gs1-neton-header-05.jpg

Logistiker mit Leib und Forscherseele

Logistiker mit Leib und ForscherseeleAxel Maier unterstützt mit seiner Logistik die Kreativität der Forschungsteams der F. Hoffmann-La Roche AG in Basel. Der Logistikleiter führt mitunter den ungewöhnlichsten Supermarkt ohne Kasse.

(sp) Wäre Axel Maier ein Vollblutlogistiker, er wäre mit seinem aktuellen Job kaum so glücklich, wie er es in der Tat ist. Was nicht heisst, dass Axel Maier wenig mit Logistik am Hut hat.

Im Gegenteil: Der Logistikleiter beim Basler Roche-Konzern hat die GS1 Ausbildung zum diplomierten Logistikleiter 2008 als Bester des Jahrgangs absolviert. «Ein klassischer Logistiker würde hier davonlaufen», kokettiert er im Hinblick auf das scheinbar unerschöpflich grosse Lager mit ungezählten Fläschchen und Flaschen.

Das hat vor allem damit zu tun, dass die meisten Kunden in diesem besonderen Roche-Fall als Forscher tätig sind. «Forscher denken anders», holt Axel Maier aus und doppelt nach: «Logistiker leben von der Planung; Forscher eben genau nicht. Ein Logistiker weiss, was morgen sein wird. Er regelt, bestellt und strukturiert auf exakte Mengen hin. Er kennt den Anfang, das Ende und den Weg. Ein Forscher arbeitet umgekehrt: Er muss flexibel bleiben und sich seine Substanz zuerst erschaffen. Beim Forscher spielt das Endergebnis eine Rolle, den Weg aber kennt er vorher selten.»

Beim langjährigen Chemielaboranten spricht auch eine Forscherseele mit, wenn er schildert: «Vielleicht hat ein Forscher über Mittag eine Idee, wie er gewisse Substanzen in anderer Zusammensetzung herstellen kann. Dann müssen die Ausgangsmaterialien bereitstehen, die er braucht, um die Idee umzusetzen.» Zehn Chemikerleben – so etwa rechnet die Pharmabranche – kreieren gerade mal einen Wirkstoff, der es schick verpackt bis in die Apotheke schafft.

Selbstservice als Prinzip
Axel Maier orchestriert mit sechs Mitarbeitern ein Reich der Sonderklasse: Rund 3000 Kunden, respektive Forscher, bedienen sich in der Chemikaliensammlung und im Glaslager. In dem intern als «Sammlung» bekannten Lager sind an die 500 Standardchemikalien erhältlich. Labormitarbeitende holen die meisten dieser Substanzen und Life-Science-Produkte direkt aus dem Regal – mit dem Einkaufskorb wie im Supermarkt, allerdings kostenlos und ohne Registrierung.

Rund 25 000 spezielle Produkte gibt das Logistikteam an einem Schalter heraus. Sie stehen in einem automatischen Lagersystem oder in einem Kühlschrank und werden vollautomatisch per Barcode hervorgezaubert.

Die Labormitarbeitenden fragen über das Computersystem CIMS (Compound Inventory Management System) ab, ob die gewünschte Chemikalie an Lager ist und in welcher Menge. Da CIMS auch grafische Strukturformeln verarbeiten kann, ist es möglich, nicht nur nach Namen, sondern auch nach einem Molekül oder bestimmten Produkt zu suchen. Verfallsdaten führt das System nicht. Diese lassen sich so genau nicht bestimmen. «Einen einheitlichen Nenner für den Verfall gibt es nicht. Manche Produkte verfallen aus Sicherheitsgründen, das heisst, ihre Stabilität könnte abnehmen, bei andern betrifft es die Qualität», führt Maier aus. Auch das Glaslager kennt die Selbstbedienung: In grossen Mengen warten dort Erlenmeyerkolben, Intensivkühler, Pipetten oder Papiertaschentücher.

«Das ist keine ausweglose Situation», nimmt Axel Maier, der eine bodenständige Art von praktischem Humor pflegt, die grosse Frage vorweg: Wie steht in so einem Betrieb die richtige Menge am richtigen Ort zur richtigen Zeit bereit?

Wieder die Unbekannten
«Ich sah die Möglichkeit, alles professioneller aufzuziehen.» Die Lagerlogistik mit unbekannten Grössen öffnete ihm ein breites Wirkungsfeld. Axel Maier sprach mit ausgewiesenen Logistikern, diskutierte mit den Involvierten, vorab mit den Forschern, und kontaktierte auch die Ausbildungsabteilung. «Vor Abschlussprüfungen für Lehrlinge wurden wir regelrecht leer geräumt. Ich sensibilisierte die Verantwortlichen für die Belange der Logistik und informierte mich im Vorfeld über die Prüfungstermine. So können wir die Waren künftig bereitstellen.»

Über den Tellerrand hinausschauen und die grossen Linien erkennen, das habe ihm bei der Ausbildung zum Logistikleiter einen bleibenden Eindruck gemacht. «Wir mussten bei einer Fallstudie ein Portfolio für verschiedenste Produkte machen. Natürlich konzipierten wir alle komplexe, vielgestaltige Lösungen. Der Dozent aber präsentierte eine Lösung mit einem einzigen Kältepool. Wir mussten eingestehen, dass wir zu kleinräumig gedacht hatten», schildert Maier.

Natürlich ist es auch bei einer Roche nicht egal, wenn zu viel Kapital an Ware gebunden ist. Nach zwei Wochen erkundigen sich die Logistiker bei den Verbrauchern, ob sie überschüssige Chemikalien wieder ins Lager zurückbringen würden. «Wir können noch effizienter werden, den Bestand reduzieren und das Lagersystem CIMS erneuern», blickt Maier voraus. «Bislang gibt es auf dem Markt keine für unsere Bedürfnisse passende Software. Wir müssten die käuflichen stark modifizieren oder selber eine programmieren», sagt er. Seine Diplomarbeit schrieb er über eine RFID-Lösung, die den Forschern die hohe Verfügbarkeit der Standardchemikalien nach wie vor einräumt, jedoch die Bestandsmengen verkleinern würde.

Der Logistiker forscht mit
Hin und wieder lebt er seinen Forschergeist als Logistiker aus: etwa als das Lösungsmittel Acetonitril weltweit knapp wurde. Acetonitril ist ein Abfallprodukt, das man bei der Herstellung von bestimmten Kunststoffen gewinnt, die etwa bei der Automobilproduktion häufig gebraucht werden. Gleichzeitig ist es jedoch auch ein wichtiges Lösungsmittel für verschiedene analytische Anwendungen in Chemie- und Pharmaunternehmen. Aufgrund der aktuellen Weltwirtschaftskrise wurden deutlich weniger Autos gebaut. Entsprechend weniger Kunststoffe wurden produziert, und weniger Acetonitril gelangte auf den Markt. Zu wenig, um den Bedarf von Roche in Basel zu decken. Kurzerhand wurde hier in Zusammenarbeit mit der Einkaufsorganisation die Verfügbarkeit von Self Service auf kontrollierte und restriktive Ausgabe durch Maiers Gruppe umgestellt – je nach Forschungsprojekt und Arbeitsgebiet. Das macht ihn zum richtigen Mann am richtigen Ort: Er kennt zwei Welten und vermittelt zwischen ihnen.

Der Feierabend gehört seiner Frau und seinen beiden Kindern, mit denen er leidenschaftlich gerne in anspruchsvollen Brettspielen wie «Siedler von Catan» oder «Keltis» um kluge Spielzüge wetteifert. Später am Abend folgt Fussball am Fernsehen. «Ich bügle im Gegenzug meine Hemden. Fussball ist ideal dafür. Verpasst man einen entscheidenden Pass oder ein Tor, strahlt das Fernsehen bestimmt noch fünf Wiederholungen aus.» So viele Anläufe gibt er sich in der Logistik nicht.

Susanne Perren


Angaben zur Person
Axel Maier, 35, stieg 1990 als Chemielaborant in die Roche-Welt ein. Nach erfolgreicher Lehre und einem Jahr Zivildienst in Deutschland widmete er sich 1995 bis 2004 als Labortechniker diversen Projekten der chemischen Pharmaforschung. Im Juli 2004 wurde er Leiter «Stockroom & Chemicals» der F. Hoffmann-La Roche AG. Er ist in dieser Position auch stellvertretender Gebäudesicherheitsbeauftragter. Im Februar 2009 nahm er in Olten das Diplom des Logistikleiterlehrgangs GS1 Schweiz als Bester des Jahres 2008 entgegen. Axel Maier ist verheiratet. Der zweifache Vater wohnt mit seiner Frau und den Kindern in Lörrach.

Nach oben