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Droht der Kollaps?

Droht der Kollaps?GS1 Schweiz hat eine Studie zum Thema «Infrastruktur 2020 plus» erarbeitet. Im Mittelpunkt steht der effiziente Umgang mit den zunehmend knapper werdenden Infrastrukturkapazitäten. Die Studie zeigt innovative Lösungsansätze aus der Schweiz und dem Ausland auf.

(vkw/rb/sb) Die Zusammenarbeit der Unternehmen bildet die Grundlage, um eine bessere Auslastung der vorhandenen Infrastruktur zu ermöglichen.

Dadurch können Kapazitätsengpässe überwunden werden, ohne dass die Infrastruktur weiter ausgebaut werden muss. Eine solche nachhaltige Herangehens-weise wird in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Zunehmende Beanspruchung der Infrastruktur
Sowohl bei den Verkehrsträgern (Strasse, Schiene, Wasser, Luft) als auch in der Mobilkommunikation, der Energieversorgung und weiteren Infrastrukturbereichen im weiteren Sinne treten immer wieder Engpässe auf. Auch wenn die gegenwärtige Wirtschaftskrise die Lage entschärft hat, wird durch Wachstum und zunehmende Arbeitsteilung die Beanspruchung der Infrastruktur weiter wachsen. Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) erwartet im Zeitraum 2002 bis 2030 ein Wachstum des Güterverkehrs auf Strasse und Schiene zwischen 32 und 78 Prozent. Zudem werden die Restriktionen vor allem im Transportverkehr zugunsten der Erhaltung von Lebensqualität eher zunehmen.

Umgang mit Kapazitätsengpässen
Eine moderne, einwandfrei funktionierende Infrastruktur hat für die Schweiz als Transitland eine grosse Tradition, wird als ein wichtiger Wettbewerbsvorteil angesehen und ist für Wirtschaft und Gesellschaft von grosser Bedeutung. Die Erweiterung von Kapazitäten ist im Bereich Transport (Strasse, Schiene) mit hohen Kosten und sehr langfristiger Planung verbunden (20 Jahre und mehr). Engpässe haben unmittelbar starke negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, den Standortwettbewerb sowie die Gesellschaft. Die eigentliche Herausforderung ist, geeignete Massnahmen zu finden, damit die Engpässe in der Auslastung der Infrastruktur überwunden werden können.

Kollaboration als möglicher Lösungsansatz
Die Nutzung der Verkehrsinfrastruktur erfolgt heute fast ohne Koordination zwischen den Nutzern. Einzig Verbote, Fahrbeschränkungen bei Überbelastungen und Lenkungsabgaben werden zur Optimierung eingesetzt. Durch die Bereitstellung einer Plattform für Kollaboration bzw. Koordination zwischen allen Benutzern sowie die Implementierung von Regeln und Prozessen könnte die Kapazität der bestehenden Infrastruktur besser ausgelastet und der potenzielle Mehrbedarf ausbalanciert werden.

Leerfahrten könnten so zumindest teilweise eliminiert, Spitzenzeiten abgebaut und Staus verhindert werden. Diese Potenziale bestehen sowohl im Transit-bzw. Fernverkehr als auch in der Agglomerations-bzw. Citylogistik. Die Herausforderungen, welche eine Zusammenarbeit mit sich bringt, sind vielfältig: Die Beteiligten kennen sich nicht, verfügen über unterschiedliche infrastrukturelle Voraussetzungen, sind in ungleichen Branchen tätig und sprechen (technisch) unterschiedliche Sprachen. Das grösste Hindernis stellt jedoch die Tatsache dar, dass die Beteiligten kein wirtschaftliches Interesse aneinander haben.

Innovative Modelle aus dem In-und Ausland
Das Ziel der Studie «Infrastruktur 2020 plus» ist es, das Potenzial von kollaborativen Ansätzen auf dem Schweizer Markt abzuschätzen. Es sollen innovative Lösungsansätze aus dem In- und Ausland und deren Realisierungschancen in der Schweiz aufgezeigt werden. Zu diesem Zweck wurden die folgenden Lösungsansätze Vertretern aus der Schweizer Wirtschaft zur Beurteilung vorgelegt.

Transportpool
In Frankreich haben sich Hersteller und Verteiler im Konsumgüterbereich unter der Leitung von ECR France entschlossen, gemeinsam nach langfristigen Lösungen in der Konsumentenbelieferung zu suchen. Eine zentrale Frage steht dabei im Mittelpunkt: Wie lässt sich die Belieferungshäufigkeit unter gleichzeitiger besserer Auslastung der Transportfahrzeuge erhöhen? Mit dem Transportpool «cartographie ECR du transport» wird jeder Partner, welcher eine verbesserte Auslastung seiner Fahrzeuge sowie einen erhöhten Konsumentenservice und frischere Produkte anstrebt, identifiziert.

ECR France hat dieses Hilfsmittel auf ihrer Website (www.ecr-france.org) publiziert. Die beteiligten Unternehmen können dort den Versand-und Zielort ihrer Lieferung angeben und auch Angaben über die Produktkategorie und allfällige Transporteinschränkungen machen. Anhand dieser Daten werden geeignete Partner für die gemeinschaftliche Nutzung von Transportkapazitäten ermittelt. Mit der Simulationsanwendung «écocomparateurs» können auch die CO2-Einsparungen ermittelt werden, die sich aufgrund der Optimierung realisieren lassen.

Alpentransitbörse
In den Alpentälern sind die Auswirkungen von Lärm und Schadstoffen aufgrund der vorherrschenden topografischen Bedingungen stark erhöht, und auch die negativen Effekte des Klimawandels zeigen sich in den Alpen besonders. Die Schweiz hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die alpenquerenden Güter möglichst auf die Schiene zu verlagern. Vor diesem Hintergrund kam das Bedürfnis nach einem Instrument für die Alpenschutzpolitik auf, welches es erlaubt, die begrenzten Strassenkapazitäten durch die Alpen bzw. die Zahl der alpenquerenden Fahrten zu regulieren. Ein Mittel dazu ist die Alpentransitbörse, die das Durchfahrtsrecht für den Schwerverkehr auf der Strasse marktwirtschaftlich regeln soll.

Collaborative Multi-Partner Trunking
In Grossbritannien garantiert das «Collaborative Trunking» zwischen Detaillisten und Lieferanten eine bessere Fahrzeugauslastung. Durch das Zusammenlegen der Leerfahrten können innerhalb der Gemeinschaften Unternehmen identifiziert werden, welche diese ungenutzten Kapazitäten auslasten, also von den Leerfahrten profitieren könnten. Dadurch werden auch Firmen, die keine direkten Handelspartner sind, zur Zusammenarbeit bewegt.

ECR UK hat dazu die entsprechenden Rahmenbedingungen entwickelt, um gemeinsame Transportmöglichkeiten zwischen den interessierten Unternehmen zu ermöglichen. Die interaktiven Sitzungen werden «Collaborative Distribution Interactive Sessions» genannt.

Shared Deliveries to Far Flung Places
Auch Gebiete mit einer niedrigeren Bevölkerungsdichte wollen in Grossbritannien versorgt werden. Die Belieferung solcher Gegenden wird durch Spediteure vorgenommen, die über eigene regionale Verteilzentren verfügen. Aufgrund des geringeren Warenvolumens wird für die Belieferung ein kleineres Transportfahrzeug eingesetzt, welches vom regionalen Verteilzentrum aus die Filialen im Norden anfährt. Die Arbeitsgruppe von ECR UK hat dazu ein alternatives Transportmodell entwickelt. Die Waren werden nicht mehr von den einzelnen Spediteuren in den kleinen Transportfahrzeugen ausgeliefert, sondern in grossräumigen, doppelstöckigen Transportern. Die Fahrzeuge wurden speziell für Ladungen mit grossen Volumen konzipiert. So können mehrere Wagenladungen von unterschiedlichen Spediteuren im selben Fahrzeug befördert werden. Dadurch sollen die zurückgelegten Transportkilometer um 40 Prozent reduziert werden.

Shared Conurbation Deliveries
Ein bedeutender Anteil der Bevölkerung lebt in Grossbritannien in städtischen Ballungsgebieten. Dementsprechend wird auch ein bedeutender Anteil des Vertriebsvolumens von Lebensmitteln in diese Gebiete geliefert. ECR UK hat deshalb das Projekt «Shared Conurbation Deliveries» ins Leben gerufen, um ausfindig zu machen, ob eine gemeinsame Belieferung der Stadtzentren eine wesentliche Verbesserung bezüglich Effizienz, Kosten und Umweltbelastung mit sich bringen würde.

Die Innenstadt von London wurde als Testgebiet ausgewählt. Zahlreiche Detaillisten und Zulieferer haben für die Studie ihre aktuellen Belieferungsprofile zur Verfügung gestellt, auf deren Basis eine Transportlösung modelliert wird. Dabei steht die Anforderung einer kollaborativen Belieferung der Londoner Innenstadt im Vordergrund. Das Modell sieht ein zentrales Vertriebszentrum vor, über das gemeinsame Transporte in das Stadtzentrum getätigt werden. Erste Modellanalysen haben ergeben, dass die restriktiven Lieferzeiten das grösste Problem bei der Umsetzung der modellierten Transportlösung darstellen.

Ergebnisse am 5. GS1 Business Day
Die Auswertung der Umfrage liefert ein ungefähres Bild von den Chancen der einzelnen Kollaborationsmodelle auf dem Schweizer Markt und der Bereitschaft der Unternehmen, einen solchen Weg zu beschreiten. Die Ergebnisse der Studie werden anlässlich des 5. GS1 Business Day am 20. Oktober 2009 in Zürich vorgestellt und diskutiert.

Valentin Wepfer
René Bürli
Silje Sartori

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