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Zukunftsszenarien Infrastruktur

Zukunftsszenarien Infrastruktur Im internationalen Vergleich verfügt die Schweiz über eine gut ausgebaute und unterhaltene Infrastruktur. Diese Ausgangslage muss auch für die Zukunft gesichert sein. Wird die Kapazitätsgrenze erreicht, entstehen Funktionsstörungen. Geeignete Massnahmen sind rechtzeitig zu treffen.

(ss, vkw) Nur wenige Wochen nach dem 5. GS1 Business Day zum Thema «Infrastruktur 2020+» hat das Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) erstmals einen Bericht zur Zukunft der nationalen Infrastrukturnetze in der Schweiz veröffentlicht und sieht ebenfalls Handlungsbedarf. GS1 Schweiz schlägt vier kollaborative Ansätze aus dem Ausland vor, welche zur optimierten Nutzung der bestehenden Infrastruktur beitragen könnten.

Volkswirtschaftliche Bedeutung der Infrastruktur
Ähnlich wie die Voruntersuchung von GS1 Schweiz macht auch der Bericht des Bundes auf die Bedeutung einer gut ausgebauten und qualitativ hochwertigen Infrastruktur für den Standortvorteil der Schweiz im globalen Wettbewerb aufmerksam. Es wird aber auch betont, dass dieser Vorteil nicht auf Dauer gesichert ist. Die Anpassung der Infrastruktur an künftige Anforderungen ist daher unerlässlich. Das Augenmerk der Zukunftsstrategie richtet sich insbesondere auf die volkswirtschaftliche Bedeutung der Infrastruktur, welcher bis anhin von staatlicher Seite vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt wurde.

Strasse als wichtigste Verkehrsinfrastruktur
Im Bericht wird mit eindrücklichen Zahlen belegt, dass die bei weitem wichtigste Verkehrsinfrastruktur des Landes die Strassen sind: 75 Prozent des Personenverkehrs und 60 Prozent des Güterverkehrs finden auf dem rund 70 000 km langen Schweizer Strassennetz statt. Dabei ist vor allem die Bedeutung der Nationalstrassen nicht zu unterschätzen. Obwohl ihr Netz lediglich 2,5 Prozent der Schweizer Strassen insgesamt ausmacht, bewältigen sie dennoch rund ein Drittel des gesamten Strassenverkehrsaufkommens in der Schweiz. Obwohl der Ausbaustandard der Schweizer Strassen insgesamt gut ist, stösst das Strassennetz während der Verkehrsspitzen doch stellenweise an Kapazitätsgrenzen. Was die Nationalstrassen anbelangt, so besteht das grösste Staurisiko in den grossen Agglomerationen sowie auf den Hauptachsen zwischen diesen. Während das Verkehrsaufkommen auf der Strasse das Ergebnis unzähliger individueller Entscheidungen der Verkehrsteilnehmer ist, ist der Schienenverkehr durch einen fixen Fahrplan genau geregelt. Solange die Strasse über genügend freie Kapazitäten verfügt, spielt dieser Unterschied keine relevante Rolle. Erst wenn die Beanspruchung der Strasse an die maximale Belastungsgrenze kommt, ändert sich dies: Dann kommt es an kritischen Stellen zu Staus, die sich bei fehlenden Ausweichmöglichkeiten auf das weitere Strassennetz ausweiten können. Wie das UVEK feststellt, kann es deshalb sinnvoll sein, die individuellen Entscheidungen zu koordinieren, um diesen kritischen Punkt möglichst weit hinauszuschieben. An diese Überlegungen knüpfen auch die von GS1 Schweiz vorgeschlagenen kollaborativen Ansätze an.

Koordination individueller Entscheidungen
Es ist wichtig hervorzuheben, dass es bei der Koordination von individuellen Entscheidungen lediglich um das Hinausschieben der Erreichung von maximalen Belastungsgrenzen geht. Dadurch wird zwar kurzfristig Entlastung geschaffen, aber langfristig ist das Problem nicht gelöst. Dies entspricht auch den Erkenntnissen, welche im Rahmen der Voruntersuchung von GS1 Schweiz gewonnen wurden: Kollaboration ist als ergänzende Massnahme zu betrachten. Ausund Neubauten sind dennoch notwendig und sinnvoll. Allerdings ist GS1 Schweiz der Überzeugung, dass durch die Bereitstellung einer Plattform für Kollaboration bzw. Koordination sowie durch die Implementierung von Regeln und Prozessen die Kapazitäten der bestehenden Infrastruktur besser ausgelastet werden könnten. So könnten zumindest Leerfahrten teilweise reduziert, Spitzenzeiten abgebaut und Staus vermindert werden. Diese Potenziale bestehen sowohl im Transitbzw. Fernverkehr als auch in der Agglomerationsbzw. Citylogistik. Das Ziel der Voruntersuchung von GS1 Schweiz war es, das Potenzial von kollaborativen Ansätzen und Transparenz auf dem Schweizer Markt abzuschätzen. GS1 Schweiz hat vier Ansätze aus dem Ausland aufgegriffen, die zur optimierten Nutzung der bestehenden Infrastruktur beitragen könnten.

Transportpool
In Frankreich haben sich Hersteller und Verteiler im Konsumgüterbereich unter der Leitung von ECR France entschlossen, gemeinsam nach langfristigen Lösungen in der Konsumentenbelieferung zu suchen. Eine zentrale Frage stand im Mittelpunkt: Wie lässt sich die Belieferungshäufigkeit unter gleichzeitiger besserer Auslastung der Transportfahrzeuge erhöhen? Mit dem Transportpool «Cartographie ECR du transport» wird jeder Partner, welcher eine verbesserte Auslastung seiner Fahrzeuge sowie einen erhöhten Konsumentenservice und frischere Produkte anstrebt, identifiziert. ECR France hat dieses Hilfsmittel unter der Adresse www.ecrfrance.org publiziert. Die beteiligten Unternehmen können dort den Abgangsund Zielort ihrer Lieferung angeben. Zusätzlich können Hinweise zur Produktkategorie und möglichen Transporteinschränkungen gemacht werden. Anhand der Daten werden mögliche Partner für die gemeinschaftliche Nutzung von Transportkapazitäten ermittelt. Mit der Simulationsanwendung können auch die CO2Einsparungen ermittelt werden, die sich aufgrund der Optimierung realisieren lassen.

Transportbündelung
In Grossbritannien garantiert das «Collaborative Trunking» zwischen Detaillisten und Lieferanten eine bessere Fahrzeugauslastung. Durch Zusammenlegen der Leerfahrten können innerhalb der Gemeinschaften Unternehmen identifiziert werden, welche die ungenutzten Kapazitäten auslasten und so von den Leerfahrten profitieren könnten. Dadurch werden auch Firmen, die keine direkten Handelspartner sind, zur Zusammenarbeit bewegt. Die Rahmenbedingungen wurden durch ECR UK entwickelt. Die Sitzungen werden «Collaborative Distribution Interactive Sessions» genannt.

Belieferung von entlegenen Gebieten
Auch Gebiete mit einer niedrigen Bevölkerungsdichte wollen in Grossbritannien versorgt werden. Die Belieferung solcher Gegenden wird durch Spediteure vorgenommen, die über eigene regionale Verteilzentren verfügen. Aufgrund des geringeren Warenvolumens werden für die Belieferung kleinere Transportfahrzeuge eingesetzt, welche vom regionalen Verteilzentrum aus die Filialen im Norden anfahren. Die Arbeitsgruppe von ECR UK hat dazu ein alternatives Transportmodell entwickelt. Die Waren werden nicht mehr von den einzelnen Spediteuren in den kleinen Transportfahrzeugen ausgeliefert, sondern in grossräumigen, doppelstöckigen Transportern. Die Fahrzeuge wurden für Ladungen mit grossen Volumen konzipiert. So können mehrere Wagenladungen von unterschiedlichen Spediteuren im selben Fahrzeug befördert werden. Dadurch sollen die zurückgelegten Transportkilometer um 40 Prozent reduziert werden.

Belieferung von Ballungsräumen
In Grossbritannien lebt ein grosser Teil der Bevölkerung in städtischen Ballungsgebieten. Dementsprechend wird ein bedeutender Anteil des Vertriebsvolumens von Lebensmitteln in diese Gebiete geliefert. ECR UK hat das Projekt «Shared Conurbation Deliveries» ins Leben gerufen, um ausfindig zu machen, ob durch eine gemeinsame Belieferung der Stadtzentren eine wesentliche Verbesserung bezüglich Effizienz, Kosten und Umweltbelastung erfolgt. Die Innenstadt von London wurde als Testgebiet ausgewählt. Zahlreiche Detaillisten und Zulieferer haben für die Studie ihre aktuellen Belieferungsprofile zur Verfügung gestellt, auf deren Basis eine Transportlösung modelliert wurde. Im Vordergrund stand die gemeinsame Belieferung der Londoner Innenstadt. Das Modell sieht ein zentrales Vertriebszentrum vor, über das gemeinsame Transporte in das Stadtzentrum getätigt werden. Die Analyse hat ergeben, dass die restriktiven Lieferzeiten das grösste Problem bei der Umsetzung der modellierten Transportlösung darstellen. Um die Möglichkeiten besser ausschöpfen zu können, wäre eine flexiblere Handhabung der Belieferungszeiten notwendig Der grösste Nutzen resultiert jedoch aus der geringen Anzahl der Fahrzeugwechsel.

Ideen, aber keine fertigen Lösungen
Obwohl mit einigen Lösungsansätzen im Ausland bereits praktische Erfahrungen gewonnen werden konnten, bedeutet dies nicht, dass diese Modelle 1:1 in der Schweiz anwendbar sind. Es handelt sich lediglich darum, Gedankenanstösse zu liefern und aufzuzeigen, in welche Richtung es gehen könnte. Wie die einzelnen Diskussionsrunden am 5. GS1 Business Day gezeigt haben, ist ein grundsätzliches Interesse an Kollaboration vorhanden. Die Unternehmen sind sich einig darüber, dass mittel oder langfristig Kapazitätsengpässe auftreten werden, die durch den Ausbau der Infrastruktur alleine nicht entschärft werden können. Nebst dem Unterhalt und dem Ausbau der Infrastruktur müssen weitere Massnahmen zur Entschärfung der Engpässe getroffen werden. Eine Diskussionsplattform wird von den Teilnehmern begrüsst. Sie fördert den Informationsaustausch und kann weitere Ideen zum Thema Engpassbewältigung liefern. So kann die Schweiz in diesem Bereich eine Vorreiterrolle einnehmen, was zu einem wertvollen Kompetenzvorsprung führen würde.

Leidensdruck: Triebfeder für Veränderung
Trotz der gemeinsamen Erkenntnisse gilt es zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen. So ist die Offenheit für Innovationen generell zu gering, und kollaborative Ansätze werden durch «Gärtchendenken» verhindert. Auch die Tatsache, dass Intransparenz allgemein als Vorteil und nicht als Nachteil gesehen wird, lässt kollaborative Modelle gar nicht erst entstehen. Schliesslich ist der Transport zu billig, sodass sich Investitionen in Effizienz noch zu wenig lohnen. Erst wenn der Leidensdruck hoch genug ist, werden die Unternehmen bereit sein, im Bereich der kollaborativen Transportoptimierung eine Vorreiterrolle einzunehmen. GS1 Schweiz hat die Thematik «Infrastuktur 2020+» aufgrund der Aktualität und Dringlichkeit zum Schwerpunktthema gemacht. Diverse Gremien werden sich im Rahmen ihrer Tätigkeit der Angelegenheit annehmen. In Zusammenarbeit mit interessierten Unternehmen wird das weitere Vorgehen definiert. Erste informelle Gespräche haben bereits stattgefunden. ||

Silje Sartori
Valentin Wepfer

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