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Gefahr für Gesundheit, Arbeitsplätze und Wohlstand

Gefahr für Gesundheit, Arbeitsplätze und WohlstandFälschung und Produktpiraterie bedrohen sowohl Gesundheit und Arbeitsplätze als auch Wohlstand. Zu den Leidtragenden gehören auch die Konsumentinnen und Konsumenten. Die Schweizer Wirtschaft verliert durch Fälschungen pro Jahr rund zwei Milliarden Franken, beginnt sich nun aber mit rechtlichen, technischen sowie prozessorientierten Massnahmen zu wehren.

(bs) Seit dem 1. Juli 2008 ist in der Schweiz ein neues, verschärftes Patentrecht gegen Markenfälschungen und Produktpiraterie in Kraft, was dem Schweizer Zoll auch bei Individualreisenden mehr Möglichkeiten gibt, gefälschte Gegenstände wie Uhren, Taschen und Kleider – auch wenn diese «nur» für den Eigengebrauch gekauft wurden – zu beschlagnahmen und zu vernichten.

Schaden in Milliardenhöhe
Gemäss Anastasia Li-Treyer, Präsidentin des Vereins STOP PIRACY (die Schweizer Plattform gegen Fälschung und Piraterie, siehe Kasten), haben die Produktfälschungen weltweit ein erschreckendes Ausmass angenommen – und auch in der Schweiz. Li-Treyer: «Fälschung und Piraterie fügen auch der Schweizer Wirtschaft schweren Schaden zu. Der Verlust beträgt schätzungsweise jährlich zwei Milliarden Franken. Der weltweite Handel mit Fälschungen und Piraterieprodukten beläuft sich gemäss einem Bericht der OECD aus dem Jahr 2007 auf 200 Milliarden Dollar, was ungefähr der Hälfte des Schweizer Bruttoinlandprodukts entspricht. Der Handel über Internet ist dabei noch nicht miteingerechnet.»

Zudem wisse man, dass häufig Kinderarbeit in den gefälschten Produkten stecke und von Umweltschutz keine Rede sein könne. Ausserdem würden weder Sicherheits- noch Qualitätskontrollen eingehalten. Anastasia Li-Treyer: «Kein Wirtschaftszweig wird verschont. Von Automobilbestandteilen bis zu Zahnbürsten wird alles gefälscht. Im Februar 2008 meldeten die EU-und US-Zollbehörden, dass sie 360 000 gefälschte Computerchips von über 40 verschiedenen Herstellern beschlagnahmt hatten. Schweizer Produkte werden sogar in der Schweiz selber gefälscht. Die meisten kommen aber aus Asien.»

Jede dritte Firma ist Opfer
Gemäss dem «Economic Crime Survey 2007» der Wirtschaftsprüfungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) sind 37 Prozent der befragten Schweizer Unternehmen in irgendeiner Form von Wirtschaftskriminalität betroffen. Obwohl die Kontrollmechanismen und Überwachungsprozesse seit der letzten Umfrage von 2005 verbessert worden seien, habe sich die Zahl der Delikte seither nicht verringert. Im globalen Vergleich steht die Schweiz nicht schlecht da: Weltweit sind laut der Studie 43 Prozent der Unternehmen Opfer von Wirtschaftskriminalität geworden. In Westeuropa sind es 38 Prozent, in Osteuropa 50 Prozent, in Nordamerika und Afrika sogar je 52 Prozent.

Der Grund für diesen relativen «Erfolg» hat mit der Rechtslage hierzulande zu tun. Anastasia Li-Treyer: «Das Schweizer Recht gehört seit der Revision zu den fortschrittlichsten im internationalen Vergleich. Erste Zahlen des Zolls zeigen, dass gestützt auf die neue Regelung vermehrt gefälschte Gegenstände aus dem Verkehr gezogen und vernichtet werden. Die neuen Instrumente können aber nur greifen, wenn die Rechtsinhaber sie auch nutzen. Sie sind deshalb gefordert, noch konsequenter beim Zoll entsprechende Anträge auf Hilfeleistung zu stellen.» Vermögensveruntreuung und Produktfälschungen führen die Liste der Wirtschaftsdelikte in der Schweiz an, vor Geldwäscherei, Korruption und Bestechung sowie Bilanzfälschung. Die Täter sind vor allem im oberen Management der Firmen auszumachen: Bei der Hälfte der aufgeflogenen Wirtschaftsdelikte gehörte die Täterschaft dem Management an, die Hauptmotive waren gemäss Studie Gier, finanzielle Anreize und exklusiver Lebensstil. Anastasia Li-Treyer: «Die Fälschungsindustrie ist Teil des organisierten Verbrechens.»

Aufgedeckt wurden die Wirtschaftsdelikte in der Schweiz bei 56 Prozent der befragten Unternehmen aufgrund von Informanten (sogenannten «Whistleblowers»): Dabei machten externe Hinweise 30 Prozent und interne Hinweise 26 Prozent aus. Dabei ergeben sich nicht nur finanzielle Konsequenzen für das Unternehmen – in der Studie werden die durchschnittlichen Kosten für Westeuropa auf 2,68 Millionen Franken pro Unternehmen geschätzt. Langfristig nehmen vielmehr auch Reputation, Glaubwürdigkeit und Vertrauen Schaden. Bei mehr als der Hälfte der Schweizer Unternehmen ist der entstandene Imageverlust grösser als der direkt messbare finanzielle Verlust. Für die PwC-Studie «Economic Crime Survey 2007» wurden weltweit 5400 Unternehmen in 40 Ländern befragt. Die Schweizer Resultate basieren auf den Antworten von Geschäftsleitungs- und Kadermitarbeitern von 84 Unternehmen, die nach dem Zufallsprinzip aus den 600 grössten Schweizer Firmen ausgewählt wurden.

Schweizer Zoll 2008 äusserst erfolgreich
Der Schweizer Zoll hat 2008 in 1176 Fällen gefälschte Waren und Piraterieprodukte aus dem Verkehr gezogen. Das sind fast dreimal so viel wie im Vorjahr (460). Grund dafür sind die neuen Gesetzesbestimmungen. So dürfen die Zöllner neu auch im Postverkehr bei Internetbestellungen für den Privatgebrauch eingreifen. Knapp 40 Prozent der im Reiseverkehr beschlagnahmten Waren stammten aus der Türkei, wie der Zollstatistik 2008 zu entnehmen ist. Knapp einen Viertel hatten die Reisenden in Thailand gekauft. Drei Viertel der Waren wurden am Flughafen Zürich beschlagnahmt, 13 Prozent am Flughafen Genf.

Der Wert aller im vergangenen Jahr beschlagnahmten Waren beläuft sich auf 14 Millionen Franken (2007: 1,3 Millionen Franken). Accessoires wie Taschen oder Sonnenbrillen machten die Hälfte der Stücke aus, ein Fünftel war Bekleidung. Knapp 70 Prozent dieser Waren kamen aus China. Aus Indien hingegen wurden ausschliesslich gefälschte Medikamente beschlagnahmt.

Vorsichts- und Gegenmassnahmen
Was können Schweizer Unternehmen dagegen tun? Konzerne und Firmen müssen gleichzeitig mehrere Strategien verfolgen, um Fälschung und Piraterie vorzubeugen. So sollten produktspezifische Massnahmen schon während der Entwicklung eines neuen Fabrikats ausgewählt und initiiert werden – im Wissen, dass ein Schutz vor Produktfälschung für die gesamte Wertschöpfungskette benötigt wird. Bereits in der Entwicklungsphase ist juristischer Rat einzuholen und die zu verfolgende rechtliche Schutzstrategie festzulegen. Immaterialgüterrechte bieten Sicherheit vor Fälschung und Piraterie. In allen Ländern, in denen das Unternehmen sie zum Schutz angemeldet hat, erlauben sie im Verletzungsfall eine Unterlassungsklage sowie das Durchsetzen von Schadenersatzansprüchen gegen unrechtmässig handelnde Dritte.

Produkte dank Technologie lückenlos identifizierbar
Spezialisten empfehlen ferner, Produkte speziell zu kennzeichnen und zu sichern. Es gibt eine Reihe von Techniken, die es erlauben, seine Ware lückenlos zu verfolgen und zu identifizieren. So lassen sich beispielsweise winzige, bunt gestreifte Kunststoffkörner, die für die Produktkennzeichnung verwendet werden, in Polyesterfäden einschmelzen oder in Tinte mischen. Kleiner als ein Staubkorn, gelten sie als fälschungssicher und werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Eine andere Möglichkeit bietet der an der Universität Hannover entwickelte Matrixcode. Hierbei werden winzige Metallkugeln mit ausgewählten Produktbestandteilen zu einem produktspezifischen Geheimzeichen verbacken, das sich in der Qualitätskontrolle mit Röntgenstrahlung oder Ultraschall lesen lässt.

Entlang der Versorgungskette (Supply Chain) ist eine enge Zusammenarbeit mit Zulieferern nötig, die nachhaltig höchste Qualitätsstandards erfüllen sowie vertraglich und über Konventionalstrafen gebunden sein müssen. Diese Massnahmen erschweren Produktpiraten, vergleichbare Fabrikate herzustellen oder in die Logistikkette einzuschleusen. Sie erübrigen aber nicht regelmässige Inspektionen bei den Zulieferern sowie in den betriebseigenen externen Produktionsstätten.

Hat man sich für eine oder mehrere Schutzstrategien gegen Plagiate entschieden, so gilt es, in zeitlich regelmässigen Abständen Markt- und Internetbeobachtungen sowie Testkäufe durchzuführen. Eine Dokumentation der Ergebnisse und die Definition, ab wann Handlungsbedarf besteht, sind hierfür wichtig. Das vorhandene Knowhow bezüglich Produktentwicklung und -herstellung sowie der gewählten Schutzstrategien wird idealerweise durch eine Wissensmanagement-Plattform im Betrieb selbst verwaltet. Denn physikalische Produkte lassen sich mit wenig Aufwand kopieren – wissensgekoppelte dagegen nur mit Schwierigkeiten.

Bernhard Stricker

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