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Hamburgs Hafen will gross bleiben

Hochautomatisierte Containerbrücken, Portalhubkarren und Greifstapler bewältigen den Güterumschlag; Menschen sind auf dem Terminal Altenwerder kaum zu sehen. (Quelle: ksl/Shutterstock.com)Die grösste Logistikdrehscheibe Nordeuropas rüstet sich für die Zukunft, obwohl die Seehandelskrise noch nicht abgeklungen ist. Die Hafen- und Terminalbetreiber drängen auf eine erneute Vertiefung der Fahrrinne der Elbe. Zudem setzen sie auf intelligentes Verkehrsmanagement, um die Güterströme auf dem Hafengelände zu optimieren.

(mf) Die schiere Grösse fasziniert. Auch die besondere Lage im Landesinnern Norddeutschlands macht den Hamburger Seehafen zu einer einzigartigen Logistikdrehscheibe ersten Ranges in Europa, die sich auf rund 75 Quadratkilometern zu Land und Wasser ausbreitet.

Wunderkiste Container

Im Rahmen einer Bildungsreise Anfang September liess sich der Logistikleiter- Club Schweiz unter kundiger Leitung des auf maritime Touren spezialisierten Gruppenführers Klaus Kowollik auf einer Barkasse durch die Kanäle der historischen Speicherstadt sowie der ultramodernen Hafencity gondeln. Anschliessend bot sich die Gelegenheit, per Reisecar einen Blick auf die Massen- und Stückgutumschlagsplätze im Westen des Hafengeländes zu werfen. Dort bewältigen hochautomatisierte Containerbrücken, Portalhubkarren und Greifstapler den Güterumschlag; Menschen sind auf dem Terminal Altenwerder kaum zu sehen.
Es braucht wohl einen Augenschein vor Ort, um mit allen Sinnen zu begreifen: Die internationale Standardeinheit, die den Welthandel dominiert, hat verlässliche Masse wie ein Lego- Baustein, nur dass sie 20 oder 40 Fuss (6,06 oder 12,19 Meter) lang ist und ein Leergewicht von rund 2,4 Tonnen aufweist; der ISO-Standardcontainer (Twenty-Foot Equivalent Unit = TEU) ist die Zähleinheit der Weltmeere und Welthäfen.
Eine neu gewonnene Dynamik prägt den Hamburger Hafen seit dem Fall der Mauer und der Etablierung Chinas als verlängerte Werkbank der Weltwirtschaft. Die Güterumschlagsmengen haben sich seit 1990 auf rund 131 Millionen Tonnen (im Jahr 2012) verdoppelt, wobei der Stückgutumschlag fast ausschliesslich in standardisierten Containern abgewickelt wird. Der grösste Logistik-Hub Deutschlands konnte zwischen 2001 und 2007 gegenüber anderen Grosshäfen an der Nordsee (der sogenannten Nordrange, vor allem Rotterdam und Antwerpen) leicht Marktanteile gewinnen. Wichtig für Hamburg ist zudem der Umschlag von grossen Deepsea-Schiffen auf kleinere Schiffe, welche die Ostseehäfen versorgen (das sogenannte Transshipment).

Die Seehandelskrise und ihre Folgen

So gut sich ein Welthafen eignet, die Dynamik einer Konjunkturphase wie in einem Brennglas zu beobachten, so abrupt macht sich auch eine weltweite Rezession in der Hafenaktivität bemerkbar. 2009 brach der Gesamtumschlag des Hamburger Hafens um 21 Prozent, der Containerumschlag um 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein. Zwar erholt sich die Gesamttonnage der umgeschlagenen Güter wieder: Mit 8,9 Millionen TEU im vergangenen Jahr wurde allerdings der Spitzenwert von 2008 (9,73 Mio. TEU) nicht wieder erreicht.
Die seit gut fünf Jahren andauernde internationale Seehandelskrise ist struktureller Natur. Zuerst hatte der Einbruch des Welthandels 2008 die Frachtpreise der Reedereien auf ein unüblich tiefes Niveau purzeln lassen. Dann machten sich zusätzlich die Überkapazitäten bei den weltweit im Einsatz stehenden Containerschiffen im Frachtgeschäft der Reedereien hartnäckig bemerkbar. Die von der Hamburger Hafenbehörde HPA (Hamburg Port Authority) in Auftrag gegebene Studie «Prognose des Umschlagpotenzials des Hamburger Hafens» kritisiert das Verhalten der Reedereien, welche «die Warnsignale zu ignorieren schienen und immer neue Schiffe, vor allem der Super-Post-Panamax-Klasse mit 10 000 TEU und mehr» vom Stapel liessen, obwohl die Überkapazität längst abzusehen war.
Steigende Treibstoffpreise und eine bestenfalls zaghafte Erholung der Weltwirtschaft lassen den Schifffahrtsunternehmen wenig Spielraum. Viele Reedereien setzen auf Langsamfahrt, um Treibstoff zu sparen, auf das Einstellen wenig rentabler Liniendienste, auf Kooperationsabkommen mit Wettbewerbern und auf das Sistieren von Neubauaufträgen.
Auf ihrer Barkassenfahrt durch den Hafen begegneten die Schweizer Besucher auch einem sogenannten Auflieger. Tourenführer Klaus Kowollik sprach bildhaft von «Hartz-IV-Schiffen », die ohne Aufträge vor Anker liegen, aber Liegekosten von 2500 Euro pro Tag verursachen. Motoren laufen ständig, um das Schweröl auf einer Mindesttemperatur von 40 Grad Celsius zu halten. Das Angebot an Tonnage durch diese Schiffe steht keiner ausreichenden Nachfrage zu kostendeckenden Frachtraten gegenüber. Dann und wann werden ältere Schiffe abgewrackt. Damit können die Reedereien allerdings der Überkapazität auf den Weltmeeren keinesfalls entgegenwirken.

Die internationale Standardeinheit, die den Welthandel dominiert, hat verlässliche Masse wie ein Lego-Baustein, nur dass sie 20 Fuss (6,06 Meter) in der Länge aufweist und rund 2,4 Tonnen wiegt (Leergewicht).Die Elbvertiefung – ein Politikum

Absurd erscheint es: Trotz Krise ist in der Branche der Trend zur Grösse ungebrochen. Im heftigen Wettbewerb der Grosshäfen um Auslastung ihrer Anlagen will Hamburg die Infrastruktur bereitstellen, um auch die weltgrössten Container- und Massengutfrachter abfertigen zu können. Die HPA und die Terminalbetreiber drängen auf die seit 2002 geplante Fahrrinnenvertiefung der Elbe. Die Sohle der aktuellen Fahrrinne liegt auf 14,9 Metern unter Seekartennull. Die erneute Fahrrinnenanpassung auf 15,9 bis 17,1 Meter soll Grosscontainerschiffen der jüngsten Generation (mit Längen von 325 bis 400 Metern und Konstruktionstiefgängen von 14,1 bis 16 Metern) ermöglichen, die Elbe möglichst tideunabhängig (d. h. unabhängig von der Flut) zu befahren.
Die HPA veröffentliche jüngst eine Grafik, wonach die Anzahl der Fahrten von Vollcontainerschiffen mit Tiefgang von über 12,5 Metern auch in der Krise 2008 bis 2012 auf der Elbe beständig zugenommen hat. Schiffe mit Tiefgang von über 13,5 Metern verkehren ebenfalls häufiger auf der Elbe; selbst bei Berücksichtigung der vollen Flut können diese aber nicht voll beladen werden. Die HPA schliesst daraus, dass die Reeder – wegen der extrem tiefen Frachtraten – nur noch die grössten Einheiten fahren liessen, auch wenn maximale Auslastung nicht möglich sei. Deshalb sei es wettbewerbsrelevant, dass eine grösstmögliche Anzahl tideunabhängiger Fahrten den Reedereien sichere Fahrpläne und kurzfristige Dispositionen – ohne Wartezeiten – erlaubt.
Die geplante Elbvertiefung ist allerdings politisch ein heisses Eisen. Malte Siegert, Referent für Umweltpolitik beim Landesverband Hamburg des deutschen Naturschutzbundes (NaBu), hegt grundsätzliche Bedenken gegenüber der geplanten Fahrrinnenanpassung, der neunten Vertiefung der Elbe seit dem Jahr 1800. Von einem relativ flachen Flussbett vor zweihundert Jahren sei der Fluss in mehreren Schritten auf «eine halbe Röhre von 12,5 Metern Tiefe» ausgebaut worden.
Bei Flut würden heute schon mehr Sedimente mit Wucht flussaufwärts gerissen, als der schwache Elbstrom wieder hinaustragen könne. Die jetzt schon aufwendigen Unterhaltsbaggerarbeiten würden massiv zunehmen. Auch die Deichsicherheit sei durch das Projekt gefährdet. Die Naturschützer befürchten zudem einen zu tiefen Sauerstoffgehalt für die Fische im Unterlauf der Elbe. Die Umweltverbände haben beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einen vorläufigen läufigen Stopp der Ausbaggerung zwischen Hamburg und Cuxhaven erwirken können. 2014 soll die Causa erneut verhandelt werden.

Hafenlogistik der Zukunft

Zur langfristigen Attraktivität eines Welthafens gehört auch eine möglichst hohe Effizienz und Qualität der Umschlagslogistik. Die Hafenakteure verfolgen die Strategie, das Verkehrsmanagement zehntausender Portalhubkarren und Lastwagen im Hafengelände und auf den Zufahrtsstrassen massiv zu verbessern. Die HPA testet ein mit SAP und der deutschen Telekom entwickeltes intelligentes Steuerungssystem. Die sogenannte Smart- Port-Logistics soll es den Disponenten in den Speditionszentralen ermöglichen, Informationen über die aktuelle Position jedes einzelnen Fahrzeugs abzurufen.
Bereits bei der Anfahrt nach Hamburg kann das System Informationen über aktuelle Verkehrsblockaden oder freien Parkraum via mobile Datenübertragung an Tablet-PC oder Bordsteuerungssysteme der Lkw-Fahrer übermitteln. Mit dem Ausbau zur einheitlichen, systemübergreifenden ITLogistikplattform ist ein Service-Marktplatz in Reichweite, auf dem Terminalbetreiber, Reeder oder Lagerhäuser – zurzeit noch mit inkompatibler ITSoftware operierend – ihre Dienste gegenseitig anbieten.

Manuel Fischer

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