbieter-Apps ein verheerendes Zeugnis aus: Von den 375 getesteten Lebensmitteln waren für 75 Prozent gar keine Daten vorhanden und für nur neun Prozent fanden sich korrekte Produktbeschreibungen.

Je mehr Daten, desto schlechter
Und noch eine interessante Erkenntnis kann aus der Studie gewonnen werden: Von den drei getesteten Apps wiesen diejenigen, die quantitativ über die höchste Datendichte verfügten, die qualitativ höchsten Mängel auf. Dr. Florian Michahelles berichtet über ähnliche Erkenntnisse: «Grundsätzlich scheint die Fehlerbehaftung der Daten mit der Popularität der Produkte zusammenzuhängen: Produkte, die oft gescannt werden, enthalten tendenziell häufiger fehlerhafte Daten. Beispiele wären hier Ketchup, Cola oder Zigaretten. Denn gerade von diesen Produkten scheinen Trittbrettfahrer die GTINs für eigene Zwecke zu verwenden, sodass nicht eindeutige Daten entstehen.»
In diesem Zusammenhang ist das Phänomen des «Crowd sourcing» im Sinne einer Arbeitstechnik, die es jedem ermöglicht, sich aktiv an Informationsportalen wie Wikipedia zu beteiligen, nicht zu vergessen. Dies mag für Meinungs- und Bewertungsportale angemessen erscheinen, ist jedoch bei Medien, die Wissen oder Informationen übermitteln, mit Vorsicht zu
geniessen. Da Applikationsanbieter heute noch kaum oder gar nicht die Möglichkeit haben, vertrauenswürdige Stammdaten umfänglich und kostengünstig zu bekommen, werden Daten aus verschiedensten Quellen gesammelt oder selbst erhoben. Den Konsumenten werden diese dann über Apps zur Verfügung gestellt. Die Resultate fallen dementsprechend schlecht aus.

Ohne Daten kein Absatz
So wie die imaginäre Anja Meier die Kekse, über die sie keine Informationen erhält, noch nicht einmal anschaut, scheinen viele Konsumenten ihre Kaufentscheidung von korrekten und vollständigen Produktdaten abhängig zu machen. Laut der Studie von GS1 UK ist dies rund ein Drittel. Eine reine Konsumenten-Markeninhaber-Beziehung? Nein, denn 37 Prozent gaben an, die App nicht mehr weiter zu nutzen, weil die Informationen falsch sind. Bei Lebensmitteln sind es sogar 43 Prozent. Korrekte Stammdaten sind demzufolge auch im Interesse der App-Entwickler.

Justitia fordert ihren Tribut
Zwar ist die Stammdatenproblematik nicht auf Lebensmittel beschränkt, aber sie zeichnet sich hier durch eine besondere Brisanz aus: Einerseits können Leib und Leben von korrekten Informationen abhängen, und andererseits machen neue Vorgaben seitens des EU-Gesetzgebers diese verpflichtend. In der Tat tritt im Jahr 2014 die EU-Verordnung 1169/2011 in Kraft. Sie schreibt vor, dass Produktangaben zu vorverpackten Lebensmitteln im Fernabsatz vor Abschluss des Kaufvertrags verfügbar gemacht werden müssen. Konkret betroffen sind hiervon Web­shops, die Lebensmittel verkaufen. So gesehen ist hier bereits aus juristischer Sicht ein Umdenken der Markeninhaber nötig.

Sisyphos lässt grüssen
In der Praxis scheinen mehrere Faktoren eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema zu bremsen. «Uns scheint, dass die Problematik in den verschiedenen Unternehmen durchaus in den IT-Abteilungen bekannt ist, jedoch auf Führungsebene noch nicht angekommen ist», berichtet Dr. Florian Michahelles.
Doch auch wenn das entsprechende Bewusstsein vorhanden ist, sind der hohe Aufwand sowie allfällige Kosten zur Bereitstellung aktueller und korrekter Stammdaten häufig bremsende Faktoren. «Eines sollte in dem Zusammenhang in aller Deutlichkeit hervorgehoben werden: Wir sprechen hier von online verfügbaren Produktinformationen. Was ‹offline› an einem Point of Sale ausgewiesen wird, ist kaum kontrollierbar. Nichtsdestotrotz ist die Kontrolle von online verfügbaren Informationen mit einem hohen Aufwand verbunden, denn diese können in vielen Anwendungen von Usern frei erfasst und geändert werden», erläutert Daniel Müller, Leiter des Geschäftsbereichs GS1 System bei GS1 Schweiz.
Ein erster Schritt zu einem erfolg­reichen B2C-Stammdatenmanagement könnte ein individuelles Monitoring sein. Für die systematische Erfassung und Überwachung von Informationen müssen die Qualitätskriterien erst einmal definiert werden, bevor sie gemessen werden können.
Unternehmen ist es grundsätzlich zu empfehlen, eine interne Analyse durchzuführen. Aufgrund der Tatsache, dass die nötigen Informationen in verschiedenen Abteilungen eines Unternehmens gepflegt werden, zeichnet sich die Pflege von B2C-Stammdaten durch eine hohe Komplexität aus. «Prozesse sind zu definieren und einzuführen, und es muss für deren Akzeptanz gesorgt werden. Die Daten müssen aus den unterschiedlichen Systemen zusammengeführt, für den Markt aufbereitet und bereitgestellt werden», so Daniel Müller weiter.
Eines ist jedenfalls sicher: Vertrauenswürdige Stammdaten im B2C-Bereich sind mehr als nur ein «Nice-to-have». Denn schlussendlich profitieren alle an den Wertschöpfungsnetzwerken beteiligten Akteure. Und welcher Ketchup-Hersteller möchte schon, dass sein Produkt einer Spielkonsole gleichgesetzt wird.

Katharina Birk

GS1 Schweiz baut Stammdatenbank für B2C auf


GS1 Schweiz treibt den Aufbau einer Trusted-Source-Datenbank derzeit aktiv voran. «Unsere eigens dafür gegründete Expertengruppe, bestehend aus Vertretern aus Industrie und Handel, wird einen geeigneten Dienstleister für eine Produktstammdatenbank evaluieren», so Nicolas Florin, Geschäftsführer von GS1 Schweiz. Der Fachverband setzt sich bereits seit längerem mit dem Thema auseinander, auch im B2C-Bereich. «eCommerce ist für unsere Mitglieder ein wichtiges strategisches Feld. Deutlich mehr als die Hälfte unserer Mitglieder ist von der Stammdatenproblematik betroffen. Wir sehen uns aus diesem Grunde in der Pflicht, unsere Dienstleistungen in diesem Bereich zu erweitern, um die Interessen unserer Mitglieder langfristig wahren zu können», so Nicolas Florin weiter.
Die Notwendigkeit einer solchen Datenbank bestätigt auch Dr. Florian Michahelles: «Eine Kommunikationsform für Markeninhaber an die App-Entwickler fehlt heute. GS1 hat hier nun die einmalige Chance, mit einer Trusted-Data-Infrastruktur verifizierte Daten bereitzustellen. Ist GS1 zu langsam, könnten Mitbewerber versuchen, diese Rolle zu übernehmen.» GS1 Schweiz möchte mit dem Projekt in erster Linie eine Dienstleistung anbieten, welche die Interessen der Mitglieder in den Mittelpunkt stellt. «Als neutraler, breit abgestützter Fachverband mit einer globalen Vernetzung verfügen wir über die notwendigen Kompetenzen und Voraussetzungen. Unser Ziel ist es, im Laufe des kommenden Jahres die Infrastruktur bereitzustellen. Die Plattform ist dann natürlich noch mit Daten zu füllen. Das kann durchaus noch einige Zeit in Anspruch nehmen», erläutert Nicolas Florin.


 

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