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Mit DataMatrix gegen Medikamentenfälscher

Im Kampf gegen gefälschte Medikamente sollen verstärkt Massnahmen zu deren Überprüfung ergriffen werdenKünftig sollen Medikamente am POS auf Echtheit geprüft werden können. In Deutschland startet Anfang 2013 ein Modellversuch.

(as) Arzneimittelfälschungen sind eine grassierende Gefahr. Laut WHO sind in den Entwicklungsländern mehr als ein Drittel aller umlaufenden Medikamente gefälscht. Da die billigen Kopien der Markenpräparate häufig falsche oder gar keine Wirkstoffe enthalten, gefährden sie jährlich Gesundheit und Leben Hunderttausender von Menschen.


In den Industriestaaten liegt die Fälschungsquote wesentlich tiefer, wenn es um herkömmliche Vertriebskanäle geht. Sie beträgt weniger als ein Prozent – weil es effiziente Zulassungsund Kontrollsysteme gibt. In Deutschland gaben Apotheker im Jahr 2010 rund 1,4 Milliarden Arzneimittelpackungen ab. Die Polizeistatistik weist jedoch nur neun Fälle auf, in denen gefälschte Arzneimittel in der Handelskette auftauchten. In der Schweiz blieben die offiziellen Vertriebskanäle bisher frei von gefälschten Medikamenten.

 


Rund die Hälfte aller via Internet gehandelten Medikamente sind laut WHO gefälscht.


 

Illegal aus dem Internet
Das grosse Einfallstor in die Industriestaaten ist für Fälscher aber der Onlinehandel. Rund die Hälfte aller via Internet gehandelten Medikamente sind laut WHO nämlich gefälscht. 2011 beschlagnahmten die österreichischen Zöllner insgesamt 41 589 Medikamentenplagiate, berichtet der Verband österreichischer Pharmahersteller Pharmig. Das waren doppelt so viele Plagiate wie 2010. Die Schweizer Zollstellen meldeten 2010 die Zahl von 1861 verdächtigen und damit potenziell illegalen Heilmittelimporten an die Zulassungsbehörde Swissmedic. Das waren dreimal so viele wie noch 2008. Der Antrieb der Täter ist klar: Die Gewinnspannen sind hoch. Mit gefälschtem Viagra werden jährlich höhere Umsätze erzielt als mit dem echten Präparat. Laut der USGesundheitsaufsicht FDA waren Fälschungen zwischen 2001 und 2004 für Ertragseinbussen von rund 30 Milliarden Euro bei der Pharmaindustrie verantwortlich. Die Gesundheitsgefahr wird da gar nicht mitgerechnet.

Serialisierung gegen Fälschung
Deshalb verlangen die Gesundheits- Aufsichtsbehörden schon lange wirkungsvolle Verifizierungssysteme für die Echtheit von Medikamenten. Kalifornien wollte 2009 mit einem Gesetz zur Serialisierung und Einführung des elektronischen Stammbaumes E-Pedigree für Medikamente Vorreiter sein. Mittlerweile werden aber erst die Jahre 2015 bis 2017 als neues Ziel gehandelt. Deshalb dürfte die EU tatsächlich der erste Staatenbund sein, der eine solche fundamentale Lösung umsetzt. Heute setzen in Europa schon 17 Länder eine GTIN (Global Trade Item Number) zur Medikamenten-Identifikation ein. Die Türkei hat sich ebenfalls für den Einsatz der GTIN entschieden, und seit 2009 fordern die türkischen Be hörden den GS1 DataMatrix zur Kennzeichnung von Arzneimitteln. Eine NTIN (National Trade Item Number) als nationale Lösung wenden Österreich, Griechenland und Spanien sowie Frankreich an. 2010 erfolgte in Frankreich die Umstellung auf DataMatrix- Datenträger. Deutschland arbeitet mit der «Pharmazentralnummer», die bisher via Barcode auf die Medikamentenpackung kommt.

EU verlangt Verifizierungssystem
Am 27. Mai 2011 hat indessen der Rat der Europäischen Union die Richtlinie 2011/62/EU zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen endgültig verabschiedet. Sie sieht im Kampf gegen Fälschungen eindeutige Sicherheitsmerkmale auf den Verpackungen vor. Überhaupt wird auch der Begriff der «Fälschung» definiert. Das sind Produkte, die eine falsche Identität (Name, Verpackung, Kennzeichnung) oder falsche Herkunft (Hersteller, Land, Zulassungsinhaber) haben oder auf einem «falschen Vertriebsweg» einherkommen. Die Richtlinie konzentriert sich dabei auf verschreibungspflichtige Medikamente, wobei es in beiden Richtungen Ausnahmen geben kann.

Mit randomisierter Seriennummer gegen Fälscher
Derzeit laufen Studien, wie die fälschungssichere Codierung umzusetzen wäre. Als realistischen Zeithorizont für die tatsächliche Einführung der Medikamentencodierung wird das Jahr 2015 genannt. Auch Websites, die Medikamente anbieten, werden von der Richtlinie erfasst. Sie müssen künftig ein europaweit einheitliches Sicherheitslogo für Versandapotheken tragen und mit der Website der Aufsichtsbehörde verlinkt sein. Vorbilder sind hier in Deutschland und England bereits etablierte Systeme. Sie erlauben Patienten bzw. Kunden die Einsichtnahme in das behördliche Online- Register. Verstösse gegen Versandvorschriften sollen mit «wirksamen und abschreckenden Sanktionen» belegt werden, wie es heisst. Die europäischen Dachverbände der Industrie (Efpia), des Grosshandels (GIRP) und der Apotheker (ZAEU) haben bereits ihre Vorschläge für die Umsetzung vorgelegt. Sie sprechen sich für die Nutzung einer randomisierten Seriennummer für Arzneimittelpackungen als Sicherheitsmerkmal aus. Die Nummer wird in einem europaweit harmonisierten zweidimensionalen DataMatrix-Code aufgebracht. Allerdings sollen nationale Eigenarten erhalten bleiben, Deutschland wird also die Pharmazentralnummer weiterhin einsetzen können. Auf europäischer Ebene wird dann eine Datenbank für die Seriennummern eingerichtet. Sie ist mit den nationalen Datenbanken verbunden und stellt diverse Schnittstellen bereit. Die EU-Kommission ist mit diesem Stakeholder- Modell offenbar zufrieden. Es überlässt die Ausführungsorganisation wiederum der nationalen Ebene. In Deutschland haben sich dazu nun diverse Verbände in einer Initiative namens Securpharm zusammengeschlossen. Dort soll das anzuwendende System ausgearbeitet werden. Mit dabei sind die Verbände ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände), BAH (Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller), BPI (Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie), Pro Generika, VFA (Verband Forschender Arzneimittelhersteller) und Phargro (Bundesverband des pharmazeutischen Grosshandels).

Modellversuch in Deutschland 2013
Das von Securpharm für Deutschland entworfene System realisiert die EUVorgaben entsprechend einer End-to- End-Überwachung der Medikamenten- Supply-Chain. Dazu speichern die Pharmaunternehmen die Seriennummer jeder Medikamentenpackung und liefern die Daten an die zentrale Datenbank. Auf diese können auch die Apotheken zugreifen und so genau am POS die Echtheitsprüfung des verkauften Medikaments durchführen. Denn die in der Apotheke gescannte Packung muss im System als vorhanden geführt werden, wenn sie echt sein soll. Fehlt die Nummer oder wurde die Packung bereits einmal abgegeben, ist das aktuelle Exemplar wohl gefälscht. Deutschland wird für die bessere Kennzeichnung der Packungen von der PZN auf eine NTIN wechseln, in welche die PZN eingebettet ist. 2013 wird über das erste Quartal hinweg ein Pilotversuch gestartet, an welchem Medikamente von mehr als 30 Herstellern aus Deutschland und dem Ausland teilnehmen. Insgesamt werden nach derzeitigem Stand gegen 750 000 Arzneimittelpackungen mit dem DataMatrix ausgezeichnet und deren Daten in das Securpharm-System überspielt. Am anderen Ende stehen zwischen 300 und 500 Apotheken in ganz Deutschland, die mit dem Scanner die Produkte bei Abgabe an den Kunden verifizieren. Ab 2016 soll das System in den Apotheken flächendeckend umgesetzt sein. Nach ersten Schätzungen müssen die Pharmahersteller mit sechsstelligen Euro-Beträgen für die Umrüstung jeder Fertigungsstrasse rechnen. In den Apotheken betragen die Kosten jeweils bis zu 1500 Euro. Allerdings lässt sich auch etwas sparen. Denn dank der Codierung jeder Schachtel ist im Falle eines Produktrückrufs eine wesentlich genauere Identifikation der betroffenen Packungen möglich. Das greift vor allem dann, wenn von einem vorübergehend auftretenden Produktionsfehler nicht die ganze Charge betroffen ist.

Schweiz schaut interessiert zu
Die schweizerische Medikamenten-Zulassungsstelle Swissmedic verfolgt die Diskussion in der EU, so Sprecher Daniel Lüthi. Darauf basierend will man dann prüfen, «wie weit eine Anpassung der rechtlichen Grundlage auch in der Schweiz vorgenommen werden soll». Der Industrieverband Interpharma hat die EU-Direktive nach eigenen Angaben begrüsst, aber auch darauf hingewiesen, dass der Erfolg vom Engagement aller Stakeholder entlang der pharmazeutischen Versorgungskette abhängt. Während man sich zur möglichen Adaption der EURichtlinie nicht äussert, weist man auf die geplante Revision des Schweizer Heilmittelgesetzes hin. Künftig soll nämlich schon die potenzielle Gesundheitsgefährdung durch gefälschte Medikamente bestraft werden können. Das Bundesamt für Gesundheit schliesslich verweist auf die Medicrime Convention des Europarates, die von der Schweiz unterzeichnet wurde. Die Konvention verpflichtet die unterzeichnenden Staaten unter anderem, die Herstellung, das Angebot und den Handel mit gefälschten Heilmitteln zu kriminalisieren. Sie bietet ausserdem einen Rahmen für die nationale sowie internationale Zusammenarbeit unter den betroffenen Behörden. Im Herbst 2013 wird sich das Parlament mit der Vorlage befassen.

Alexander Saheb

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