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"Standardisierung würde viel bringen.»

 Margrit Kessler, Präsidentin der Stiftung SPO Patientenschutz Besseren Schutz vor Fehlbehandlungen verspricht sich Margrit Kessler von einer sicheren Patientenidentifikation. Die Präsidentin der Stiftung SPO Patientenschutz sieht aber auch Risiken, die aus frei verfügbaren Patientendaten erwachsen können.

(as) Die sichere Patientenidentifikation dürfte den Schutz vor Fehlbehandlungen erhöhen, meint Margrit Kessler. Als Präsidentin der Stiftung SPO Patientenschutz kennt sie einige abschreckende Beispiele, in denen genau eine falsche Patientenidentifikation zum medizinischen Desaster führte.

Doch allzu viele elektronisch und vor allem unkontrolliert verfügbare Patientendaten bergen für den einzelnen Verbraucher auch Risiken, betont sie. Ganz besonders bei der elektronischen Leistungsabrechnung durch Krankenkassen verortet sie deshalb Probleme.

GS1 network: Würde eine einheit liche und sichere Patientenidentifikation einen zusätzlichen Schutz vor Fehlbehandlungen darstellen?
Margrit Kessler: Das wäre ein ganz wichtiges Element für den Patientenschutz. Die eindeutige Identifikation des Patienten ist für die korrekte Medikamentenabgabe, aber auch bei Operationen zentral. Das reicht hin bis zur sicheren Klärung der Frage, welche Seite operiert werden muss.

Die Patientenidentifikation mit Armband und Barcode wurde in Pilotversuchen schon getestet. Sollte man ein solches System einführen?
Ich würde das sehr befürworten. Vor allem bei der Medikation könnte die Sicherheit wesentlich erhöht werden. Die eindeutige Identifikation des Patienten und die korrekte Zuordnung des jeweiligen Medikaments würden verbessert. Es entsteht zwar ein höherer Aufwand, doch die Massnahme wurde bisher auch von den Patienten gut akzeptiert.

Elektronische Identifikation also ja, aber wie sieht es mit der krankheitsbezogenen Datensammlung aus? Wie ist Ihre Position zum elektronischen Patientendossier?
Grundlegend meine ich, dass elektronische Patientendossiers überhaupt nur auf freiwilliger Basis eingerichtet werden dürfen. Danach lassen sich zwei Sichtweisen unterscheiden, bei denen jeweils Vor- und Nachteile solcher elektronischer Dossiers zutage treten. Es ist nämlich oft so, dass in Patientendossiers Unwahrheiten und falsche Diagnosen stehen. Patienten merken das erst, wenn sie einmal Einsicht in ihre Dossiers nehmen. Es ist schon heute sehr schwierig, einmal abgegebene Diagnosen, erst recht die übergeordneten Differentialdiagnosen, wieder aus seinem Dossier zu entfernen. Wie wird das bei einem elektronischen System aussehen? Ein weiteres Problem taucht bei psychischen Diagnosen auf. Wenn eine junge Frau beispielsweise mit 20 einen Psychiater aufgesucht hat, weil ihre Eltern gestorben sind, dann stünde das auch 30 Jahre später noch in ihrem elektronischen Dossier. Heutige Krankengeschichten müssen hingegen nur zehn Jahre aufbewahrt werden. Aus anderer Sicht kann genau die längere Frist auch ein Vorteil sein, beispielsweise wenn Fremdmaterial implantiert wurde. Das könnte mit einem elektronischen Dossier genau dokumentiert werden, gleich ob es ein Netz für eine Hernie oder ein Implantat ist. Da ist es gut, wenn die Daten nach zehn Jahren nicht verschwinden.

Angenommen, es gäbe ein elektronisches Dossier: wo sollte es gespeichert werden?
Auf jeden Fall darf das Dossier nicht auf einer Versichertenkarte abgespeichert werden. Solche Überlegungen würde ich bekämpfen. Diese Karte darf nur den Schlüssel zu einem Computersystem darstellen, wo die jeweiligen Daten hinterlegt sind. Auf der Karte selbst sind Angaben zu Blutgruppe, Allergien und Impfungen oder die Patientenverfügung sinnvoll, aber auf keinen Fall weitere Daten. Sonst wird der Zugriff auf diese für den Patienten selbst nicht mehr kontrollierbar. Und noch einmal: das ganze System muss überhaupt freiwillig bleiben.

Stichwort automatisierte Leistungsabrechnung durch Krankenkassen: Wäre die Transparenz über den Gesundheitszustand der Versicherten dadurch zu gross?
Auch hier sehe ich erhebliche Probleme. Eine automatisierte Abrechnung darf es nur geben, wenn der Patient damit einverstanden ist. Die automatisierte Abrechnung würde den Versicherern umfangreiche Daten zukommen lassen. Datenschutzrechtliche Probleme wären vorprogrammiert. Beispielsweise sind in der Schweiz die Vertrauensärzte bei den Kassen angestellt, mithin parteiisch. Deshalb ist ihr Urteil über die Begleichung von Leistungen für Versicherte einer Kasse nicht so objektiv, wie das wünschenswert wäre. In Deutschland hingegen sind die Vertrauensärzte von den Kassen unabhängig organisiert. Gerade wenn Vertrauensärzte beigezogen werden müssen, geht es auch immer um medizinische Situationen, die nicht zweifelsfrei und eindeutig sind.

Zudem könnte ein automatisiertes Abrechnungssystem auch gegen die Versicherten verwendet werden. Wenn man beispielsweise eine Zusatzversicherung wünscht, lassen sich alle Daten abrufen und die ganze Krankengeschichte wird transparent. Versicherungsleistungen jenseits der Grundversicherung werden dann zunehmend restriktiv gewährt. Die vorhin genannte junge Frau mit einmal aufgetretenen psychischen Problemen würde dann auch zehn Jahre später keine Privatversicherung mehr bekommen.

Welcher Bereich im Gesundheitswesen würde noch durch Standardisierung profitieren?
Eine Standardisierung von Operations- und Behandlungsabläufen würde sehr viel bringen. Die Schweizerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie hat beispielsweise Richtlinien publiziert, die eine sehr gute Vorarbeit leisten. Hierbei geht es um Vorgaben bezüglich der Behandlung bestimmter Krankheitsbilder: Welche Behandlung ist angebracht, welche nicht, welche veraltet? Jeder Arzt kann hier nachschauen und abklären, wie er behandeln soll. Man könnte verlangen, dass andere Ärztegesellschaften das Gleiche für ihr Fachgebiet tun würden. Damit könnte man sicherlich zahlreiche Behandlungsfehler vor allem bei vergleichsweise einfachen Operationen verhindern. Zudem sollte es Operations-Checklisten geben. Sogar die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich für solche Checklisten ausgesprochen. Denn gemäss diversen Studien werden bei 50 Prozent der nachweislichen Sorgfaltspflichtverletzungen ganz einfach nur die gängigen Standards nicht berücksichtigt. Hier könnte eine Standardisierung merkliche Verbesserungen bringen.

Die Fragen stellte Alexander Saheb.

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