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«Die Schaffung einheitlicher Standards auf Bundesebene ist notwendig.»

Thomas Heiniger, Regierungsrat und Gesundheitsdirektor Kanton ZürichThomas Heiniger, Regierungsrat und Gesundheitsdirektor Kanton Zürich, Zürich

GS1 network: Der Gesundheitsmarkt ist ein 55-Milliarden-Markt, der wächst und Arbeitsplätze schafft. Wie sehen Sie sein Entwicklungspotenzial? Wo liegen seine Grenzen?
Thomas Heiniger: Das Entwicklungspotenzial im Gesundheitsmarkt ist für Schweizer Unternehmen enorm und vielfältig – von der Pharmaindustrie, die seit Jahren ein wichtiges Standbein der Schweizer Wirtschaft ist, über das Angebot hochwertiger medizinischer Dienstleistungen für Patientinnen und Patienten aus aller Welt bis zur Entwicklung und Produktion neuer Verfahren, Materialien und Geräte im Bereich der Bio- und Medizinaltechnologie.

Das verdeutlicht ein Blick auf die 13 Schweizer Jungunternehmen, die im letzten Jahr international ausgezeichnet wurden: Eines davon stellt künstliches menschliches Lungengewebe her, ein anderes Kontaktlinsen, die bei grünem Star helfen, ein drittes computergesteuerte Therapiegeräte und ein viertes ein neuartiges Injektions- und Dosierungsgerät. Um solche Innovationen weiterhin zu fördern, ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Staat äusserst wichtig. Die Grenzen des Gesundheitsmarktes liegen bei den Kosten und ihrer Bezahlbarkeit. Die Gesundheitskosten sind in der Schweiz auch im vergangenen Jahr wieder um knapp vier Prozent gestiegen. Gemeinsam mit den Leistungserbringern und Kostenträgern müssen wir alles daran setzen, dass eine bezahlbare, hochwertige Grundversorgung auch in Zukunft sichergestellt ist.

Wie lautet Ihr Rezept (bzw. der effektivste Hebel), um der Kosten explosion im Gesundheitswesen entgegenzuwirken?
Es muss uns gelingen, die Leistungserbringer sowie die Patientinnen und Patienten selbst in die Kostenverantwortung einzubeziehen. Zu oft werden heute medizinische Leistungen erbracht und bezogen, ohne Rechenschaft über deren Kosten abzulegen. Der Überzeugung, man habe diese über die Krankenkassenbeiträge ja bereits bezahlt, steht leider kein ausreichendes Bewusstsein dafür gegenüber, dass jeder Anstieg der Gesundheitskosten einen weiteren Anstieg der Prämien nach sich zieht. Deshalb begrüsse ich den Ansatz des neuen Krankenversicherungsgesetzes, für Spitalaufenthalte vermehrt nach Schwere des Falles einen fi xen Preis zu bezahlen, anstatt den effektiv anfallenden Aufwand und die Aufenthaltstage zu vergüten. Im gleichen Zusammenhang sind auch die Anstrengungen voranzutreiben, die es erlauben, die Effi zienz und Wirksamkeit von medizinischen Leistungen zu beurteilen und zu prüfen. Mit dem Pilotprojekt «Medical Board» machen wir im Kanton Zürich einen wichtigen Schritt in diese Richtung.

Und wie beurteilen Sie die eHealth-Strategie des Bundes?
Derzeit gibt es noch keine Defi nition, was genau zu eHealth gehört und was nicht. Der national wie international fehlende Konsens über inhaltliche und technische Standards erschwert die Diskussion. Vor diesem Hintergrund ist die «Strategie eHealth Schweiz» des Bundesrates hochwillkommen. Sie hat zum erklärten Ziel, den Menschen in der Schweiz den Zugang zu einem bezüglich Qualität, Effi zienz und Sicherheit hochstehenden sowie kostengünstigen Gesundheitswesen zu gewährleisten. Patientinnen und Patienten sollen den Fachleuten ihrer Wahl unabhängig von Ort und Zeit relevante Informationen über ihre Person zugänglich machen und Leistungen beziehen können. Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich schliesst sich diesen Zielen an. Angesichts der föderalistischen Organisation der Gesundheitsversorgung ist zur Schaffung von einheitlichen Standards oder etwa klaren Rechtsgrundlagen ein Vorgehen auf Bundesebene notwendig. eHealth bietet in meinen Augen aber noch mehr als Vernetzung und Vereinbarkeit von Informations- und Kommunikationssystemen. Ich denke an die Entwicklung von eTools zur unmittelbaren Anwendung in der medizinischen Versorgung selbst. Dabei zähle ich insbesondere auf die marktwirtschaftliche Innovationskraft der Medizintechnik und der Ingenieure.

Wie stufen Sie die Supply Chain im Gesundheitswesen bezüglich Transparenz, Sicherheit und Durchgängigkeit ein?
Die Gesundheitsversorgung in der Schweiz ist meines Erachtens sowohl bezüglich Sicherheit als auch bezüglich Vollständigkeit des Angebots hervorragend. Dies widerspiegelt sich auch in der hohen Zufriedenheit der Bevölkerung mit der medizinischen Versorgung. Eine periodisch durchgeführte Erhebung im Kanton Zürich hat dazu vor wenigen Wochen wiederum sehr erfreuliche Ergebnisse gezeigt. Das grösste Entwicklungspotenzial sehe ich bei der Transparenz. Die Vielfalt und Komplexität des Angebots ist für Patientinnen und Patienten nur noch schwer zu durchschauen und zu beurteilen.

Wo sehen Sie das grösste Einsparungspotenzial – ohne dass Leistung abgebaut werden müsste?
Die Gesundheitskosten sind über Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich angewachsen – ähnlich wie andere Kosten der öffentlichen Hand. Wer in einem solchen System schnelle Einsparungen ohne Leistungsabbau verspricht, weckt falsche Hoffnungen. Gefordert sind deshalb nicht schnelle und möglichst grosse Kostenschnitte, die zwangsläufig einen Leistungsabbau bedeuten, sondern ein Kurswechsel, der einen kontinuierlichen Aufbau des Kostenbewusstseins bei Leistungserbringern sowie Patientinnen und Patienten ermöglicht. Wir müssen lernen, dass längst nicht alle technisch möglichen Leistungen auch tatsächlich sinnvoll und notwendig sind.

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