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Viele Gefahren entlang der Supply Chain

Auslösefaktoren für Unterbrüche in den weltweiten Lieferketten lassen sich vier verschiedenen Kategorien zuordnen: Umwelt, Geopolitik, Wirtschaft, Technik. Weit oben auf der Liste rangieren Naturkatastrophen; dazu zählen auch extreme Wetterbedingungen.Unternehmen und Regierungen müssen mehr für die Sicherheit der Supply Chain tun. ETH-Professor Stephan Wagner skizziert unternehmensinterne Ansätze, eine WEF-Studie fokussiert auf übergreifende Aktionen.

(as)Je globalisierter die Wirtschaft arbeitet, umso wichtiger ist eine reibungslos funktionierende Supply Chain. Doch diese ist verletzlich und wird von zahlreichen externen Faktoren bedroht.

Gefahren und Folgen
Ein Risiko stellen beispielsweise Naturkatastrophen dar: Nach dem Erdbeben vom März 2011 musste Toyota die Produktion in allen zwölf japanischen Werken stoppen. Im ersten Halbjahr 2011 konnten eine halbe Million Autos nicht gebaut werden. In Japan kam es zu verzögerten Modellvorstellungen, die Verkäufe in den USA gingen um 7 Prozent zurück.
Allerdings üben auch staatliche Regulierungen massiven Einfluss aus. Ende 2011 senkte China die Exportquoten für Seltene Erden um 27 Prozent. Das Land liefert rund 97 Prozent dieser Gruppe von Metallen; der Weltmarkt erhielt damit rund 50 Prozent weniger als 2009. Die Preise mancher Metalle stiegen daraufhin um das Sechs- bis Neunfache an. In Zukunft könnte die Abhängigkeit von in China gefertigten Produkten mit diesen Inhaltsstoffen steigen.
Diese Beispiele wählte ETH-Professor Stephan Wagner am 7. GS1 Forum Logistics & Supply Chain für seinen Vortrag «Aktuelle Risiken und Wege zur sicheren Supply Chain». Er lenkte den Blick aber auch auf die Bewertung der Automobilzulieferer durch die Ratingagentur Moody’s. Denn aus deren Sicht sind die Wertpapiere von zwei Drittel dieser Firmen «Junk». Konkurse in dieser Branche sind demnach wahrscheinlicher als anderswo.

Effizient, aber nicht robust
Wagner machte mehrere allgemeine Trends aus, welche die Verletzlichkeit der Supply Chain erhöhen, darunter die zunehmende Abhängigkeit von Firmen untereinander, kürzere Produktlebenszyklen und gesenkte Toleranzmargen. Auch der Trend zum globalen Sourcing und die deshalb längeren zurückzulegenden Wege in der Supply Chain gehören dazu. Laut Wagner wird der Fokus heute zu stark auf Kosteneffizienz, nicht aber auf Robustheit der Versorgungsketten gelegt. Auf die Risiken der Supply Chain können Firmen jedoch proaktiv oder reaktiv anworten. Proaktiv könnte die generelle Sicherheit der Supply Chain thematisiert werden oder das Relationship Management mit den involvierten Unternehmen.
Mittlerweile entstehen die grössten Transportschäden durch den Diebstahl ganzer Ladungen von Hightech- Ware, gefolgt von Verkehrsunfällen und Bränden. Technologien für Track & Trace helfen bereits heute, das erstgenannte Risiko zu bändigen. Allerdings gibt es auch Möglichkeiten, durch operative Strategien Risiken zu mindern. Auf Beschaffungsseite könnte das durch eine Flexibilisierung der Beschaffung und die Verringerung der Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten geschehen. Auf Produktseite bieten sich das Anlegen von Sicherheitsbeständen und das Vorhalten von Überschusskapazitäten an. Mit Blick auf die Distribution schlägt Wagner eine geringere Komplexität der Verteilernetzwerke vor. Zur Risikostreuung könnte zudem die Zahl der belieferten Märkte erhöht werden.

Risiken werden zunehmend ernst genommen
Auch das World Economic Forum befasste sich im Januar 2012 mit dem Risikomanagement von Supply Chain und Transportwesen. Die Studie «New Models for Addressing Supply Chain and Transport Risk» entstand in Zusammenarbeit mit der Beratungsfirma Accenture. Bei den für die Untersuchung befragten rund 100 Brancheninsidern fand sich ein deutlich geschärftes Bewusstsein für die Risiken rund um den Bereich Supply Chain und Transport.
Verbreitet bewerten sie die Priorität dieser Risiken deutlich höher als vor fünf Jahren. 42 Prozent schätzen sie sogar als deutlich höher ein, 50 Prozent als höher. Nur 8 Prozent schätzen die Risiken als gleichgeblieben oder gar tiefer ein. Dieser Bewusstseinswandel ist allerdings wenig erstaunlich, wenn man die im fraglichen Zeitraum beobachteten Ereignisse berücksichtigt – insbesondere das Hochwasser in Thailand sowie das Erdbeben und den Tsunami in Japan wie auch die Finanzkrise und die allgemeine Angst vor Terroranschlägen.
Immerhin haben aber rund 80 Prozent der von Accenture im Jahr 2011 für eine andere Untersuchung befragten Unternehmen Risikomanagementprogramme implementiert oder möchten ein solches in den kommenden zwei Jahren einrichten. Die WEF-Studie geht aber bewusst über die unternehmensweite Sichtweise hinaus. Die vernetzte Struktur der weltweiten Supply Chains und Transportketten gründet nämlich auf Tausenden voneinander unabhängiger Zulieferer und Partner in vielen Staaten.
Die Studie fokussiert deshalb auf systemische Supply-Chain- und Transportrisiken, die sich ausserhalb der direkten Kontrolle von individuellen Organisationen bilden und globale Auswirkungen zeigen können. Davon sind folgende Schlüsselgruppen betroffen: Hersteller und Grosshändler, Logistikoperatoren und Transportdienstleister, Einzelhändler, Verbraucher und Passagiere, die allgemeine Öffentlichkeit sowie Regierungen und Regulierungsbehörden.
Die gefährlichsten Auslösefaktoren für Unterbrüche in den weltweiten Lieferketten lassen sich vier verschiedenen Kategorien zuordnen: Umwelt, Geopolitik, Wirtschaft, Technik. Weit oben auf der Liste rangieren Naturkatastrophen. Von diesen erwarten 60 Prozent der Befragten Gefahren für die Supply Chain. Genannt wurden aber auch extreme Wetterbedingungen (30 Prozent). Risiken sind weiterhin bewaffnete Konflikte (46 Prozent) oder politische Unruhen und behördlich eingeführte Import-/Exportrestriktionen (33 Prozent). Ferner werden plötzliche Nachfrageschocks (44 Prozent) und Unterbrechungen der Informations- und Kommunikationsinfrastruktur (30 Prozent) genannt.

Gefahren lauern ausserhalb der Firmenmauern
Naturkatastrophen verursachten 2010 wirtschaftliche Schäden von ungefähr 195 Milliarden Dollar, wie die Swiss Re errechnete. Da gerade Naturkatastrophen kaum vorhersehbar und Vorsorgemassnahmen schwer zu treffen sind, sollten im Vorfeld die richtigen Investitionen gemacht werden, um die Verwundbarkeit des Transportnetzwerks zu reduzieren.
Bei geopolitischen Ereignissen stehen für Unternehmen verschiedene Aspekte im Fokus. So könnten Produktionsstätten oder Transportrouten beschädigt werden. Beispielsweise gelangten während der Kampfhandlungen in Libyen rund zwei Drittel der einheimischen Ölproduktion nicht auf den Markt. Auf Terroranschläge folgende strikte staatliche Regulierung könnte den Geschäftsgang ebenfalls negativ beeinflussen. Für Unternehmen sind solche Ereignisse kurzfristig kaum zusteuern. Angeraten ist der Studie zufolge eine duale Strategie, die auf Risikoreduktion und erhöhte Elastizität des Netzwerks setzt.
Unter den wirtschaftlichen Vorkommnissen streicht das WEF vor allem Wechselkursschwankungen, Veränderungen bei Rohstoffpreisen, plötzliche Nachfrageschocks und Verzögerungen an den Grenzen heraus. Nach den Terroranschlägen vom 11. September und drastisch erhöhten Sicherheitsmassnahmen ging die Zahl der Fluggäste in den USA um rund 6 Prozent zurück.
Nach der Finanzkrise 2008 verdoppelte sich die Zahl der Konkursanträge von Zulieferern des Automobilsektors. Im Jahr 2010 waren dann oft die Wechselkursentwicklungen ein Problem für Unternehmen. Jüngst wurden Gemüselieferungen aus Spanien wegen des Verdachts auf Verunreinigung mit Krankheitserregern (EHEC) überall abgewiesen – die Produzenten kostete das geschätzte 200 Millionen Euro pro Woche. Aus Risikosicht dominiert die Gefahr neuer regulatorischer Restriktionen, was insbesondere mit Blick auf Landesgrenzen ausgereifte Managementfähigkeiten notwendig macht.
Zwei weitere potenzielle Risikoherde sind der Ausfall von Datenübertragungs- und Kommunikationsanlagen sowie Infrastruktureinrichtungen. Fast die Hälfte der für die Studie befragten Branchenmanager erlebten im November 2011 Betriebsunterbrechungen, weil es zu ungeplanten Ausfällen bei IT- oder Telekomeinrichtungen kam. Die zunehmende elektronische Datenübermittlung bei Transportprozessen erleichtert zwar das Handling, erfordert aber auch mehr Aufwand, die zur Übermittlung genutzten Netzwerke robust und sicher zu gestalten. Der Bericht nennt auch die Infrastruktur, seien es Strassen oder Kraftwerke, als mögliche Quelle von künftigen Problemen. Zunehmend grössere Summen sind für den Unterhalt nötig, stehen aber oft nicht zur Verfügung. Störungen an kritischen Stellen können dann grossen Einfluss auf die globalen Transportnetzwerke haben.

Staat und Wirtschaft sollen gemeinsam vorbeugen
Zudem gibt es innerhalb von Supply Chain und Transportnetzwerken mehrere Aspekte, die deshalb besorgniserregend sind, weil sie das Potenzialbergen, die Bedeutung von Vorfällen zu vergrössern. All diesen Punkten ist gemeinsam, dass sie heute als nicht effektiv gemanagt eingestuft werden. Allen voran steht die Abhängigkeit vom Öl, die von 64 Prozent der Befragten als nicht effektiv gemanagt eingestuft wird.
Die Verfügbarkeit gemeinsam genutzter Daten und Informationen, die zunehmende Fragmentierung entlang der Supply Chain und das extensive Subcontracting nennen jeweils rund 60 Prozent als nicht effektiv gemanagte Risiken. Am anderen Ende der Skala werden die zunehmende Grösse der Transporteinheiten, die Lagerbestände oder die Qualitätskontrolle von der überwiegenden Mehrheit als effektiv gesteuert eingestuft.
Die Expertengruppe des WEF macht fünf Handlungsfelder von hoher Bedeutung aus. Verbessert und gefördert werden müssen die Methoden der Risikoquantifikation, die Szenarioplanung, der Daten- und Informationsaustausch, der Aufbau von Netzwerken zwischen Firmen und Regierungen und die Gesetzgebung selbst. Das soll über Arbeitsgruppen unter Führung regionaler Regierungsstellen erledigtwerden. Ausserdem sollte es eine Einschätzung der nationalen Reife der Risikoantwort auf die relevanten Gefahren geben. Diese sollte Bestandteil von Handels- und Reiserankings der Länder sein.
Regierungen sollten die internationale Kompatibilität von einschlägigen Programmen anstreben, und die Wirtschaft muss sich vermehrt mit der genaueren Einschätzung der Risiken rund um Supply Chain und Transport befassen. Gemeinsam sollten die Akteure auf das Risikomanagement fokussierte Netzwerke entwickeln, die Sichtbarkeit relevanter Risiken verbessern und die Kommunikation rund um eingetretene Vorkommnisse erleichtern.
Die Teilnehmer der World Economic Forum Supply Chain and Transport Risk Initiative treten deshalb für eine breit abgestützte Kollaboration aller involvierten Parteien ein.

Alexander Saheb

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