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«Rationalisieren vor Rationieren.»

Stefan Kaufmann, Direktor, santésuisseStefan Kaufmann, Direktor, santésuisse, der Branchenverband der Schweizer Krankenversicherer, Solothurn

GS1 network: Der Gesundheitsmarkt ist ein 55-Milliarden-Markt, der wächst und Arbeitsplätze schafft. Wie sehen Sie sein Entwicklungspotenzial? Wo liegen seine Grenzen?
Gesundheit ist zum «Trendprodukt» geworden. Besonders der Markt ausserhalb der obligatorischen Gesundheitsversorgung wird noch weiter wachsen, ich denke dabei vor allem an die Fitness- bzw. Wellnessangebote.

Dem steht die demografi sche Veränderung mit einem in den nächsten Jahren steigenden Anteil betagter Menschen gegenüber. Um auf diese Veränderungen eingehen zu können, genügt es nicht, einfach mehr Pfl egebetten bereitzustellen. Die neuen Bedürfnisse eröffnen auch Chancen, vor allem ausserhalb der Grundversicherung. Der medizinische Fortschritt bei den Methoden und Medikamenten geht unvermindert weiter, allerdings auch zu einem steigenden Preis. Wir wollen aber nicht nur bloss zahlen, sondern auch die Gewissheit haben, dass unsere Prämien und Steuergelder wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich eingesetzt werden, wie es das Krankenversicherungsgesetz vorschreibt. Das Wachstum der mit Zwangsabgaben fi nanzierten Grundversorgung müssen wir in den Griff bekommen, um die Solidarität zwischen Jungen und Alten sowie Armen und Reichen nicht zu gefährden. Das Wachstum ausserhalb der Grundversorgung ist wie in anderen Wirtschaftszweigen auch positiv, weil dort der Kunde selber bzw. seine Privatversicherung bezahlt.

Wie lautet Ihr Rezept (bzw. der effektivste Hebel), um der Kosten explosion im Gesundheitswesen entgegenzuwirken?
Der Bereich der obligatorischen Kranken- und Pflegeversicherung ist gekennzeichnet durch die vielen Akteure, wenig wirksame Anreize und starke politische Einflussnahme. Das macht es enorm schwierig, griffi ge Reformen zu realisieren. Es wäre zum Beispiel hilfreich, wenn im Spitalbereich über die Kantonsgrenzen hinweg Angebote optimiert werden könnten. In der Behandlungskette steckt noch einiges an Rationalisierungspotenzial, und bei den Medikamenten zahlen wir im Vergleich zum Ausland immer noch zu hohe Preise.

Und wie beurteilen Sie die eHealth-Strategie des Bundes?
eHealth ist ein grosses Thema, allerdings auch ein schwieriges, weil nicht alle das Gleiche darunter verstehen. Dass der Bund die Themenführung übernehmen will, ist richtig. Die Politik definiert die Rahmenbedingungen, und die ganze Bevölkerung ist betroffen und muss angesprochen werden. Die ersten konkreten Schritte, wie die Einführung der mit Chip ausgestatteten Versichertenkarte, haben die Krankenkassen wegen der Kosten und des geringen Zusatznutzens kritisch kommentiert. Die Karte soll auch als Zugangsschlüssel zu künftigen eHealth-Anwendungen dienen und ist Trägerin der neuen 13-stelligen AHV-Nummer. Anwendungen für die Chipkarte, beispielsweise für den Zugriff auf ein elektronisches Patientendossier, müssen allerdings von den Leistungserbringern noch entwickelt werden. Die Krankenversicherer entscheiden nun, ob und wann sie ihren Versicherten die per 1.1.2010 einzuführende Karte ausliefern.

Wie stufen Sie die Supply Chain im Gesundheitswesen bezüglich Transparenz, Sicherheit und Durchgängigkeit ein?
Im Gesundheitswesen laufen über eine Vielzahl von Kanälen eingespielte Verteilprozesse ab. Als Aussenstehender kann ich diese Abläufe im Detail nicht weiter beurteilen. Als Patient schenkt man den Fachpersonen sein volles Vertrauen. Da ist es wichtig, dass in der ganzen Kette vom Hersteller über den Vertrieb zum Leistungserbringer nirgends Schwachstellen vorkommen. Das System soll sich aber auch verändern dürfen. Prozessoptimierungen sind im Spitalbereich, Stichwort Spital AGs, möglich. Anzustreben sind durchgängige und geführte Prozesse entlang der Behandlungskette. Hemmend wirken dabei immer noch die unterschiedlichen Tarifstrukturen für stationäre und ambulante Behandlungen und die duale Finanzierung der Spitäler aus Steuer- und Prämiengeldern. Bei den Medikamenten ist die Versandapotheke ein interessanter neuer Ansatz. Das Beispiel der Medikamente zeigt aber auch neue Gefahren auf: während die herkömmlichen Distributionskanäle sicher sind, können beispielsweise Internetangebote – vor allem aus dem Ausland – kaum kontrolliert werden. Je mehr Freiheiten das System bietet, desto kompetenter muss der Patient sein und vermehrt seine Selbstverantwortung als Kunde im Gesundheitswesen wahrnehmen. Wir befürworten diese Entwicklung.

Wo sehen Sie das grösste Einsparungspotenzial – ohne dass Leistung abgebaut werden müsste?
Dringender Handlungsbedarf besteht im Spitalbereich und bei den Medikamenten, aber auch bei den Zulieferern der Medizinaltechnik und Infrastruktur. Das Gesundheitswesen entzieht sich weitgehend einer zentralistischen Steuerung und Planung. Es gibt deshalb auch nicht einen einzigen Weg, um Einsparungen zu realisieren. Mein Credo lautet «Rationalisieren vor Rationieren», und zwar in allen Bereichen des Gesundheitswesens. In der Summe aller, auch kleiner Massnahmen liegt das grösste Einsparpotenzial. Weil die Kosten bisher stets auf die Prämien-und Steuerzahlenden abgewälzt werden konnten, bestand kein Anlass zu Rationalisierungen und Strukturbereinigungen. Wenn sich das nicht rasch ändert, sind Rationierungen vorprogrammiert.

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