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Ikone der Konsumgesellschaft

Ikone der KonsumgesellschaftHeute ist der Bar oder Strichcode längst Normalität. Jedes Produkt im Einzelhandel trägt einen solchen Code. Auf Kundenkarten ist er ebenso zu finden wie auf Coupons. Auch sein Nachfolger – der RFIDChip – ist zur Regel geworden, weil die Vorteile einer schnellen und sicheren Identifikationstechnik überwiegen und immer mehr Menschen überzeugen.

(bs) Am Anfang stand der Wunsch vieler Handels und Industrieunternehmen, eine Artikelnummerierung für die Produkte des Detailhandels zu lancieren, um das Handling zu vereinfachen und Kosten zu senken.

Für die Industrie bedeutete das zu Beginn einerseits zusätzliche Aufwendungen und Kosten, andererseits die Überwindung von Vorurteilen und Misstrauen gegenüber dem Handel. Vor diesem Hintergrund war der Versuch einer vertrauensvollen Verständigung zwischen Industrie und Handel ein gewagtes Vorhaben mit einem hochgesteckten Ziel, das beiden Seiten viel Verständnis und Konsensbereitschaft abrang.

Erste Versuche in den USA
Einer der besten Kenner der Geschichte von Standardisierungsund Identifikationsbemühungen ist der Wissenschaftsjournalist und Buchautor Christoph Rosol («Vom Ursprung einer allgegenwärtigen Kulturtechnologie», KadmosVerlag 2007). Gemäss Rosol wurde das erste Patent für die Codierung von Ziffern in Form von Strichen 1949 von zwei ambitionierten MaschinenbauDiplomanden in Philadelphia eingereicht. Joseph Woodland und Bernard Silver hatten einen Apparat entworfen, der «Dinge anhand der Reflexion von Linien automatisch klassifizieren» sollte. Obgleich die beiden Absolventen eine Verwendung ihrer Erfindung im «SupermarktFeld» bereits angedacht hatten, war ihr Gerät unbrauchbar: Die enorme Hitze der Leselampe hätte jedes Stück Butter dahinschmelzen lassen. 1962 verkauften die beiden Erfinder ihr Patent an einen Radiound TVHersteller, der es später an die grosse Radio Corporation of America (RCA) weiterverkaufte. Derweil versuchte sich die Sylvania Corporation erstmalig an einer StrichcodeIdentifizierung im grösseren Massstab. 1961 liess sie mehrere Eisenbahnwagen mit orangen und blauen Reflektorstreifen ausstatten; ein Farblichtblitz an der Einfahrt zum Rangierbahnhof las dann die Kennzeichnung ab. Bis 1967 war gar ein Standard für ganz Nordamerika ausgearbeitet worden. Dennoch wollte das automatische Kontrollsystem nicht recht in Gang kommen. Desinteresse der Eisenbahngesellschaften paarte sich mit der Unzuverlässigkeit des Systems im rauen Alltag des Güterverkehrs.

Gleichzeitig wurde Woodlands und Silvers Idee einer StrichEtikettierung des Supermarktsortiments wieder attraktiv. Die straffe Konsolidierung des Lebensmittelhandels hatte die Profitmargen sinken lassen, und man suchte nach neuen Einsparpotenzialen. Zum anderen überschritten Laser in jener Zeit gerade die Rentabilitätsschwelle. Ein einfacher Gaslaserstrahl verbrauchte nicht nur wenige Milliwatt und war damit den 500WattStrahlern weit überlegen, er ermöglichte auch ein hundertfaches Scanning des Strichcodes innerhalb einer Sekunde. Fehllesungen kamen damit deutlich seltener vor. 1967 tat sich die Radio Corporation of America mit der KrogerKette zusammen, um ein integriertes Barcodesystem für deren Märkte zu entwickeln. Einer der Herstellerverbände hatte sich derweil auf einen speziellen Code festgelegt, wobei seine Mitglieder wiederum oft Variationen davon verwenden wollten. Die Branche schien sich mit insulären Lösungen zu verzetteln. «Ein Code für alle – alle für einen Code» hiess denn auch faktisch die Parole, welche die National Association of Food Chains herausgab. 1970 brachte sie jeweils fünf der wichtigsten Nahrungsmittelproduzenten und händler an einen Tisch, um eine konzernübergreifende Codierung zu evaluieren. Gleichzeitig schuf dieses AdhocKomitee eine Atmosphäre, in der Barcodes als «in» galten.

Das Balkenmuster von IBM setzt sich durch
1971 gab das Komitee die Leitlinien für einen universell handhabbaren Code bekannt. Das Rennen um das Geschäft mit einem neuen technischen Standard war eröffnet. Rund 15 Wettbewerber tüftelten ihre jeweiligen Systeme aus, allen voran die RCA, die mit dem Patent von Woodland und Silver sowie viel Erfahrung im Rücken enorm im Vorteil war. Mehr als fünf Millionen Dollar investierte RCA in ihren ringförmigen Strichcode, inzwischen «Bull’s eye code» genannt. Bereits im Sommer 1972 wurde ein erstes Testsystem in einem KrogerMarkt in Cincinnati installiert.
Doch kurz vor Ablauf der Vorschlagsfrist tauchte plötzlich der Konkurrent IBM mit einem geraden Balkenmuster auf. Dieses Schema ermöglichte einen weitaus akkurateren Druck, denn ein Verschmieren der Tinte bedeutete in diesem Falle lediglich die Verlängerung der Striche nach oben oder unten – und nicht die Zerstörung der gesamten Information wie beim runden Bull’s eye. Und so fiel im April 1973 die Wahl auf einen «Universal Product Code» (UPC), der im Wesentlichen der Lösung von IBM folgte. Am 26. Juni 1974 passierte laut Rosol eine Packung Kaugummi als erstes balkencodiertes Produkt der Welt einen Kassenscanner.

Der Funke springt auf Europa über
In Europa beobachtete man die Entwicklung in Übersee aufmerksam. In der Schweiz war man sogar schon frühzeitig dabei, ein eigenes System zu entwickeln. Die Zellweger Uster AG beschäftigte sich bereits seit Mitte der 1960erJahre mit maschinellen Verkaufsabläufen und entwickelte für die Migros das Konzept eines «Automatic Point of Sale System» (Aposs). Es basierte auf einem halbrunden Strichcode, der aber nicht Ochsenauge, sondern «Œil Migros» getauft wurde. Gleichzeitig mit dem Testlauf von RCA in Cincinnati startete im Sommer 1972 ein zehnwöchiger Feldversuch in einer MigrosFiliale in Greifensee bei Zürich. Obwohl dieser Test technisch erfolgreich verlief, war der «Œil Migros» ein Flop, weil es schlicht an Interoperabilität mit den nachgelagerten Systemen wie Lagerhaltung, Lieferung, Produktion und Abrechnung fehlte. Zellweger verkaufte das ApossSystem inklusive Code an den amerikanischen LittonKonzern, der sich damit wiederum beim UPCKomitee bewarb. Die Entscheidung für den IBMCode liess das originäre Schweizer Halbrundmuster in der Versenkung verschwinden.
Wie umsichtig die Wahl des erweiterbaren UPCCodes war, zeigte sich alsbald in Europa. Man brauchte dem parallelen Code nur ein paar Striche hinzuzufügen und erhielt so – unter Wahrung der vollen Kompatibilität mit dem nordamerikanischen Markt – die nötige Kapazität, das Herkunftsland eines Artikels im Code selber zu unterscheiden. 1977 wurde die Europäische ArtikelNummerierung (EAN) allgemein eingeführt. Dennoch dauerte es noch mehrere Jahre, bis UPC und EAN flächendeckend Fuss fassten. Die Ersparnisse durch die Automatisierung fielen vorerst geringer aus als erwartet. In der Schweiz war 1984 gerade einmal die Hälfte der Waren mit EANCodes ausgezeichnet, und man begann zögerlich von einer baldigen Wirtschaftlichkeit des Scannings zu sprechen. Coop startete gar erst 1995 ihr eigenes BarcodeEngagement.

Die Strichcode-Geschichte in der Schweiz
Für die institutionelle Bewirtschaftung und Verwaltung des Strichcodes brauchte es in der Schweiz einen entsprechenden Verband: Am 25. November 1976 wurde deshalb die Schweizerische ArtikelcodeVereinigung (SACV) gegründet. Anfang der 1980erJahre, als die ersten Scannerkassen in den Schweizer Lebensmittelgeschäften eingeführt wurden, war die Skepsis gegenüber der neuen Technologie noch immer gross, entsprechend aufwendig war die Überzeugungsarbeit. Die Konsumentinnen und Konsumenten bemängelten die fehlende Preisauszeichnung. 1988 waren erst rund 50 Lebensmittelgeschäfte in der ganzen Schweiz mit einem Scanningsystem ausgestattet. Das EANSystem bestand anfangs nur aus einer standardisierten Artikelnummerierung und einem Strichcode. Im Laufe der Jahre wurden die Artikelauszeichnungen sukzessive erweitert, was zur Bildung von EANCOM führte und damit zur Möglichkeit, Bestellungen, Lieferscheine, Fakturen und Zahlungen papierlos zu übermitteln. Die Anwendungen entwickelten sich in den folgenden Jahren stetig weiter, und zwar in zwei Richtungen: Ausbau der Anwendung selbst und Ausdehnung auf weitere Branchen ausserhalb der Konsumgüter. Diese Entwicklung schlug sich auch in der Organisation der Geschäftsstelle nieder, die sich in die beiden Abteilungen EANSYS und EANCOM aufteilte. 1993 wurde der Name geändert: Anstelle der Schweizerischen ArtikelcodeVereinigung (SACV) nannte sich die Organisation EANSchweiz. Gleichzeitig mit dieser Statutenänderung wurde auch das Tätigkeitsgebiet ausgeweitet. Das System, bisher limitiert auf Handel und Industrie, wurde auf sämtliche Wirtschaftskreise ausgeweitet, womit es zu einem weltweiten Standard für die Kennzeichnung aller Arten von Gütern, Dienstleistungen und Adressen mutierte. Am 29. Mai 1996 wurde EAN zum ersten Mal in einem eidgenössischen Gesetzestext erwähnt. Die Verordnung über die Betäubungsmittel und psychotropen Stoffe schrieb die Verwendung des EANSystems bei der Meldung von Lieferungen von Betäubungsmitteln in der Schweiz obligatorisch vor.

Auch RFID hatte anfangs Mühe
Mit der Zeit machten sich die Nachteile des Barcodes bemerkbar. Aufgrund der benötigten Fläche ist die in Barcodes codierte Referenznummer eines Artikels relativ kurz – zu kurz für eine zeitgemässe und datenintensive Logistik. Zudem erfordert eine Lesung Sichtkontakt, was ein umständliches Scanning jedes einzelnen Artikels notwendig macht. Aus der Arbeit mehrerer Forschergruppen am Massachusetts Institute of Technology entwickelte sich daher die Idee einer grundlegend neuen Schnittstelle zwischen Produkten und deren Daten: Artikelcodes sollten nicht mehr optisch, sondern per Funk eingelesen werden. Dazu boten sich RFIDTransponder an, wie sie bereits bei der Kennzeichnung von Tieren oder bei Mautsystemen eingesetzt wurden. Allerdings waren jene Tags sehr sperrig und teuer, da sie ihre gesamten Daten selbst speicherten und sendeten und somit eine eigene Batterie benötigten. Um für den alltäglichen Warenverkehr eingesetzt werden zu können, mussten Transponder «passiv» abfragbar und billig wie Barcodes werden. Dieser Ansatz führte 1999 – zum 25JahrJubiläum des UPC – zur Gründung des AutoIDCenters. Dieses Konsortium aus Forschungsinstituten, Industrielabors, Standardisierungsorganisationen und etwa 100 Handelsund Lebensmittelkonzernen machte es sich zur Aufgabe, ein auf passiven (also daten und energiesparenden) RFIDTranspondern basierendes Identifikationssystem für die Lieferketten dieser Erde zu entwerfen. Tatsächlich hatte man bis 2003 einen Standard für die per Funk lesbare Dingwelt der Zukunft fertig. Die grosse Transformation der Logistik konnte beginnen. So dachte man zumindest. Inzwischen sind weitere acht Jahre und die eine oder andere selbst gesteckte Frist verstrichen. In einigen Nischen, wie der Kennzeichnung von Luxusgütern oder speziellen Medikamenten, wird RFID bereits angewandt. Als Alltagstechnik jedoch hat sich die FunkIdentifikation noch nicht durchgesetzt.

Bernhard Stricker

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