gs1-neton-header-01.jpg

Von der Pike zum CEO

Mario Cavallucci, von der Pike zum CEOMario Cavallucci ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie weit man es in der Logistik von der Pike auf bringen kann, wenn man seine Karriere in die eigene Hand nimmt  und nebenbei auch etwas Glück hat.

Für einen Länder-Chef des Logistikunternehmens Agility ist der Werdegang von Mario Cavallucci sicher nicht typisch – aber sehr bemerkenswert:

Der Sohn eines in Süddeutschland eingewanderten Italieners und einer deutschen Mutter hat seine Karriere nicht etwa mit einem Studium lanciert, sondern mit einer ganz gewöhnlichen Speditionslehre in Lörrach.Wie er dazu gekommen ist? «Meine Tante in Villingen», erinnert sich Cavallucci, «hatte eine Möbelspedition. Schon als Kind fand ich das immer cool, diese Umzüge nach Paris, in die USA und andere ferne Orte.» Und so landete der 17-jährige Mario nach den obligatorischen Schuljahren 1990 bei einer Firma namens «Mutter Spedition», die aus der Dreiländerregion ganz Deutschland und mit einem täglichen Lkw auch die Nordwestschweiz belieferte. Als Lehrling durfte Cavallucci immer die Sonder-und Expressfahrten machen, zum Beispiel morgens hoch nach Hamburg und nachts wieder zurück, etwa um fehlende Zutaten für einen Getränkehersteller zu besorgen. «Die ständige Abwechslung mit Transportgütern und Kunden macht den Reiz der Branche aus», betont Mario Cavallucci und ergänzt: «Jeder eingefleischte Speditiönler wird Ihnen sagen, er könne sich eine andere Tätigkeit überhaupt nicht vorstellen.» Allerdings sind bei der Spedition nicht nur Güter in Bewegung, sondern auch die Unternehmen selbst. Weltweit beobachtet man zwei Trends: jenen zur puren Grösse und jenen zur Spezialisierung.

On-the-job-Training
Zurück zu Mario Cavallucci: Auch bei ihm lautete die Devise «einmal Spedi, immer Spedi». Das galt selbst dann, als nach abgeschlossener Lehre und einem Jahr Militär seine angestammte Firma Konkurs gegangen und von Danzas übernommen worden war. «Da es dort eigentlich keinen angemessenen Platz für mich gab, ging ich fürs Erste als Danzas-Kurier in die Warteschlaufe. Bis mir meine Tante aus der Patsche half: Sie brachte mich in Kontakt mit Veron Grauer, einer typisch schweizerischen Traditionsfirma, die zwar ebenfalls Danzas gehörte, aber auf Früchteverzollung spezialisiert war und unabhängig agieren konnte. Da lernte ich die internationale Welt der Spedition kennen. Diese Firmen brauchen alle ein Netzwerk wie die IASA, die International Air Shipping Association, wo sie sich gegenseitig als Partner in bestimmten Ländern vertreten. Nur so haben sie als kleine Player überhaupt eine Chance im Markt.» Bei Veron Grauer organisierte Cavallucci Seefracht, Luftfracht – einfach alles. Und weil sein 60-jähriger Chef nicht mehr an die IASA-Veranstaltungen reisen mochte, schickte er 1995 kurzerhand seinen Youngster ans nächste Meeting. Cavallucci: «Das fand in Manila statt, ich war 22, hatte nicht mal einen Anzug, und mein Englisch war auch nicht gerade vom Feinsten. Aber ich biss mich durch, und das Treffen, bei dem es vor allem ums Networking ging, war für mich eine tolle Lehre und auch eine persönliche Bereicherung. Mit einigen Teilnehmern habe ich sogar noch heute Kontakt.»

Mario Cavallucci, Länder-Chef des Logistikunternehmens Agility Nachdiplomstudium – ohne Diplom
Nach neun Jahren bei Veron Grauer kannte Mario Cavallucci die internationale Spedition in-und auswendig. Als Danzas von DHL übernommen wurde, wechselte er zu einer Reederei – aber bloss für ein Jahr. Die nächste Station war Crowe & Co., eine andere alteingesessene Schweizer Firma, die über ein exklusives Agentennetz der Partnerfirma Menlo weltweit vertreten war und Handelsgüter jeder Art transportierte. Bei Crowe gab es neben Land-, Luft-und Seefracht auch den Bereich Warehousing, und diesen suchte sich Cavallucci aus, weil er das noch nie gemacht hatte. Seine Idee dabei war, das mit einer Weiterbildung zu verbinden – konkret: mit einem Nachdiplomstudium an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

«Dass man mich dort akzeptierte, obschon ich gar kein Diplom vorweisen konnte, rechne ich der Schulleitung sehr hoch an», sagt Mario Cavallucci und präzisiert: «Nach einem langen Gespräch waren die Verantwortlichen so flexibel, meine breite Berufserfahrung als Qualifikation anzuerkennen.» Ein Glücksfall, den der zielstrebige gelernte Spediteur noch heute zu schätzen weiss: «Das Studium war nicht nur mein grösster Karrieretreiber, es half mir auch bei der persönlichen Entwicklung. Ich hätte sonst gar nicht die Reife gehabt, die weiteren Karriereschritte zu machen.»

Das sehr breit gefächerte Curriculum, das Mario Cavallucci an der Fachhochschule besuchte, hiess «Internationales Logistikmanagement». Dazu gehörte auch ein fachspezifischer Teil, bei dem es um Supply Chain Management ging. «Das Studium», sagt Cavallucci, «hat meinen Horizont enorm erweitert und mir geholfen, die Fachbegriffe – das Einmaleins – im Management kennenzulernen.» Finanziert wurde die berufsbegleitende Ausbildung vom Arbeitgeber Crowe. «Es ist eine erfreuliche Besonderheit in der Schweiz, dass Unternehmen so was unterstützen», betont Cavallucci, «ich hätte mir die 20 000 bis 30 000 Franken für das Studium gar nicht leisten können.» An der Fachhochschule gab es einen bunten Mix von Studierenden: solche, die frisch von der Uni kamen, aber auch ältere Semester mit langer Berufserfahrung. «Die Uni-Absolventen», erinnert sich Cavallucci, «hatten im Gegensatz zu den Leuten mit beruflichem Hintergrund teilweise grosse Mühe; viele schieden bei den Zwischenprüfungen auch aus.»

Frauen immer noch untervertreten
Frauen waren an der Fachhochschule allerdings deutlich untervertreten. «Die Spedition», bedauert Cavallucci, «ist eben nach wie vor eine Männerwelt, und das ändert sich nur langsam – meiner Meinung nach viel zu langsam.» Dabei geht es in der Branche längst nicht mehr bloss um den Gütertransport von A nach B, der «starke Männer» und schwere Gerätschaften erfordert, sondern immer häufiger um das Management ganzer Lieferketten, bis hin zu Eingriffen in die Produktion.

Tatsächlich hat die Spedition eine gewaltige Entwicklung erlebt: Es ist keine 30 Jahre her, da wurden die Aufträge noch per Telex kommuniziert. Telefax und später E-Mail brachten lange herbeigesehnte Erleichterungen, jedoch auch viel komplexere Arbeitsabläufe, da man immer erreichbar sein muss. Aber den grössten Fortschritt verdankt die Branche der mobilen Datenerfassung, dem sogenannten Track & Trace, der Möglichkeit also, Sendungen auf ihrem Weg jederzeit online zu verfolgen. Allerdings war die Spedition nie Treiberin solcher Fortschritte, sondern Getriebene: Am Anfang der Innovationen stehen praktisch immer die Kunden, welche die Weiterentwicklung fordern.

Trend zu integrierten Logistiklösungen
Zurzeit geht der Trend übrigens in Richtung kundendefiniertes Track & Trace: Es interessieren nur noch jene Sendungen, die nicht wunschgemäss laufen – bei allen andern (hoffentlich der Mehrzahl!) produziert das Track & Trace bloss unnötigen Datenverkehr. «Natürlich», sagt Mario Cavallucci, «gibt es auch heute noch viele Kunden, die lediglich an möglichst raschen und billigen Transporten interessiert sind. Aber der Anteil jener, die mehr wollen oder sogar eine durchgehende Logistik-Lösung suchen, nimmt ständig zu. Mit solchen Angeboten kann sich eine Logistikfirma von der Konkurrenz abheben und wird zum echten Partner ihrer Kunden.» Persönlicher Kundenservice wird zum Standard und fordert die Flexibilität der Mitarbeitenden jeden Tag aufs Neue.

Dazu braucht es auch betriebswirtschaftliches Wissen. Mario Cavallucci hat sich dieses in einem weiteren berufsbegleitenden Curriculum geholt, dem Logistic Leader GS1 Course in Olten. Da lernte er in zwölf Monaten – immer noch bei der gleichen Firma tätig, die mittlerweile nach einer Fusion Natural AG hiess (typisch für die Branche), und von dieser unterstützt – betriebswirtschaftliche Zahlen zu lesen und zu interpretieren. Dies ist enorm wichtig in einer Zeit, in der die Finanzabteilung immer grösseren Einfluss auf die Unternehmenssteuerung hat und der Posten des Chief Financial Officer immer häufiger zum Sprungbrett für die Position des Firmenchefs wird.

«Auch bei diesem Schritt», erklärt Cavallucci, «folgte ich meinem inneren Antrieb zum lebenslangen Lernen. Und er half mir enorm, als ich weitere Management-Aufgaben übernahm: So wurde ich nie in eine Position geschoben, die ich nicht meistern konnte – ein Fehler, der leider recht häufig gemacht wird: Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit, nicht ihrer Qualifikation zu befördern.»

Eine Bilderbuchkarriere
Cavalluccis Karrierestationen folgten wie am Schnürchen: Nach der BWL-Weiterbildung übernahm er erst den Verkauf, dann die ganze operative Verantwortung für den Logistikbereich als COO. Schon bald darauf kam das Rebranding zu Agility, die im Zuge der Globalisierung zahlreiche Firmen akquirierte und unter ihrem neuen Markennamen vereinte. Eineinhalb Jahre führte Cavallucci die Logistik, als sein Vorgesetzter neuer CEO der Area West wurde (Agility Frankreich und Schweiz wurden unter ein einziges Management geführt) – ein Glücksfall für den aufstrebenden Kadermann: Jetzt hatte der 35 Jahre junge Cavallucci die Chance, als Chief Operating Officer Schweiz nachzurücken und damit Chef von fast 450 Mitarbeitenden zu werden. Doch damit nicht genug: 16 Monate später folgte bereits der nächste Sprung – nicht nur in der Karriere, sondern auch geografisch: Mario Cavallucci wurde als CEO für Agility in Kanada nominiert, dem zweitgrössten Land der Erde.

Fragt man Mario Cavallucci, worauf er seine phänomenalen Berufserfolge zurückführt, tönt die Antwort recht simpel: «Natürlich hatte ich viel Glück in meinem Leben. Aber dass ich es so weit gebracht habe, liegt vor allem daran, dass ich meine Karriere von Anfang an selber aktiv in die Hand genommen habe.»

Vanessa Dethorey

Nach oben