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Abfall in den Kreislauf

Abfall in den KreislaufDie Schweiz ist bei der Abfallverwertung auf dem Weg in eine Kreislaufwirtschaft. Allerdings nicht schnell genug. Am besten wäre ein runder Tisch mit allen Akteuren, findet das Gottlieb Duttweiler Institut.

Heute favorisiert die Schweiz in Sachen Abfall eine wenig nachhaltige Lösung: Siedlungsabfälle werden nämlich verbrannt und die Rohstoffe damit dauerhaft dem Kreislauf entzogen. Das ändert sich jedoch laut einer Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts mit dem Titel «Vom Abfall zum Rohstoff? Die Zukunft des Recyclings».

Thesen, Szenarien und Optionen

Die Kreislaufwirtschaft bietet in Sachen Abfallverwertung nicht nur die meisten Lösungsperspektiven, sondern die Schweiz ist schon auf dem Weg dorthin. Darüber sind sich die vom GDI befragten Experten einig. Doch wie der Weg genau aussieht, dazu gebe es «fast so viele verschiedene Meinungen wie Experten», heisst es in der Studie. Entsprechend breit gefächert ist die Untersuchung. Insgesamt werden sieben Thesen für den Weg hin zu einer Kreislaufabfallwirtschaft sowie vier mögliche Zukunftsszenarien und acht Handlungsoptionen aus verschiedenen Perspektiven geschildert.
Das GDI beschreibt das Abfallwesen als soziotechnisches System. Dieses wird vom menschlichen Denken ebenso beeinflusst wie von technischen Entwicklungen und Möglichkeiten. Für den Fortschritt allein auf die Technik zu setzen, greift jedoch zu kurz. Es braucht der Studie zufolge immer auch die Einbindung von Individuen und Unternehmen bis hin zur Politik. Nur diskontinuierliche Veränderungen können das System fundamental neu konfigurieren, wie es mit dem Wechsel von unkontrollierten Deponien hin zur verordneten Verbrennung von Siedlungsabfällen im Jahr 2000 schon einmal geschah. Aktuell ist aber der Druck durch Ressourcenverteuerung noch zu schwach, die externen Kosten sind noch zu wenig sichtbar und die gesetzlichen Grundlagen zu wenig griffig, als dass Unternehmen von sich aus die Kreisläufe bei Herstellung und Entsorgung schliessen würden.

Mehr als die Hälfte wird rezykliert

Im Jahr 2010 erreichte die Abfallmenge in der Schweiz rund fünf Millionen Tonnen. Davon konnten 2,8 Millionen Tonnen oder 357 Kilogramm pro Einwohner dem Recycling zugeführt werden. Die besten Rücklaufquoten erzielten Glas (94 Prozent), Aluminiumdosen (91 Prozent), Papier und Karton (85 Prozent), Weissblech (84 Prozent), PET-Flaschen (80 Prozent) und Batterien (69 Prozent).
In der Schweiz sind die Sammelquoten im weltweiten Vergleich hoch, auch die stoffliche Reinheit überzeugt. Es ist sozusagen schon eine soziale Norm, Materialien dem System entsprechend umweltgerecht zu entsorgen. Allerdings wachsen die absoluten Abfallmengen mit dem steigenden Bruttoinlandprodukt weiter an. Dafür sorgt allein schon die weltweite Massenproduktion von Konsumgütern, die teils gar nicht mehr auf Reparatur ausgelegt sind.
Für die Konsumenten ist mittlerweile aber weniger die Wertschöpfungskette als die Entsorgungskette wichtig. Sie wollen wissen, was sie mit dem Rest eines Produkts tun sollen, und fühlen sich besser, wenn Reste weiteroder wiederverwertet werden können. Dieser Motivation könnte man durch erweiterte und vereinfachte Recycling- Logistik entgegenkommen. Allerdings besteht unter den vom GDI zu dieser Thematik befragten Experten noch keine Einigkeit, wie so etwas aussehen könnte.
In Zürich beispielsweise holt der kostenpflichtige «Mr. Green» alle zwei Wochen sämtliche recyclingfähigen Stoffe bei Haushalten ab. Als weiteres Beispiel wird die Rückgabe von alten Kleidern in den Geschäften, wo man neue kauft, genannt. Zudem könnte das Verursacherprinzip, welches heute den Verbraucher in die Pflicht nimmt, auf Hersteller und Händler von Produkten erweitert werden. Das dürfte aus Sicht der Studienautoren sogar wahrscheinlich sein, entweder wegen neuer gesetzlicher Regelungen oder weil die Industrie diesen zuvorkommt. Die Firmen müssen dann schon beim Entwurf neuer Produkte deren Lebenszyklus bis zu Ende denken. Nespresso hat deshalb beispielsweise einen Entsorgungsdienst für die Kaffeekapseln eingeführt.

Optimale Ressourcennutzung

Vor dem Hintergrund der insgesamt sieben die künftige Entwicklung lenkenden Thesen beschreibt die Studie vier Szenarien für das Schweizer Abfallsystem. Die Fest- und Fortschreibung des heutigen Zustands ist zwar eine davon, wird aber als Rückschritt qualifiziert und als unwahrscheinlich und unerwünscht bezeichnet. Kommt es hingegen zu disruptiven technischen Veränderungen, könnte die Vision eines einfacheren, billigeren und ökologischeren Systems Wirklichkeit werden.
Diese optimistische technokratische Sichtweise vernachlässigt aber die sozialen Systeme zu stark. Im Kleinen gedacht, wird daraus wieder eine vorstellbare Lösung. Hier erlauben kleinere technische Fortschritte bei Subsystemen wie der Abfallsortierung und -trennung eine höhere Recyclingquote. Dazu wird die Gesellschaft stärker sensibilisiert und entwickelt eine neue «Abfallkultur». Gerade diese ist besonders wichtig für eine Reform des heutigen Systems, heisst es weiter. Schliesslich gibt es noch das mit «Nulltoleranz » arbeitende vierte Szenario. Hier verlangt die Gesellschaft von Unternehmen die optimale Nutzung aller Ressourcen und greift sonst zum Konsumboykott. Auch der Gesetzgeber nutzt seine Macht voll aus, um die Entwicklung in diese Richtung zu lenken. Standards für Ökodesign und ökologische Produktionsabläufe werden definiert und eingeführt sowie mit einem Kontroll- und Lenkungssystem aus Strafen und Anreizen umgeben. Die Müllverbrennung geht gegen null. Zwar halten wenige Experten diese Entwicklung für wahrscheinlich, doch viele erachten einen kleinen Schritt in diese Richtung als nötig.

Umbruch oder Konsensfindung?

Die aus heutiger Sicht anzustrebende Transformation wird erreicht, wenn ein aufgeklärtes Konsumentenverhalten auf ein Abfallwirtschaftssystem trifft, welches das Recycling von Produkten erleichtert, die von Anfang an dafür optimiert wurden.
Für den wünschenswerten Systemwechsel gibt es nun zwei Strategien. Im ersten Fall geht man davon aus, dass einer der Akteure den nächsten grossen Schritt wagt und neue Standards setzt. Damit bringt er das System aus dem Gleichgewicht und die anderen Beteiligten unter Zugzwang. Hersteller, die eine Vorreiterrolle einnehmen, sichern sich einen doppelten Wettbewerbsvorteil: Sie sind für die drohende Verknappung und Verteuerung von Ressourcen gerüstet, und sie sichern sich einen Wissensvorsprung und Imagegewinn. Auch für den Handel kann es eine gute Strategie sein, das grüne Bewusstsein und Gewissen der Verbraucher anzusprechen. Beispielsweise gibt es Punkte auf die Kundenkarte, wenn der Kunde seine Einkaufstasche selber mitbringt.
Nicht einfacher als die Idee des Vorreiters, aber erfolgversprechender ist für das GDI indessen die Variante des runden Tisches. Dort suchen die Systemakteure einen Konsens, der anschliessend verbindlich ausdifferenziert wird. Das verteile die «Bürden» gleichmässig, aber auch die möglichen Gewinne. Dies ist die von den Studienautoren favorisierte Lösung.

Alexander Saheb

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