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Kunst auf globaler Wanderschaft

Die Kunst der Gegenwart findet weltweit statt. Bilder und Objekte werden deshalb auf Wanderschaft um den Erdball geschickt, um Aufmerksamkeit und Kaufinteresse zu finden. Eine komplexe Wertschöpfungskette, die dem ahnungslosen Kunstgeniesser meistens verborgen bleibt, macht dies möglich.

(mf) Im Flur einer Privatbank packen zwei Männer ein sehr grosses Gemälde aus. Sie legen die Traggurte ab, welche das Hinauftragen des schweren und umständlichen Objekts in den ersten Stock erleichtert haben. Packpapier, Klebbänder, Dämmstoffe überall. Bankangestellte wundern sich über das seltsame Objekt, das in den USA verpackt wurde und nun herausgeschält wird. Im Gegenzug werden Bilder und hängende Skulpturen aus Sitzungszimmern eingepackt und für andere Abnehmer aufbereitet.

Kunstvoll mieten

Die Falcon Private Bank an der Zürcher Talstrasse gehört zu den Kunden der Art Leasing & Invest AG. Als Generalunternehmerin bietet diese sowohl Firmenkunden als auch Privaten Dienstleistungen im Bereich Anlageberatung, Inventarisierung und Leasing von Gegenwartskunst an. «Kunst ist ein Thema, welches Kunstbesitzer oft überfordert», sagt Bruno Y. Thalmann, Gründer und Geschäftsführer der Art Leasing & Invest AG, und fährt fort: «Es gibt sehr viel Kunst, die in den 60er- und 70er-Jahren gesucht war, die aber heute nicht mehr gleich begehrt ist. Die Lager von Firmen sind voll von Objekten aus dieser Zeit; vieles aus dieser Epoche gefällt nicht mehr, weshalb dann die Frage aufkommt: Was machen wir denn jetzt damit? Oft wollen neue CEOs oder Geschäftsleitungen das Erscheinungsbild ihres Unternehmens ändern. Die einen stellen ihre Produkte oder ihre Technologie in den Vordergrund, andere den persönlichen Service. Dazu müssen ausgestellte Kunstwerke passen.» Denn Kunst soll wenn immer möglich das Image und die Botschaft des Unternehmens beflügeln, nicht behindern. Häufig kristallisiert sich aus solchen Ausgangslagen das Bedürfnis der Kunden nach Veräusserung und Inventarisierung der Kunstgegenstände heraus.

Leasingverträge als Innovation am Kunstmarkt

Als innovatives Standbein des Unternehmens hat sich in den letzten Jahren das Leasing von Kunstwerken entpuppt. Leasing bringt den Kunden den Vorteil, dass sie das Aufbewahren, Versichern und Transportieren von Kunstwerken den Spezialisten überlassen können. Neue Kunstwerke lassen sich so auf eine vereinbarte Zeit einem Publikum näherbringen. Ein weiterer Pluspunkt: Die Leasingraten erscheinen in der Erfolgsrechnung als Aufwand und müssen nicht als ausgewiesener Vermögenswert versteuert werden.
«Für unser Geschäft ist die Flexibilität von Logistikpartnern vor Ort ganz zentral, sagt Thalmann, der die verschiedenen Dienstleistungen in Zusammenarbeit mit Galerien weltweit zum Wohle seiner Kunden orchestriert. Unter klimatisch stabilen Bedingungen lässt Thalmann in gemieteten Stellplätzen eines Lagerhauses im Limmattal Bilder sowie Skulpturen für längere Zeit aufbewahren. Daneben lagern auch eigens für Transporte konstruierte Kisten aus Holz – in der Hoffnung, dass sie dereinst für einen späteren Kunsttransport die idealen Masse aufweisen. Allerdings können die teuren Spezialanfertigungen selten wiederverwendet werden.

Kunstwerke sind Unikate. Dementsprechend ist ihre Logistik kaum rationalisierbar.

Kunstwerke sind Unikate. Dementsprechend ist ihre Logistik kaum rationalisierbar. «Nach dem Erwerb eines Kunstwerks im Ausland müssen viele Schritte durchgeführt werden, bis Besucher es am Zielort zu sehen bekommen», erläutert Thalmann. «Dazu gehört oft zu Beginn das Prüfen der Eigentümerschaft. Dann braucht es kundige Spezialisten am Absendeort, die in der Lage sind, ein delikates Kunstwerk sachgerecht zu verpacken, was von mehreren hundert bis zu mehreren tausend Franken pro Auftrag kosten kann. Ebenfalls teuer sind die Luftfracht und der Mietplatz im Kunstlager während der Ausstellungsdauer. Die Versicherungsprämie schlägt mit rund einem halben Prozent des Werts des Kunstwerks zu Buche. Versicherungen verlangen zudem sogenannte «Condition Reports» über den Zustand der Objekte – vor und nach dem Transport. Alleine diese Logistik nach Mass kann zehn bis zwanzig Prozent des Einstandspreises des Kunstwerks ausmachen», rechnet er vor.

Schnell und zuverlässig

Sehr vertraut mit der Komplexität internationaler Kunsttransporte ist auch Carina Andres Thalmann, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Privatbank eine Galerie betreibt: «Jeder Transportauftrag ist ein Einzelfall», sagt sie. Es sei Pflicht, für jeden einzelnen Auftrag mindestens drei Offerten einzuholen, da man sich nicht auf Faustregeln verlassen könne. Je nach Destination und Spezifikationen des Auftrags wie etwa dem Volumen des zu transportierenden Kunstwerks, sieht sie sich frappanten Preisunterschieden gegenüber. Sind Korrespondenten schweizerischer Umzugsfirmen im Versendungsland aktiv, erleichtert dies die Arbeit. In der Regel kümmern sich die beauftragten Transporteure um die Ausfuhrpapiere, Frachtbriefe, Lieferscheine, Gewichtsangaben und um die Verzollung aufgrund der vom Auftraggeber gelieferten Angaben und Papiere. Häufig handelt es sich dabei um speziell für den Transport ausgestellte Pro-forma-Rechnungen, da eine Galerie des Destinationslandes ein Objekt «in Konsignation» nimmt, bis ein Interessent sich definitiv entschliesst, es zu kaufen.
Noch häufiger bevorzugt Thalmann die Versendung von Kunstobjekten über internationale Kurierdienste, wie beispielsweise die global präsente FedEx. Der schnelle und zuverlässige Service in alle Ecken der Welt schliesst auch die Sendungsverfolgung via Internet mit ein. Ein weiterer Vorteil: Die Verantwortlichkeit für die Verfrachtung des Kunstwerks von Nagel zu Nagel bleibt in der Hand ein und desselben Unternehmens. Allerdings spedieren Kurierdienste nur Objekte, die eher in kleindimensionalen Holzkisten noch mitgeführt werden können, und Kunstversicherungen versichern Transporte via FedEx nur bis zu einer bestimmten Summe. So kann es auch mal vorkommen, dass ein kleineres wertvolles Werk nicht per Kurier geschickt werden kann, da es sonst nicht versichert wäre.

Von ganz gross bis ganz klein

Der studierte Ökonom Bruno Y. Thalmann spricht oft von Werthaltigkeit, über die Kunstwerke sich auszeichnen müssen. Er stützt sich hierbei auf sogenannte «Art Value Reports», die einerseits auf subjektiv eingefärbten Einschätzungen von Experten bezüglich der Originalität des Künstlers oder der Qualität eines Kunstwerks basieren. Andererseits spielt eine Rolle, wie viele Galerien von Bedeutung die Objekte oder Bilder des Künstlers schon ausgestellt, welche Sammlungen seine Werke erworben haben und welche Auktionsresultate bereits erzielt wurden. Damit ist offensichtlich, dass Künstler wie Galerien Interesse an der Mobilität ihrer Kunstwerke haben. Was berühmt und wertsteigernd werden will, muss auf globale Wanderschaft geschickt werden. Bruno Y. Thalmann stützt sich bei der Vorfinanzierung von Kunstwerken auf die Flexibilität der Galerien, bei denen er die Kunst erwirbt: «Eine renommierte Galerie nimmt gute Werke nur zurück, wenn sie deren Wert für die Zukunft höher einschätzt.»

«Für unser Geschäft ist die Flexibilität von Logistikpartnern vor Ort ganz zentral.»

Nichts ist zu gross, als dass es nicht den Weg zu Schweizer Kunstfreunden finden würde. Bruno Y. Thalmann zeigt auf seinem Smartphone Fotos einer 400 Kilogramm schweren ringförmigen Grossskulptur, die vor Monaten kunstvoll verpackt den Weg bis zu ihrem Bestimmungsort fand. Stolze Blicke des Teams im Hintergrund: Wir haben auch das geschafft! Und was im Grossen zu schaffen ist, gelingt auch im Kleinen, im sehr Kleinen: Der Eingangsraum der Galerie Andres Thalmann dient als spontanes Zwischenlager für weitere Überraschungen. Auf dem Boden lädt eine halbgeöffnete Kiste den Betrachter dazu ein, den seltsamen Inhalt aus einer komplizierten Hierarchie Dutzender dunkler Plastiksäcklein zu befreien. Die rund dreihundert Kohlestücklein werden – die richtige Anordnung vorausgesetzt – nach rund zwei Stunden Arbeit den dreidimensionalen «Tropfen» bilden. Die Kreation eines koreanischen Künstlers – zu Gast in Zürich.

Manuel Fischer
 

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