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Schaufel um Schaufel durch den Dreck

Schaufel um Schaufel durch den Dreck Dank dem Einsatz des Barcodes zieht sich ein roter Faden durch die Sanierung der Sondermülldeponie Kölliken (SMDK). Zwischen 1978 und 1985 wurden hier rund 475 000 Tonnen Sondermüll eingelagert. Damals ging man nicht sehr systematisch vor, und schon bald fanden sich Giftstoffe im Grundwasser. 2004 verfügte der Kanton Aargau den vollständigen Rückbau, den nun zahlreiche Unternehmen abwickeln.

(as) Bauherr des ganzen Projekts ist das Konsortium SMDK, welches die Kantone Aargau und Zürich mit jeweils 41,6 Prozent sowie die Stadt Zürich und die Basler chemische Industrie mit jeweils 8,3 Prozent im grössten Entsorgungsprojekt der Schweiz vereinigt.

Das Konsortium als Dachgesellschaft koordinierte zunächst die Entwicklung des Gesamtprojekts, in welches Ideen aus entsprechenden Studien von vier verschiedenen Ingenieurbüros einflossen. Das Konsortium steuerte ebenfalls die internationale Ausschreibung dreier voneinander unabhängiger Baulose.

Die Umwelt vor gefährlichen Emissionen schützen
Los I umfasst die Infrastruktur: den Bau der drei weithin sichtbaren Hallen, welcher 2007 fertig war, sowie deren Rückbau voraussichtlich ab 2015. Los E umfasst die konkrete Entsorgung: Rückbau, Triage, Neuverpackung, Transport, Behandlung und Entsorgung der Abfälle. Im Los P+A schliesslich sind die Probenentnahme und die Analytik zusammengefasst, welche über den jeweiligen Entsorgungsweg des Materials entscheidet. Dafür wur- de eigens ein On-site-Labor errichtet, welches bis zu 600 Einzelproben und 60 Mischproben pro Tag auf rund 120 Analyseparameter untersuchen kann. Eine ganze Reihe von Unternehmen teilt die jeweils anfallenden Arbeiten unter sich auf. Die Halleninfrastruktur wurde von der Marti AG aus Zürich zusammen mit der Firma Züblin aus Stuttgart errichtet. In der ARGE Phoenix haben sich für Rückbau, Transport und Entsorgung fünf Firmen zusammengetan: Walo Bertschinger aus Zürich, Eberhard Bau und Eberhard Recycling aus Kloten sowie das Entsorgungszentrum Richi Weiningen und die deutsche Ecosoil aus Ulm. Probenahme und Analytik werden vom SGS Institut Fresenius und der IBL Umwelt-und Biotechnik Heidelberg erledigt, wobei Ersteres dem Genfer SGS-Konzern zuzurechnen ist. Jüngst waren wieder «richtige» Bautätigkeiten an der Reihe. Denn die 8000 Quadratmeter grosse Manipulationshalle wurde bis Oktober 2009 bereits von allen Abfällen und der früheren Deponiesohle befreit. Anschliessend verlegte man einen Betonboden, montierte einen Gleisanschluss und trennte die Hallenfläche auch baulich von der 33 000 Quadratmeter grossen Haupthalle. Nun wird eine stärkere Lüftungsanlage eingebaut, die statt bisher 60 000 Kubikmeter nun 215 000 Kubikmeter Stundendurchsatz hat. Ab Oktober 2010 geht es an die Räumung der grossen Haupthalle, in der das Gros der Abfälle lagert.

Aufwendige Identifikation der Schadstoffe verzögert Rückbau
Jean-Louis Tardent, Geschäftsführer des Konsortiums SMDK, berichtet vom Problem, dass man nicht genau weiss, was wo liegt. Bei der Einlagerung der Abfälle wurde zwar ein Katasterplan mit einem Raster von 10×10×1 Meter erstellt. Doch dieser gibt die tatsächlichen Positionen offenbar nur recht ungenau wieder. Abweichungen von 30 bis 40 Metern sind deshalb keine Seltenheit. Vor allem aber wurden die jeweils eingelagerten Substanzen selbst nicht deklariert. Mithin ist nur bekannt, welches Unternehmen in welcher Form Material einlagerte, ob lose oder in Fässern oder Big Bags.
Schadstoffdeklarationen existieren aber nicht. Deshalb gilt es nun jeden Tag neu zu analysieren, was da genau von den Baggern ausgegraben wird. Fässer sind dabei oftmals bereits verrottet und zerfallen. Die deshalb notwendig gewordene aufwendige Vorgehensweise ist mit ein Grund für die Verspätung gegenüber dem ersten Zielplan, der einen «Abbau» von durchschnittlich 500 Tonnen täglich und ein Arbeitsende 2012 vorsah. Bislang wurden gegen 26 Prozent der 628 100 Tonnen umfassen- den Gesamtdeponie abgetragen und die tägliche Menge erreichte durchschnittlich erst 430 Tonnen. Nun wird es wohl bis 2014 dauern, bevor Kölliken «leer» ist. Auch bei den Kosten sieht es bislang anders als geplant aus. Das ursprüngliche Budget von 445 Millionen Franken wird wohl deutlich überschritten werden. Vor allem, so Tardent, weil mehr Abfälle als gedacht in teurere Entsorgungswege eingespeist werden müssen. Zudem wurde damals nach Kubikmetern eingelagert, heute wird die Entsorgung aber zu Tonnenpreisen verrechnet – was beim hohen spezifischen Gewicht vieler Abfälle verstärkt zu Buche schlägt. Die aktuelle Kostenschätzung lautet deshalb jetzt auf 670 Millionen Franken; läuft es bes-ser als geplant, werden wohl gegen 580 Millionen Franken fällig.

Deponiemanagement mit Barcode
Um eine geordnete Dokumentation der Rückbauphase zu gewährleisten, nutzt die SMDK ein von der Wiener Firma ASPG Altlastensanierungsprojekte GmbH konzipiertes und entwickeltes Deponiemanagementsystem (DMS). Die geordnete Materialflusssteuerung wird durch eine Schrittsteuerung, eine klare Trennung von Schreib-, Lese-und Stornorechten von Daten sowie durch die Festlegung von Mindesteingabeverpflichtungen sichergestellt, erläutert Martin Schuster von der ASPG Altlastensanierungsprojekte GmbH. Damit werden die Fehlleitung von Abfällen sowie Probleme bei der Endabrechnung verhindert. Zudem kann die Aufsichtsbehörde über einen gesicherten «Remote Desktop»-Zugang jederzeit Einsicht in das System nehmen. Die Wartung erfolgt per Fernzugriff aus Wien.
Gemäss dem Deponiemanagementsystem wurden in den vergangenen Jahren mithin 158 238 Tonnen Material rückgebaut und entsorgt. Das Deponiematerial wird beim Rückbau zunächst nach Beschaffenheit vorsortiert. Die nicht kontaminierte Oberflächendeckschicht bildet Strasse 1, loses, aber kontaminiertes Material aus dem Deponiekörper die Strasse 2. Schliesslich fasst man in Strasse 3 Material in Gebinden zusammen. Material aus den Strassen 1 und 2 wird in losen Haufwerken aufgeschüttet.

Barcode schafft Sicherheit
Für die Auswahl des Entsorgungsweges ist die Arbeit von Los P+A zentral. Dort nutzt man als Laborinformations- und Managementsystem (LIMS) ein SAP-ERP-2004-System, basierend auf einer Oracle-Datenbank, erläutert Lutz Zabel, Projektleiter des On-site-Labors von SGS Institut Fresenius in Kölliken. Das LIMS nutzt die gleiche Datenbasis wie die Back-up-Labors. Damit besteht jederzeit Transparenz über Probenergebnisse aus allen beteiligten Labors. Aus jeder abgebauten Charge, ganz gleich ob Haufwerk, Fass oder Big Bag, entnimmt das Laborteam zunächst mehrere Proben, die in eine Sammelprobe gebündelt werden. Anschliessend wird im DMS ein Barcode für die abgebaute Charge generiert, der ebenfalls auf die Sammelprobe kommt. Bei der Aktivierung des Laborauftrags im LIMS erhalten die Mischproben ein Label mit Barcode und Labornummer zur eindeutigen Zuordnung. Mit diesem Barcode werden die Proben eingescannt, um den Startpunkt der Analytik festzuhalten. Gleichzeitig werden weitere Labels (Barcode und Klartext) für alle Analysenschritte ausgedruckt, um eine lückenlose Dokumentation zu erlauben. «Die Nutzung von Barcodes bei allen Teilschritten der Analytik verringert das Verwechslungsrisiko und erhöht damit die Sicherheit der Analytik», stellt Zabel fest.

Genaue Entsorgungskriterien sind vorgegeben
Die Annahmekriterien der einzelnen Entsorgungsschienen sind im LIMS hinterlegt und determinieren über einen Abgleich der Ergebnisse mit den jeweils hinterlegten Annahmegrenzwerten die Liste der je Probe möglichen Entsorgungsschienen. In der Folge wird vom Los P+A aus der Liste der möglichen Entsorgungsschienen die günstigste vorgeschlagen. Anschliessend stellt das LIMS dem DMS Daten via Filetransfer zur Verfügung. Hierfür werden die Dateien mittels VPN/VPN-Kopplung in einem definierten Verzeichnis abgelegt. Zusätzlich wird ein Ergebnisbericht im PDF-Format erstellt und in das entsprechende Verzeichnis des DMS eingestellt. Diese Vorgehensweise sorgt für ein Minimum an redundanter Datenerfassung und reduziert Fehlerquellen. Die Probenahmeplanung sieht für die ganze Sanierungszeit rund 300 000 Probe-entnahmen vor, was etwas mehr als 500 Proben pro Tag entspricht. Mit dem Barcode des DMS werden dann alle weiteren Prozesse dokumentiert. Das DMS stellt einen lückenlosen Zusammenhang her zwischen den Abbaueinheiten (Haufwerk oder geborgenes Gebinde), den Transporteinheiten (Container oder Gebinde mit Abfällen) und schliesslich den Transportchargen (Zusammenstellung mehrerer Container oder Gebinde). In insgesamt acht zeitlich nacheinander angeordneten Schritten wird der Weg des Materials vom Abbau einer Charge aus dem Deponiekörper bis hin zur Freigabe und Fakturierung der Transportchargen überwacht und dokumentiert. Der Barcode dient dabei auch zur Identifikation der Transportcontainer auf dem Areal in Kölliken, beispielsweise der Abfüllanlage. Für jeden möglichen Entsorgungsweg müssen anschliessend die Vertragspartner der ARGE Phoenix/Los E jeweils zwei passende Anlagen ausweisen können, um die Betriebssicherheit nicht zu gefährden. Auf dem Transport selbst wird kein Barcode genutzt, sondern die Ladung erhält die üblichen bzw. vorgeschriebenen Versandpapiere zur Identifikation in physischer Ausführung mitgegeben. Im Inland ist das beispiels- weise der VeVA-Schein (Verordnung über den Verkehr mit Abfällen). Geht die Ladung ins Ausland, gilt es den von der EU verlangten Notifikationsbegleitschein beizulegen. Weitere Dokumente sind Pro-forma-Rechnung, Zollpapiere und anderes. Allerdings werden diese Dokumente nicht nur physisch dem Transport mitgegeben, sondern auch per E-Mail an den Empfänger der Lieferung übermittelt. Es komme doch hin und wieder vor, dass ein Dokument auf dem Transportweg abhanden komme, meint Patric van der Hagen, Projektverantwortlicher Kölliken bei Eberhard Unternehmungen. Bisher verblieben 38 Prozent der rückgebauten Abfälle in der Schweiz, 62 Prozent wurden in Deutschland oder Holland behandelt. Ein Grossteil, 37 Prozent der Gesamtmenge, ging dabei zur mechanischen Bodenreinigung an die ESAR Reinigung Rümlang.Mit 38 Prozent noch etwas mehr wurde der Sonderabfallverbrennung, vorrangig in Deutschland und Holland, aber in kleinem Umfang auch in der Schweiz, zugeführt. Rückstände nicht verwendeter Rauchgasgranaten der Schweizer Armee fanden so den Weg zu Ems Dottikon. Rund 500 Tonnen alter Batterien aus Handel und Armeebeständen werden von der Batrec in Wimmis pyrolisiert.

Alexander Saheb

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