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Fachausweis in Griffweite

Achtung PrüfungEs herrscht ein emsiges Treiben, ein Kommen und Gehen im Hotel Banana City in Winterthur. An diesem 21. Oktober 2011 ist hier der ganze dritte Stock reserviert für die Prüfungen zu Logistikfachleuten mit eidgenössischem Fachausweis.

(jf) Es ist die zweite der beiden jährlich stattfindenden Prüfungen, und auch dieses Mal sind rund 250 Kandidatinnen und Kandidaten angemeldet. Bei den mündlichen Einzelprüfungen ist «Methoden- und Sozialkompetenz » das eine Thema,  «Unternehmen und Organisation / Kosten und Investitionsrechnung » das andere. Zum Abschluss gehört aber auch eine mündliche Gruppenprüfung zum Thema «Logistik- Gesamtprozess».


Eine lohnende Investition
Eben abgelegt hat eine solche Gruppenprüfung Denis Mrsa. Seine beiden Mitkandidaten hat er erst unmittelbar vor der Prüfung kennen gelernt – wildfremde Leute, die unterschiedliche Bildungsgänge hinter sich haben. «Wir haben kurz den Ablauf und das Zeitmanagement besprochen und uns dann hinter den Fall gemacht. Dabei haben wir rasch gemerkt, dass wir dieselbe Sprache sprechen», erzählt Mrsa. «Einer hat den Lead übernommen, das ist eigentlich ganz gut gelaufen. Die Experten haben uns schon auf den Zahn gefühlt, aber die Fragen waren klar und verständlich.»

Ganz ähnlich hat Miftar Miftarofski die Prüfung erlebt. Nach einer Logstikerlehre hatte er den Ausbildungsgang beim sfb Bildungszentrum Emmenbrücke in Angriff genommen. «Es lohnt sich schon allein wegen des Wissens, das man sich aneignen kann, ausserdem macht sich ein solches Papier sehr gut im Lebenslauf.» Auch Cindy Oppliger, eine der ganz wenigen Damen an diesen Prüfungen, sieht in der Ausbildung eine lohnende Investition. «Insgesamt ist der Aufwand dafür erträglich, aber man muss seine Hobbys schon ein wenig zurückstellen», sagt sie. Die Prüfung selbst hat sie ebenfalls als angenehm empfunden. Die Experten hätten einem sogar geholfen.


GS1 und die Experten
Diese Feedbacks hört Franco Miani, verantwortlich für den Bereich Bildung bei GS1 Schweiz, gerne: «Wir legen grossen Wert auf anspruchsvolle, aber faire Prüfungen. Um dies zu gewährleisten, führen wir mit den Experten Workshops durch», erzählt er. «Dabei werden Prüfungen durchgespielt, und wir zeigen auf, wie man mit schwierigen Situationen umgehen kann, wie man für eine gute Atmosphäre sorgt und vieles mehr.» Jedes Expertenteam wird zudem während einer Prüfungssession mindestens einmal von einem Mitglied der Prüfungskommission besucht. Danach gibt es eine Feedbackrunde. «Ziel ist, dass die Experten immer besser werden», sagt Miani.

Im Expertenraum herrscht denn auch eine konzentrierte Atmosphäre. Serge Danis und Faton Limani sitzen zusammen und besprechen eine eben durchgeführte Gruppenprüfung. Beide arbeiten bei Novartis im Bereich Sourcing und sind seit Jahren als Experten dabei. Sie würden jeweils versuchen, die Kandidaten zu beruhigen und eine entspannte Stimmung zu schaffen, erzählt Faton Limani. «Danach kann das Team seine Lösung präsentieren und wir haken dann nach, beispielsweise nach einem verwendeten Begriff. So finden wir heraus, ob Substanz da ist oder nicht.»

Die Gruppenprüfungen zu bewerten, sei eine sehr spannende Aufgabe. «Man merkt zum Beispiel sehr schnell, wer den Lead hat und wo Fachkompetenz vorhanden ist», erzählt Limani weiter, «und das ist oft nicht dieselbe Person.» Die Tatsache, dass die Gruppen per Zufall durch das Alphabet zusammengesetzt werden, sorge für zusammengewürfelte Teams, ergänzt Serge Danis, «aber genau das generiert meist ein gutes Resultat. Je heterogener die Gruppe, desto ertragreicher der Output.»


Wo die Fäden zusammenlaufen
Die unterschiedlichen Hintergründe der Kandidaten rühren einerseits daher, dass die Zulassungsbestimmungen bewusst recht weit gefasst sind, andererseits aber auch daher, dass verschiedene Anbieter des Ausbildungsgangs existieren. Neben den BWZ sind das vor allem die Niederlassungen des sfb Bildungszentrums.

Hingegen waren diesmal keine Kandidaten am Start, die einen GS1 Lehrgang absolviert haben. «Der Grund dafür ist einfach», erklärt Mario Rusca vom Geschäftsbereich Bildung bei GS1 Schweiz, der als Prüfungsleiter natürlich vor Ort ist. «Wir haben bereits die ersten Lehrgänge nach neuer Prüfungsordnung am Laufen und daher den Lehrgang nach altem Reglement nicht mehr angeboten. Wir sind jedoch vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) mit der Organisation und Durchführung dieser und anderer eidgenössischer Prüfungen betraut.» Teil dieser Aufgabe sei es auch, die Prüfungskommission zusammenzustellen.

Mark Meng ist als Mitglied dieser Kommission vor Ort präsent: «Die Liste der Aufgaben der Prüfungskommission ist lang», erzählt er. «Das reicht von der Bereitstellung der Prüfungsaufgaben über die Wahl der Experten bis zur Beaufsichtigung der Prüfungen.» Meng selbst ist Zentrumsleiter beim sfb Bildungszentrum Bern Mittelland. Mit seiner Präsenz möchte er nicht zuletzt eine Wertschätzung den Experten gegenüber zum Ausdruck bringen. Die unterschiedlichen Bildungshintergründe seien als echte Bereicherung zu werten, findet Mark Meng. «Das macht die Sache manchmal zwar nicht gerade einfacher, aber die Ausbildung soll verschiedenen Gruppen zugänglich sein.»


Nicolas Florin: "Das Schweizer Bildungssystem ist einzigartig"Ein grösserer Zusammenhang
Anwesend ist auch Nicolas Florin, seines Zeichens CEO von GS1 Schweiz. Er stellt die Prüfungen in einen grösseren Zusammenhang. «An internationalen Meetings stelle ich immer wieder fest, dass man das duale Bildungssystem der Schweiz bewundert und uns darum beneidet», berichtet er.

In diesem Zusammenhang seien die Weiterbildungen im Bereich Logistik auch ein wichtiger Ausgleich zur Tendenz der Behörden und Politiker, den akademischen Bereich zu forcieren, sagt Florin. «Man hat in verschiedenen europäischen Ländern gesehen, wohin das führt: Wenn man einfach die Menge von Matura-Absolventen erhöht, nimmt man der Wirtschaft fähige Leute weg, weil Akademiker oft nicht operativ tätig sein wollen.» Aus diesem Grund erachte er es als besonders wichtig, auch Nicht-Akademikern eine Karriere zu ermöglichen. «Hier bietet unser Bildungssystem mit seiner Durchlässigkeit Möglichkeiten, die praktisch einmalig sind.» Diese Möglichkeiten wolle man seitens GS1 Schweiz voll ausschöpfen. Der Verband hat sich zum Ziel gesetzt, der Wirtschaft professionelle Fach- und Führungskräfte zur Verfügung zu stellen. «Dieser Verantwortung wollen wir sowohl als Prüfungsträger wie auch als Lehrgangsanbieter Rechnung tragen», meint Florin.


Und die Logistikerinnen?
Es gibt nur wenige Frauen, welche die Prüfung absolvieren. Noch seltener sind Expertinnen. «Ich bin wahrscheinlich die erste Logistikerin der Schweiz gewesen», sagt die selbstständige Beraterin Regula Kaspar. Noch heute gebe es kaum junge Frauen in diesem Bereich. Der Ball liege bei den Betrieben, die viele Logistiker beschäftigen, wie die SBB oder die Post. «Es ist nämlich auch für Frauen ein spannender Beruf, es geht ums Organisieren, um Prozesse, um gesunden Menschenverstand. Das könnte eigentlich sogar eine Domäne der Frauen sein!»

«Trotzdem ist Logistik nach wie vor kein Thema für Mädchen», ergänzt Katharina Nobs. Sie arbeitet bei der SBB und ist an der Prüfung als Expertin für Logistik-Gesamtprozesse engagiert. Es gebe weiterhin viele Vorurteile. «Die meisten wissen einfach nicht, dass der Job beispielsweise auch Kommunikation umfasst.» Sie denkt, dass Berufstage in den Schulen und ganz besonders die Töchtertage hier Erfolg versprechen. «Aber es gibt noch viel Arbeit», sagt sie.

Jürg Freudiger

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