Kundenwünsche von morgen
Noch vor zehn Jahren waren Status und Prestige dem Konsumenten wichtig, heute zählen Genuss und Erlebnis. Und wie sieht es in zehn Jahren aus? Zeit und Freiraum sollen dann im Mittelpunkt stehen, so die Autoren der Studie «Konsument 2020».
(jh) In Zukunft werden uns die Produkte und Dienstleistungen individuell, nachhaltig und abhängig von der Situation ansprechen. Die Konsumenten werden nicht mehr die Qual der Wahl haben, sondern die Produkte werden sich den Wünschen der Käufer anpassen.
Einfache Verpackungen reichen da nicht mehr aus. Der Konsumkult wird neue Wege zwischen Vernunft, Lust und Moral einschlagen. Die Forscher am Zukunftsinstitut in Kelkheim beschreiben in einer Studie zehn Konsumtrends zwischen Neo-Urbanisierung, How-to, Mood-Manufacturing und Ich-Werte- Konsum.
Gefühle ansprechen, Stimmung erzeugen
Heute reden wir noch von Erlebniskonsum – und in Zukunft? Vorbei sind die Zeiten, als nur konsumiert wurde, um den reinen Bedarf zu stillen. Der Akt des Kaufens ist keine kurzfristige Befriedigung, sondern muss einen nachhaltigen Effekt aufweisen. Konsum soll Spass machen. In Zukunft wird der Mensch mittels Konsum gezielt auf seine Stimmungslage einwirken. Der Genussaspekt geht vom Produkt aus. Die Produkte müssen mehr als nur einfach satt machen. Zukunftsfähige Produkte und Dienstleistungen müssen die Sinne des Konsumenten ansprechen und dabei individuell, nachhaltig und situativ sein.
In Australien gibt es jetzt mit «A bottle of» das erste «positive» Mineralwasser. Auf den Etiketten der Flaschen stehen Botschaften wie «Stärke» oder «Liebe». Diese soll der Konsument laut aussprechen, um sich in eine positive Stimmung zu bringen. Produkte werden zunehmend zu Problemlösern, die gezielt die unterschiedlichen Gefühle ansprechen. Auch die Functional Infusions von Venga (www.drinkvenga.com) versprechen körperliche Gesundheit und Stärkung der natürlichen Abwehrkräfte. Die Produkte nennen sich denn auch «Calorie Balance», «Rehydrate» und «Immunity Defense». Vorläufer gibt es aber schon seit geraumer Zeit: Tees wie «Fühl Dich wohl» oder «Fühl Dich stark». Auch denkbar ist, dass sich die Ware auf die Gemütslage des Konsumenten einstellt, sich die Farbe ändert oder die Musik. Oder wie wär’s mit einer Inneneinrichtung, die in wechselnden Farben leuchtet?
Verpackungen, die ihre Farbe wechseln, gibt es schon. So hat kürzlich die Molson Coors Brewing Company die Biermarke «Coors Light» auf den Markt gebracht. Das grossflächige Logo ist mit einer temperaturabhängigen Farbe bedruckt. Eben waren sie noch weiss, jetzt schimmern sie in leuchtendem Blau: die Rocky Mountains, das Logo der Biermarke. So wird dem Konsumenten durch einen Farbwechsel signalisiert, dass das Getränk die optimale Trinktemperatur hat – «Ready to drink». Und noch ein Beispiel: In Australien wird ein Babystrampelanzug angeboten, dessen Farbe je nach Temperatur des Kindes wechselt.
Farben entfalten vielfältige und starke Wirkungen und werden umso angenehmer erlebt, je leuchtkräftiger und gesättigter sie sind. Vorreiter in dieser Hinsicht sind Apple und Dell. Beide verfügen über eine knallige Produktekollektion. Schwarzweisses Produktdesign gehört der Vergangenheit an; Buntes wird wieder erfolgreich. Dass Farben eine wichtige Rolle im Leben der Konsumenten spielen, hat auch der deutsche Einzelhändler Hieber erkannt. Der Hiebermarkt in Grenzach (Deutschland) wurde zum «Store of the year 2008» gewählt. Das Farbleitsystem im Geschäft ist augenfällig. Gleich zu Beginn wird der Konsument durch die Obst- und Gemüseabteilung geführt. Das frische Grün vermittelt Ruhe und stärkt das Auge für andere Eindrücke. Grün steht für Frühling und fruchtbare Wiesen. Die Fischabteilung ist in einem kühlen Blau gehalten und signalisiert Frisches aus dem Meer.
Eine angenehme Einkaufsatmosphäre lässt sich auch durch eine dezente Hintergrundmusik schaffen. Verschiedene Elemente der Musikgestaltung wie Melodie, Tempo, Modulation und Lautstärke werden eingesetzt, die eine emotionale und stimulierende Wirkung auf den Konsumenten haben. Langsame Musik erhöht die Verweildauer im Geschäft. Auch Düfte spielen beim Einkaufen eine zentrale Rolle. Dass sich der Raumduft positiv auf das Kaufverhalten auswirkt, ist seit den 90er-Jahren wissenschaftlich erwiesen. In Untersuchungen konnte schon damals belegt werden, dass sich Konsumenten durchschnittlich länger im Geschäft aufhielten, sich intensiver mit den diversen Produktkategorien beschäftigten und Beratungen gegenüber offener waren. Der Umsatz konnte um sechs bis acht Prozent gesteigert werden.
Auch die Universität St.Gallen beschäftigt sich mit dieser Art des erlebnisorientierten Marketings. Eine Reihe von empirischen Untersuchungen hat gezeigt, dass Düfte einen beachtlichen Einfluss auf das individuelle Kauf- und Konsumverhalten haben. Sie wirken direkt und unmittelbar auf das Unterbewusstsein und vermögen damit Emotionen auszulösen, die sich der kognitiven Kontrolle entziehen. Düfte können blitzschnell Erinnerungen wachrufen oder unsere Befindlichkeiten ändern, schneller sogar als akustische Reize.
Gut beraten – mehr verkaufen
Der Konsument wird in Zukunft vermehrt nach Anleitung und einem tieferen Produktverständnis verlangen. Denn Wissen ist Macht. Und die Zukunft gehört der Wissensgemeinschaft und dem Wissen darum, wie mit dem Erlernten umzugehen ist. Der Informationshunger und die Neugierde werden die treibenden Kräfte des 21. Jahrhunderts sein. Der Kunde von morgen sucht nicht nur puren Konsum, sondern er will wissen, was im und hinter dem Produkt steckt, wie die Dinge funktionieren. So entwickeln sich die Konsumenten zu Experten und Fachleuten.
Was heisst das für den Handel? Der Konsument verlangt Aufmerksamkeit, er will verstanden und nicht einfach nur bedient werden. Service und Beratung werden wichtig, denn der Kunde will individuell betreut werden. So wächst auch der Anspruch an Beratung durch Hersteller und Handel. Bestehende Beratungsdienstleistungen werden um How-to-Services ergänzt, denn in Zukunft wird der Dialog mit dem Kunden immer wichtiger. Einige Hersteller wagen schon den Schritt, sich über Facebook oder Twitter zu vernetzen. Egal ob als Marketing-Tool oder zur Produktentwicklung: Social Media sind im Trend. Audi lässt von Facebook- Fans das Auto der Zukunft «Youth Mobile 2030» entwickeln und Tchibo stellt seinen Kunden eine Plattform für den Ideenaustausch zur Verfügung. Die so entstandenen Produkte sind in den Filialen erhältlich. Das wohl bekannteste Beispiel für Crowdsourcing ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia.
Durch Blogs, Twitter und interaktive Plattformen erlebt Mundpropaganda eine Renaissance. Nach dem aktuellen Wissensstand ist eines klar: Der Konsument hat heute mehr Einfluss denn je. Er stellt Forderungen, weiss, was er will und was er nicht will, und das verbreitet er weltweit. Wer diese Entwicklung unterschätzt, wird das Nachsehen haben. Früher oder später. Auch Design gewinnt bei den Konsumenten wieder an Stellenwert. Aber eine hübsche Hülle wird in Zukunft auch nicht mehr überzeugen, Funktionalität wird verlangt. Praktisch, haltbar, günstig, schön und flexibel muss das Produkt von morgen sein. Decke, Jacke, Tasche – alles in einem. Eine Jacke, die je nach Bedarf zu einer Decke erweitert werden kann oder ganz einfach als Tasche dient. Künftig müssen Produkte mehr können als nur gut aussehen.
Ohne Sicherheit ist alles nichts
Supersicherheit wünschen sich die Konsumenten von morgen. Das Sicherheitsanliegen entspringt dem negativen Grundgefühl der Angst. Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst vor Krankheit, Angst vor Naturkatastrophen, Angst vor Gewalt und Kriminalität. Vor allen die Angst vor Krankheit und das gestiegene Gesundheitsbewusstsein werden den Gesundheitsmarkt weiter vorantreiben. Der Konsument strebt in Zukunft danach, seine eigene Leistungsfähigkeit zu optimieren. Wer kann, investiert ein Leben lang in die Verbesserung seines persönlichen Wohlgefühls. Laut den Online-Forschern vom Institut Dialego verschmelzen Gesundheit, Wellness und Schönheit zu einem wachsenden Healthstyle-Markt. So boomen heute schon sanfte Sportarten wie Yoga oder Entspannungsmethoden wie Meditation.
Dem Sicherheitsbedürfnis begegnen wir auch im Internet. Denn mit all den Web-2.0-Plattformen hinterlässt der Konsument in wachsendem Masse virtuelle und digitale Spuren. Der Datenschutz, so wie wir ihn heute ken nen, dürfte da nicht mehr ausreichen. Das Internet hat uns alle schon längst im Griff. Je persönlicher und bedeutender die Online-Angebote für die Konsumenten werden, umso freigiebiger werden diese in Zukunft mit ihren Daten umgehen.
Unternehmen, welche die Daten ihrer Kunden missbrauchen, werden in Zukunft abgestraft. Die Vertrauensfrage wird in den nächsten Jahren immer wichtiger. Bereits heute entstehen neue Modelle der Nutzerdatenhaltung. Die eigenen persönlichen Daten werden in Zukunft nicht mehr bei den unterschiedlichsten Anbietern verstreut herumliegen, sondern die Datenhoheit wird beim Kunden liegen. Nur der User hat zentralen Zugriff auf seine Daten. Nur er kontrolliert, ändert oder löscht sie. Das Stichwort heisst OpenID.
OpenID ist eine einfache und sichere Möglichkeit, seine Online-Identität zu verwalten. Mit nur einem Konto verwaltet der User seine persönlichen Informationen und kann sie jederzeit zentral ändern. Mit OpenID hat es ein Ende mit der Verwaltung einer Vielzahl von Identifikatoren, sofort kann auf bevorzugte Websites zugegriffen werden. Mit OpenID spart der Kunde Zeit, vereinfacht sich das Leben im Internet und trägt nebenbei noch zur Sicherheit und Vertraulichkeit seiner digitalen Identität bei.
Auch die wachsende Cyberkriminalität lässt Verfahren wie die biometrische Erkennung der Iris, Fingerprint oder andere eindeutige Identifikationstechnologien in den kommenden Jahren eine starke Verbreitung finden. Bereits heute kann man vereinzelt seinen Einkauf mittels Fingerabdruck bezahlen. Laut der Studie «New Future Store» wird sich der Einkauf anhand des elektronischen Fingerabdrucks 2015 durchsetzen. Das glauben zumindest 60 Prozent der weltweit befragten Konsumenten.
Fazit
Auch der Frage nach der LOHAS-Zukunft (Lifestyle of Health and Sustainability) wird in «Konsument 2020» nachgegangen. Der erste Green-Hype ist vorbei, so das Fazit der Studie. Der Gut-Konsum geht jedoch weiter, die Konsumenten von morgen fordern weiterhin ethisch einwandfreie Produkte. Ausgeprägter als heute sucht der Konsument von morgen nach einem persönlichen Vorteil. So gewährt die Hotelgruppe Sage Hospitality in Amerika einen 50-prozentigen Preisnachlass auf das Zimmer, wenn der Gast acht Stunden ehrenamtliche Tätigkeit leistet. Das Motto: «Give a day – get a night».
Zu den wichtigsten Schlussfolgerungen für die Konsummärkte des kommenden Jahrzehnts zählt die Studie auch die Tatsache, dass die Konsumenten der Zukunft Abstand vom reinen Lustkauf nehmen werden. Produkte werden aufgrund einer neuen, realen Bedürfnislage gekauft. Daher empfiehlt die Studie dem Handel und der Industrie: «Vereinfachen Sie den Alltag der Konsumenten durch Services und Dienstleistungen, die Zeitgewinn, Bequemlichkeit und Kompetenz im Alltag garantieren.»
Joachim Heldt
Die Konsumtrends 2020 auf einen Blick
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Mood-Manufacturing
Produkte müssen in Zukunft stärker die Sinne der Konsumenten anspre¬chen. Nicht kurzfristig, sondern individuell, nachhaltig und situativ. -
Neo-Recycling
Aus alt mach schick – so das Motto. Der Konsument von morgen verlangt nach StyleKopfstandprodukten, da geht’s nicht um Masse, sondern um Ewigkeit. -
Supersicherheit
Die Konsumentenmärkte von morgen werden vom Sicherheitsverlangen der Konsumenten beeinflusst. -
Diskretionismus
Bescheidenheit wird sich auf dem Konsummarkt breitmachen. Dahinter steckt die Konsumentenforderung nach Vereinfachung des Konsumalltags. -
Dialogisierung
Der Konsument von morgen sucht nach Anerkennung. Er will verstanden und nicht nur bedient werden. Aner¬kennung wird eine wichtige Messgrösse. -
How-to
Das Bedürfnis nach Anleitung und tieferem Produktverständnis ist eine weitere neue Herausforderung. Her¬steller werden in Zukunft vermehrt zu Botschaftern, Informanten und Beratern. -
Ich-Werte-Konsum
Der Konsument von morgen sucht nach ethisch und ökologisch ein¬wandfreien Produkten. Dabei forderte er aber auch noch einen Vorteil für sich selbst. -
Self-Design
Der Wunsch nach der Optimierung der eigenen Leistungsfähigkeit wird den Gesundheitsmarkt in den nächsten Jahren fordern. Denn die «gesunden Unzufriedenen» drängen auf den Markt. -
Neo-Urbanisierung
Die Bewegung zurück in die Stadt nimmt deutlichen Einfluss auf die Entwicklung der Konsummärkte. Dabei entwickelt sich die Stadt zu einem Trendlabor für Unternehmen, Marketing und Innovationen. -
Multi-Tool Design
Das Design der Zukunft muss mehr als nur gut aussehen oder ein Bedürf¬nis befriedigen. Mehrfachfunktionen bestimmen in Zukunft die Form.
Quelle: Zukunftsinstitut, Konsument 2020