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City-Logistik im Praxistest

Mobilität ist Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft und Gesellschaft. Aber: Je mehr Waren transportiert werden, desto wahrscheinlicher sind Staus, Lieferengpässe und Proteste betroffener Bürger. Um eine Stadt nachhaltig zu versorgen, sind oft widersprüchliche soziale, ökonomische und ökologische Ziele ins Gleichgewicht zu bringen. Die Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply-Chain-Services untersuchte anhand aktueller Projekte Herausforderungen und Optimierungspotenzial moderner City-Logistik – und warum viele Projekte gescheitert sind.

(sw) Weltweit leben heute bereits mehr als drei Milliarden Menschen in Städten. Während in ländlichen Gegenden ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen ist, wächst die städtische Bevölkerung jedes Jahr um 60 Millionen. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO und dem Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen UN-HABITAT wird sich diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf 6,4 Milliarden Menschen fast verdoppeln.
Innovative, umweltfreundliche und ressourcenschonende Versorgungsketten für die Städte werden immer wichtiger, da Strassenkapazitäten nicht beliebig an das zu erwartende Verkehrswachstum angepasst werden können. Seit den 1990er-Jahren wird deshalb versucht, urbane Gebiete mithilfe von City-Logistik-Konzepten nachhaltig zu versorgen. Warenströme werden dabei zunächst zentral konsolidiert, das heisst gebündelt, und dann routenoptimiert ausgeliefert. Ziel der City- Logistik ist somit vor allem, den innerstädtischen Verkehrsraum vom Güterund Wirtschaftsverkehr zu entlasten.

Herausforderungen …

Das Thema City-Logistik ist an sich nichts Neues. Schon Julius Cäsar hat sich mit der urbanen Frachtbewegung beschäftigt. Um Staus auf städtischen Strassen zu verringern, verbot er kommerzielle Lieferungen während des Tages.
Heute nimmt die Bedeutung der City-Logistik nicht nur aufgrund der gestiegenen Umweltsensibilität zu. Demografischer Wandel, Urbanisierung, Globalisierung, Fragmentierung des Sendungsmarktes und räumliche Verteilung der Produzenten führen zu einem stetig steigenden Frachtvolumen, das die städtische Strasseninfrastruktur an ihre Kapazitätsgrenze bringt.
Hinzu kommt, dass die Rahmenbedingungen für den Lieferverkehr ungünstig sind: Der Verkehr nimmt zu, die Lagerflächen von Innenstadtgeschäften werden kleiner, die Zufahrt zu Fussgängerzonen ist zeitlich begrenzt und die Zeitfenster für die Warenannahme sind eng. Die Folge: Ineffizienzen durch Staus und Suchverkehr, unnötige Wartezeiten bei der Warenannahme und die – häufig auch aus ökonomischer Sicht – ungenügende Auslastung der Lieferfahrzeuge. City-Logistik kann ein Weg sein, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Mit ihr kann gleichzeitig eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Stadtentwicklung durch Kooperationen aller am Wirtschaftsverkehr Beteiligten unterstützt und so Rationalisierungspotenzial erschlossen werden.

… und Massnahmen

Zur Verbesserung des urbanen Güterverkehrsflusses können verschiedene Massnahmen eingesetzt werden. Die Analyse im Rahmen der Fraunhofer- Studie «City-Logistik – Bestandsaufnahme relevanter Projekte des nachhaltigen Wirtschaftsverkehrs in Zentraleuropa » zeigt, dass diese meist die Unterstützung öffentlicher Einrichtungen benötigen und sich grob in vier Kategorien unterteilen lassen (siehe Abbildung 1).

Ziel der City-Logistik ist vor allem, den innerstädtischen Verkehrsraum vom Güter- und Wirtschaftsverkehr zu entlasten.

Infrastrukturelle Ansätze zielen auf den Neubau respektive die Weiterentwicklung von vorhandenen Infrastrukturen ab. Ein Beispiel hierfür ist die Installation eines sogenannten City-Hubs, eines urbanen Konsolidierungscenters. Diese Massnahmen können ebenso den Neu- respektive Ausbau von Verkehrswegen wie Strasse oder Schiene beinhalten.
Zur zweiten Kategorie, den Massnahmen zur Flächennutzung, zählen unter anderem spezielle Auf- und Abladeflächen, die ausschliesslich dem Liefer- und Ladeverkehr zur Verfügung stehen. Ein weiteres Beispiel sind die sogenannten «Multiple use lanes»: Hier dürfen City-Logistik-Partner Spuren benutzen, die normalerweise für Taxis oder Busse reserviert sind.
Die dritte Gruppe umfasst unterschiedliche Zugangsbeschränkungen. Am geläufigsten sind Zeitbeschränkungen und Restriktionen bezüglich physischer Attribute (z. B. bestimmte Luft- oder Lärmemissionsgrenzwerte), um den Verkehrsfluss in Problembereichen (z. B. Fussgängerzonen) zu steuern.
Als letzte Kategorie sind technologische Ansätze und Verkehrsmanagement zu nennen. Ziel ist es, den urbanen Warenfluss zu vereinfachen und zu reorganisieren, um so den Warenverkehr von überlasteten Strassen fernzuhalten respektive ihn zu kanalisieren.

8 von 46

Obwohl das City-Logistik-Konzept auf den ersten Blick betrachtet für alle Teilnehmer sinnvoll ist, zeigt die Studie, dass es bisher nur wenige Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung gibt: Nur acht der 46 untersuchten Projekte sind noch operativ tätig. Sie alle hatten zum Ziel, Kosten und Umweltbelastungen durch konsolidierte Belieferungen zu reduzieren. In kaum einem Projekt wurde das erreicht. Der Grund: Die Waren mussten im Rahmen einer konsolidierten Belieferung zusätzlich angefasst und umgeschlagen werden, was die Lieferung komplizierter und teurer machte. Abbildung 2 zeigt, dass die mangelnde Rentabilität der City- Logistik-Projekte der häufigste Grund für den Abbruch ist.
Weitere Gründe für das Scheitern waren der Rückzug des federführenden Koordinators, das Auslaufen von Fördermitteln und der Verkauf oder Konkurs von beteiligten Unternehmen. In dreizehn Fällen wurde das Projekt aufgrund von kooperationsinternen Problemen beendet, was häufig am mangelnden Vertrauen der Kooperationspartner untereinander lag. So waren die Wettbewerber nicht bereit, ihre Transporte zu bündeln und konstruktiv zusammenzuarbeiten. In zwei Fällen ergab sich eine Standortverlagerung von beteiligten Speditionen. Acht City-Logistik-Projekte sind nach Ablauf der Projektzeit regulär ausgelaufen und wurden nicht fortgeführt. Sieben Projekte wurden eingestellt, da die City- Logistik-Dienstleistungen nicht von den Kunden nachgefragt wurden und nur ein geringes Sendungsvolumen erreicht werden konnte. Bei zehn Projekten liessen sich die Abbruchgründe im Nachhinein nicht mehr zweifelsfrei identifizieren.
Eine grundsätzliche Einschränkung von City-Logistik ist, dass ein solches Projekt in der Regel keine zusätzliche Nachfrage generiert, sondern lediglich das bereits vorhandene Volumen neu aufteilt. Zudem führen City-Logistik- Lösungen zu höheren Kosten gegenüber der konventionellen Tür-zu-Tür- Belieferung, da der Warenempfänger zusätzlich die Lieferung vom Konsolidierungsort zur eigentlichen Senke, zum Zielort, bezahlen muss.
In den letzten zwei Jahrzehnten wurden – zum Teil mit einem erheblichen finanziellen Aufwand – viele Massnahmen ergriffen, um den spezifischen Anforderungen an eine urbane Warenversorgung gerecht zu werden. Die gewünschten Ergebnisse konnten jedoch nur in einem sehr begrenzten Masse erzielt werden. Auch wenn viele Versorgungsketten aus einer reinen Unternehmens- respektive Logistiksicht bereits prozess- und kostenoptimiert sind, sind sie dies aus der Perspektive einer Stadt oftmals nicht.

Stefan Wolpert

 

Über den Autor
Stefan Wolpert, Autor der Studie «City-Logistik – Bestandsaufnahme relevanter Projekte des nachhaltigen Wirtschaftsverkehrs in Zentraleuropa», ist seit 2011 Mitarbeiter der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services (SCS) in Nürnberg und beschäftigt sich dort mit dem Thema Dienstleistungsentwicklung. Der Diplom- Kaufmann und Diplom-Wirtschaftsinformatiker hat in Nürnberg, Shanghai, London und Heidenheim studiert. Erfahrungen sammelte er in der Beratung sowie in diversen Industrie- und Handelsunternehmen. Die Fraunhofer-Arbeitsgruppe SCS untersucht die komplexen Zusammenhänge von logistischen Netzwerken, ihren Märkten, Prozessen und Dienstleistungen mit dem Ziel einer optimalen Supply-Chain-Konfiguration. Als neutrale Forschungseinrichtung gewährleistet die Fraunhofer- Arbeitsgruppe einen unvoreingenommenen Blick auf alle Fragestellungen ihrer Kunden und Partner aus Industrie, Handel und Dienstleistung sowie öffentlichen Institutionen.

Sechs Thesen zur City-Logistik

  1. Die (Innen-)Stadtgrösse und das damit einhergehende Bündelungspotenzial sowie die ortsansässige Branchenstruktur sind entscheidende Faktoren, um das kritische Transportvolumen zu erzielen, welches für ein ökonomisch erfolgreiches City-Logistik-Projekt nötig ist.
  2. Der Einsatz eines neutralen Transporteurs zur Feindistribution ist ausschlaggebend. Da die Transporteure in der Regel im Wettbewerb zueinander stehen, kann der neutrale Dienstleister dafür sorgen, dass sensible Kundendaten anderen Transporteuren nicht bekannt werden.
  3. Über die reine Transportdienstleistung hinausgehende Serviceleistungen sind wesentlich für den kostendeckenden Betrieb eines City-Logistik- Projekts.
  4. Die Institutionalisierung der Kooperation über einen losen Zusammenschluss hinaus ist als kritischer Erfolgsfaktor zu betrachten.
  5. Die Relevanz der City-Logistik wird weiter zunehmen. Steigende Mieten führen zu kleineren Ladenflächen und proportional kleineren Lagern in den Innenstädten. Dies hat eine zunehmende Sendungsanzahl und eine höhere Lieferfrequenz zur Folge.
  6. Die grössten City-Logistik-Potenziale sind im Bereich des Stückgutverkehrs zu finden.
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