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Fit für den Ernstfall

Fit für den ErnstfallKaum etwas fürchtet ein Lebensmittelhersteller mehr als einen Produktrückruf. Beim Liechtensteiner Convenience-Hersteller Hilcona gab es das noch nie. Dennoch hat man sich mit einer Übung für das Szenario fit gemacht. Und beim Stammdatenaustausch setzt man auf SA2 Worldsync.

(as)Hilconas Anfänge gehen auf das Jahr 1935 zurück, als Metzgerssohn Toni Hilti in Schaan eine Konservenfabrik namens Scana AG gründete. Mit dem Einstieg der Söhne des Gründers im Jahr 1971 wurde der Name in Hilcona geändert.

Diese Abkürzung steht für HILti COnvenience NAhrungsmittel. 1984 wurde die erste kühlfrische Pasta produziert, um dem schon damals erkannten Trend nach einfach zuzubereitenden Lebensmitteln entgegenzukommen. 1988 startete mit einer Tochterfirma in Deutschland die Expansion ins Ausland.

Heute sieht sich Hilcona als Marktführer im Bereich Frische-Convenience in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wie es auf der Firmenwebsite heisst. Besonders begehrt sind gefüllte und ungefüllte Pasta, aber auch frische Saucen. Gut verkaufen sich auch Pizzas und andere Fertiggerichte. Mittlerweile machen Kühlfrischprodukte mehr als die Hälfte des Jahresumsatzes aus, der 2011 über 400 Millionen Franken betragen soll. Etwa ein Viertel des Umsatzes wird ausserhalb von Liechten-stein und der Schweiz erzielt. Hilcona beschäftigt an vier Standorten insgesamt rund 1300 Mitarbeitende. Anfang 2011 änderten sich zudem die Eigentumsverhältnisse. Coop-Tochter Bell übernahm zunächst 49 Prozent des Aktienkapitals, bis 2015 sollen weitere 2 Prozent dazukommen. Dafür wurde die Geschäftseinheit Bell Convenience an Hilcona abgegeben.

Für ein derart grosses Lebensmittelunternehmen ist die Produktsicherheit ein ganz wesentlicher Aspekt. Immerhin musste Hilcona noch nie einen Produktrückruf durchführen, betont Daniel Knellwolf, Leiter Supply Chain Marktservices. Knellwolf verantwortet die Bereiche Stammdaten, Ordering, Produktionsplanung, Intralogistik und Distributionslogistik. Allerdings hat man sich eingehend mit der Rückruf- Thematik befasst. Anfang 2011 wurde eine Übung dazu durchgeführt. Damit wollte man die Rückverfolgbarkeit in der Lieferkette verifizieren. Hilcona unterscheidet dabei zwischen einem Produktrückzug, bei dem Waren aus dem Verteilnetz zurückgezogen werden, und einem Produktrückruf, der bis zum Endkonsumenten reicht. Entscheidend für das gewählte Prozedere sind das Risikopotenzial, welches der Produktmangel darstellt, ebenso wie der Distributionsgrad in den Verteilketten und andere Faktoren. Wenn eine Gesundheitsgefährdung der Verbraucher nicht ausgeschlossen werden kann, muss zudem das zuständige Amt für Lebensmittelüberwachung in die Bearbeitung des Falles involviert werden, erläutert Paul Margadant, Leiter der Qualitätssicherung.

Rückrufübung mit 4 Tonnen chemikalienverseuchtem Ricotta
Am 17. Februar 2011 erhielt Hilcona nun vom Lieferanten von 4000 Kilogramm Ricotta-Käse die fiktive Meldung, dass in diesem eine nicht zulässige Chemikalie enthalten sei. Der Käse sei auf einer gewarteten, aber danach nicht vollständig gereinigten Anlage produziert worden. Somit erwies sich der Ricotta als nicht verkehrsfähig und musste vernichtet werden. Die daraus hergestellten Produkte mussten ausdem Handel zurückgezogen werden. Für die Übung betrachtete man mehrere Phasen in der Supply Chain. Zunächst die Phase 1, welche den Wareneingang bei Hilcona, die Einlagerung und Verschiebung in die Verarbeitungsunit umfasst. Hier geht es auch um die von Lieferanten übermittelten Daten. Phase 2 beinhaltet die Produktion und die Verpackungsabläufe bis zur Übergabe an den Logistikdienstleister inklusive der Zollpapiere. Insbesondere in dieser Phase muss die Mengenbilanz, ausgehend vom Rohmaterial und bis zum verarbeiteten Produkt, stimmen und belegbar sein. Phase 3 umfasst den Wareneingang beim Logistikdienstleister, welcher für die dortige Kommissionierung nach Kundenbestellung und die Warenverschiebung zum Kunden verantwortlich ist. In jeder Phase müssen die Ziele der Übung erfüllt werden: Vor allem muss die Mengenbilanz stimmen. Sämtliche Begleitdokumente müssen vorliegen, und es braucht immer Links zu entsprechenden Los- und Artikelnummern. Eine für den Vorgang erstellte Checkliste ist auf Anwendbarkeit, Logik und Vollständigkeit zu prüfen. Schliesslich muss die Kühlkette vom Werk Schaan bis in die Kundenfiliale gewährleistet sein.

Am Tag der Übung erfolgten die Abläufe des Produktrückzugs nach einem definierten Zeitplan ab 8.30 Uhr. Bereits ab 12.15 Uhr schritt man zur Auswertung und Prüfung der gewonnenen Erkenntnisse, ein Debriefing mit Feedback und Diskussionsrunde folgte nach dem Lunch. Zeitdruck war, um eine gewisse Realitätsnähe zu erzielen, ein gewünschtes Element. Deklariert wurde für alle Beteiligten nur ein «Trainings- und Übungstag», das genaue Setting wurde laut Knellwolf erst am Morgen bekannt gegeben.

Mengenbilanz stets korrekt
Für die Phase 1 wurden beispielsweise folgende Vorgänge geprüft: Bestellmenge und Termin, gelieferte und gebuchte Wareneingangsmenge, Zeugnis der Qualitätssicherung, Warenauszeichnung, Verfügbarkeit im Lager und gebuchte Warenbewegungen. Dabei konnten alle Vorgänge dokumentiert werden. Die Anlieferung des Ricotta erfolgte am 4. Februar in zwei Chargen zu 2700 und 1300 Kilogramm. Anschliessend erfolgte die Freigabe durch die QS. Auch die Verknüpfung der Lieferantencharge mit der Hilcona- Charge war vorhanden. Als Ergebnis der Prüfung wurde festgestellt, dass im Lager kein Ricotta mehr vorhanden war.

Die Menge wurde in 22 Fertigungsaufträgen verarbeitet, und es wurden daraus mehr als 409 000 Pasta-Beutel hergestellt. Somit konnte die Mengenbilanz in den Übungsphasen 1 und 2 korrekt erstellt werden. «Ich war überrascht, wie präzise alles nachvollzogen werden konnte», meint Knellwolf. Man habe sozusagen eine Punktlandung gemacht.

Die Mengenverfolgung war dann auch während der anschliessenden Phase 3 der Übung gewährleistet. Der Logistikdienstleister meldete die von Hilcona verladene und exportierte Menge als Wareneingang elektronisch zurück. Er konnte in der vorgegebenen Zeit auchsämtliche Kommissionierdaten mit den infrage kommenden Lot Codes gemäss Kundenbestellungen liefern.

Für die Übung wurde ein Kunde ausgewählt, der dann mit dem Code ausgezeichnete Ware bestellt hatte. Mit diesem Vorgehen sollten die Zusammenarbeit und die Involvierung des Vertriebs geübt werden. Die Aufgabe für den Aussendienst-Mitarbeiter war es, den Kunden am Übungstag zu besuchen und vor Ort die betroffene Ware sicherzustellen. Auch dieser letzte Test wurde erfolgreich bestanden: Die betroffene Ware befand sich noch im Lager und in den Regalen. Im direkten Gespräch mit der Marktleitung wurden wichtige Erkenntnisse über den Umgang des Marktes mit Rückrufen gewonnen.

Ein «echter» Rückruf wäre reibungslos möglich
Nach Abschluss der Übung konnten Knellwolf und Margadant ein positives Fazit ziehen:

  • Sämtliche Transaktionen für die Verarbeitung von 4000 Kilogramm Ricotta wurden sichergestellt;
  • daraus wurden mehr als 409 000 Beutel hergestellt;
  • diese wurden in mehr als 10 000 Auftragspositionen kommissioniert
  • und an mehr als 1500 Empfänger bzw. Kunden ausgeliefert.

Die Mengenbilanz hielt auf allen Stufen lückenlos einer Prüfung stand. Alle Bewegungen konnten von der Rohware bis zum Kunden mit Mengen und Chargen nachvollzogen werden. Die Informationsbasis für den reibungslosen und vollständigen Rückruf oder Rückzug eines Produkts ist damit gegeben. Mit der Übung wurde laut Knellwolf viel Wissen gewonnen, wo noch Handlungsbedarf besteht, um für die Abwicklung eines tatsächlichen Rückrufs optimal vorbereitet zu sein. Nun möchte man in erster Linie noch daran arbeiten, wie die Kommunikation mit den Kunden optimal gestaltet werden kann. Zudem muss auch für die Rückhollogistik ein Ablaufplan erstellt werden. Da es oft um Versicherungsfälle geht, muss geklärt werden, was mit der Ware jeweils genau geschehen soll. Ferner muss auch die Erstattung des Kaufpreises an den Laden in Erwägung gezogen werden.

Ein weiteres Anliegen bei Hilcona ist laut Margadant die bessere Überwachung von Produktions- bzw. Verpackungsprozessen. Um so etwas zu verhindern, werden derzeit schon zwei Verpackungslinien mit Barcodescannern ausgerüstet. Innerhalb eines Produktionsloses können damit keine unterschiedlichen Etiketten verwendet werden. Künftig möchte man die Artikelnummer auf jeder Packung elektronisch als 2- oder 3-D-Code lesbar machen. Im Abgleich mit der EANNummer der Etikette soll so eine höhere Sicherheit bei der Auszeichnung geschaffen werden.

Wettbewerbsvorteil dank Stammdatenaustausch über SA2 SINFOS
Auch mit Blick auf den Stammdatenaustausch mit den grossen Kunden führte Hilcona jüngst ein erfolgreiches Projekt durch. Hilconas Kunden wollten mit einer zunehmend grösseren Datenmenge versorgt werden. Dazu kam der akzentuierte Wunsch von Kunden wie Coop, Manor, Volg und den deutschen Ketten Edeka, Rewe, Metro und Markant nach einem elektronischen Datenaustausch. Hilcona arbeitete mit zwei separaten Systemen. Auf dem einen (OS-PDM) sind vorrangig Produktdaten und Rezepturen abgelegt. Es dient der Produktentwicklung als «Rezeptbuch» und enthält Tausende verschiedener Rezepturen mit detaillierten Angaben zu Ingredienzen, Mengen und Nährwerten. Auf der anderen Seite steht das ERPSystem, welches den üblichen unternehmensinternen Zwecken dient.

Die von den Kunden gewünschten Stammdatensätze werden nun mit einer neu entwickelten Schnittstelle aus beiden Systemen gewonnen undzusammengeführt. Zur Entwicklung derselben wurde das Projekt SA2 SINFOS aufgesetzt. Pius Calzaferri und Robert Fröschl leiteten das Projekt, welches binnen acht Monaten realisiert wurde. Calzaferri war dabei fürdie Technologie und das Qualitätsmanagement verantwortlich, Fröschl leitet das Stammdatenteam. Seit Mitte Januar 2011 ist das System operativ. Als fachlich besonders anspruchsvoll hat Fröschl den Zeitraum erlebt, bis das informationstechnisch notwendige Grundgerüst des Systems ermittelt und verstanden wurde. Durch gezielte Inhouse-Softwareentwicklungen liess sich jedoch bei der Datengenerierung viel Manpower einsparen.

Hilcona sendet nun bis zu 300 vordefinierte Stammdaten für rund 1500 Produkte aus. Darunter Grössen wie GLN, GTIN, Bezeichnung, Gewicht und Zolltarifnummer, aber auch eine Liste von Zutaten und Inhaltsstoffen. Angaben zu Hilconas Verkaufspreisen sind jedoch nicht enthalten. Die Daten gehen an den SA2-Pool. Die Datenveröffentlichung erfolgt jeweils public oder nicht, je nachdem, was der Kunde wünscht. Vom Pool können die Kunden die Daten dann automatisch in ihre Warenwirtschaftssysteme einspielen lassen. Die Aktualisierung der Daten erfolgt ebenfalls automatisch, wenn von Hilcona ein Neuzugang, eine Änderung oder eine Löschung vorgenommen wurde. «Wir schicken grundsätzlichalle Daten an den Pool», betont Fröschl. Der Kunde könne dann die jeweils gewünschten Daten individuell abrufen.

Die Realisierung von SINFOS brachte Hilcona eine Reihe von Vorteilen. Zum einen entstand mit der reibungslosen Datenübermittlung an die Kunden ein Wettbewerbsvorteil. Kunden erhalten Informationen über Produktneuigkeiten automatisch über das SA2-System. Das schafft die Chance auf mehr Listungen von Hilcona-Produkten bei den Grossverteilern. Ferner müssen keine Artikelpässe mehr erstellt werden, und das Stammdaten-Monitoring kann nun systemunterstützt erfolgen. Ausserdem wurde ein einheitlicher und genormter Informationsstamm geschaffen, dessen Inhalte frühzeitig zur Verfügung stehen. Schon einen Tag nach Aktualisierung sind die Daten nun beim Kunden, berichtet Fröschl. Und: Die Daten werden genau beachtet. Stimmt beispielsweise einmal eine Beutelhöhe nicht, folgt oft schon am Tag darauf ein Anruf. Denn der Handel hat aufgrund dieser Angaben die Regalaufhänger vormontiert.

Alexander Saheb

Daniel Knellwolf, Leiter Supply Chain Marktservices (links), und Paul Margadant, Leiter Qualitätssicherung (rechts), erklären die Rückrufübung.

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