gs1-neton-header-03.jpg

Haftungsfragen bei der Nutzung von Barcode-Scanner-Apps

Immer mehr Konsumenten beschaffen sich Informationen zu einem Produkt durch Scannen seines Barcodes mittels einer entsprechenden Smartphone-App. Die abrufbaren Daten sind dabei relativ fehleranfällig, da sie häufig frei erfasst und nicht verifiziert werden. Kommt es aufgrund von Fehlinformationen in solchen Datenbanken zu Schadensfällen, wirft dies interessante rechtliche Fragen auf.

(lh/dz) Die Möglichkeiten für Konsumenten, sich über Onlinedienste Informationen zu Konsumgütern einzuholen, wurden erheblich ausgebaut. Diverse Portale sammeln Produktangaben, zum Beispiel zu Lebensmitteln, und speichern diese in einer Datenbank, wo die Benutzer sie später mittels einer Smartphone- App abrufen können. Diese Angaben basieren zu einem erheblichen Teil auf dem sogenannten Crowdsourcing, das heisst, dass Privatpersonen sie selbstständig erfassen können. Anschliessend werden sie durch den Portalbetreiber teilweise ergänzt und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Die User der Plattformen können dabei Eigen- und selbst Dritteingaben jederzeit modifizieren. Die Daten, die ein Kunde nach dem Scannen eines Barcodes erhält, sind also nicht immer verifiziert, wodurch das Risiko der Fehlerhaftigkeit steigt.

Schäden infolge von Fehlinformationen

 Insbesondere im Lebensmittelbereich können allfällige Produktfehlinformationen wesentliche Schäden und erhebliche rechtliche Probleme verursachen. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen.
Eine Allergikerin informiert sich via App über die Inhaltsstoffe einer Tiefkühlpizza. Die abgerufenen Informationen sind falsch und deklarieren eine vorhandene allergene Substanz nicht. Infolge des Verzehrs der Pizza erleidet die Allergikerin schwerwiegende gesundheitliche Schäden. Wer haftet für den Schaden? Wie könnte sich der Hersteller der Pizza im Vorfeld gegen die vom Portalbetreiber veröffentlichte Fehlinformation zur Wehr setzen? Natürlich ist dieser konstruierte Fall ein Extrembeispiel. Sollte er jedoch eintreten, kann sich der entstandene Schaden rasch auf mehrstellige Millionenbeträge summieren (zum Beispiel Versorgerschäden bei jungen Berufstätigen).

Erfasser gesucht

Zunächst kommt für eine Haftung gegenüber der Geschädigten respektive deren Familie derjenige in Betracht, der die Fehlinformationen in das System eingespeist hat. Gerade im Fall von Crowdsourcing ist dieser aber nicht immer einfach zu ermitteln, weil die User Falschaussagen zu ihrer Identität machen können respektive ausschliesslich über eine E-Mail-Adresse zu identifizieren sind. Vielfach ist die anonyme Erfassung von Inhalten sogar ausdrücklich erlaubt. So steht beispielsweise in den Datenschutz- und Nutzungsbedingungen von Codecheck.info: «Sie können die Webseite besuchen, Produkte und Kommentare verfassen, ohne Angaben über Ihre Person zu machen.»
Kann der Urheber der Fehlinformation jedoch eruiert werden, dann hat er – unabhängig davon, dass er die Angaben wohl gutgläubig und allenfalls sogar mit besten Absichten eingepflegt hat – nach den gängigen Voraussetzungen der ausservertraglichen Haftung (Widerrechtlichkeit, Schaden, adäquater Kausalzusammenhang und Verschulden) für den Schaden einzustehen. Dieses Haftungsrisikos dürften sich die wenigsten User bewusst sein, die Daten in solche Onlineportale einspeisen.

Haftung des Portalbetreibers

Da der Urheber der Informationen entweder unbekannt ist oder als Privatperson nicht in der Lage sein kann, den Schaden zu decken, ist es oftmals schwierig, Ansprüche gegen ihn erfolgreich durchzusetzen. Als Ausweg bietet sich das rechtliche Vorgehen gegen den Portalbetreiber an. Dieser hat sich die falschen Inhalte Dritter mit der anschliessenden Veröffentlichung auf seinem Portal faktisch zu eigen gemacht. Geht bei einem Abruf der Informationen via App nicht klar hervor, dass es sich dabei nicht um diejenigen des Portalanbieters handelt, dann hat er sich diese stets als eigene zurechnen zu lassen und haftet nach Auffassung der Autoren wie der eigentliche Urheber.
Wird hingegen auf dem Portal klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich um Informationen Dritter handelt, präsentiert sich die juristische Ausgangslage schwieriger. Hier kommt es insbesondere auf den effektiven Beitrag des Portals zur Bereitstellung der Informationen an. Es stellt sich jeweils die Frage nach der anzuwendenden Sorgfalt in Bezug auf die Inhaltskontrolle.
In einem ähnlichen Fall hat der deutsche Bundesgerichtshof im Jahr 2009 entschieden, dass der Betreiber eines Internetportals, über das Dritte für die Allgemeinheit bestimmte Inhalte (hier: Rezepte) veröffentlichen können, für diese dann nach allgemeinen Vorschriften haftet, wenn er die eingestellten Inhalte vor ihrer Freischaltung auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft und sie sich damit zu eigen macht. Dies gilt auch dann, wenn für die Nutzer des Internetportals erkennbar ist, dass die Inhalte (ursprünglich) nicht vom Betreiber, sondern von Dritten stammen (Urteil des Bundesgerichtshofs I ZR 166/07 vom 12. November 2009).

Vorgehen gegen Falschinformationen

Im Vordergrund der Interessen des Herstellers stehen im Normalfall seine Berichtigungsansprüche. Diesbezüglich wäre es in den wenigsten Fällen von Crowdsourcing zielführend, eine Berichtigung vom effektiven Erfasser der Inhalte zu verlangen. Der Berichtigungsanspruch wird sich in der Praxis daher direkt gegen den Portalbetreiber richten.
Die Rechtsgrundlagen dazu finden sich im Lauterkeitsrecht. Ein Portalbetreiber handelt unter Umständen unlauter, wenn er durch die Veröffentlichung von falschen Produktinformationen das Verhältnis zwischen Anbieter und Abnehmern beeinflusst respektive durch die Wiedergabe von unrichtigen Informationen dessen Produkte herabsetzt. Der Hersteller kann in dem Fall ohne Weiteres eine Berichtigung verlangen. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, kann der Hersteller nebst der Beseitigung der Fehlinformationen allenfalls auch Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche geltend machen. In manchen Fällen drohen nebst zivilrechtlichen Konsequenzen (Schadenersatz) gar strafrechtliche Sanktionen.

Rechtsprechung in der Schweiz

In der Schweiz sind bis heute keine entsprechenden Urteile ergangen. Aufgrund der Rechtsprechung ausgewählter Nachbarländer und der Europäischen Union sowie der zusehends steigenden Regulierungsmassnahmen im Lebensmittelbereich ist aber davon auszugehen, dass der Konsumentenschutz und diesbezügliche Haftungsfragen zukünftig eine noch wichtigere Bedeutung erlangen werden. Davon betroffen dürften insbesondere die direkt im Lebensmittelbereich tätigen Unternehmen sein, vermehrt aber auch Privatpersonen und Anbieter von Produktinformationsportalen.

Dr. Lorenz Hirt
David Zengaffinen

 

Über die Autoren

Dr. Lorenz Hirt ist Partner in der Rechtsanwaltskanzlei Hodler Emmenegger in Bern und Co-Geschäftsführer der Föderation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien (FIAL). Er ist vornehmlich in den Bereichen des Wirtschafts-, des Wettbewerbs- und des Immaterialgüterrechts (Markenrecht, Herkunftsangaben, Urheberrecht) tätig und verfügt über vertiefte Kenntnis in den Bereichen Lebensmittel-, Zoll- und Agrarrecht.

 

 

 

 

 

 

David Zengaffinen ist Master of Law. Zurzeit arbeitet er in der auf lebensmittelrechtliche Fragen spezialisierten Anwaltskanzlei Hodler Emmenegger in Bern und bereitet sich auf seine Patentierung als Rechtsanwalt vor.

Nach oben