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Sprechende Tags bei der Bahn

RFID kann in Zukunft gute Dienste bei der Sicherheits- und Zustandsüberwachung der Bahn leisten. Messdaten können radscharf zugeordnet, Defekte am Material frühzeitig entdeckt und behoben werden. Unterhaltsmassnahmen werden somit reduziert, und die Verfügbarkeit der Fahrzeuge wird verbessert.

Es ist garstiges Wetter. Mit gutem Schuhwerk und orangem Overall ausgerüstet, geht es mit Stefan Koller, Product Manager Zugkontrolleinrichtungen der SBB, auf Erkundungstour zu Errungenschaften der Bahnsicherheitstechnik. Unter einer Brücke in der Nähe von Brunnen SZ angelangt, hört und sieht man die Personen- und Güterzüge ununterbrochen über die Gotthardstrecke brausen. Eine Botschaft drängt ins Bewusstsein: Die Bahn fährt zu jeder Tages- und Nachtzeit und bei jedem meteorologischen Szenario.

RFID und EVN
In unmittelbarer Nachbarschaft zueinander sind drei Geräte installiert, welche die Sicherheit und den Zustand der Schienenfahrzeuge überwachen und diese automatisch identifizieren können. Augenfällig ist die etwa zwei Meter über Schienenhöhe positionierte RFID-Reader-Pilotanlage. Ein mit einer RFID-Funketikette ausgerüstetes Eisenbahnfahrzeug kann somit seine Fahrzeugnummer (European Vehicle Number, EVN) automatisch dem Reader übermitteln, sobald es den Schienenkontakt der Anlage berührt.

Das Auge schweift weiter zu den Doppelspur- Geleisen. Auf jeder Spur ist ein sogenannter Radlast-Checkpoint (RLC) eingebaut. Dieser besteht aus zwei Messschienen, die in einem Abstand von drei bis 15 Metern im Gleis eingebaut sind. Damit werden die Radaufstandskräfte eines fahrenden Zuges gemessen. Aus den Radaufstandskräften werden das Zug- und Fahrzeuggewicht sowie die Achslasten und das Radlastverhältnis (von links zu rechts) berechnet. Asymmetrische Radlastverhältnisse können sich durch Ladeverschiebungen ergeben. Dank dem RLC können diese frühzeitig erkannt werden, um der schlimmsten Konsequenz der fehlerhaften Last, einer Entgleisung, zuvorzukommen.

Um einige Meter vom RLC versetzt befindet sich eine weitere Zugkontrolleinrichtung. Die sogenannte Heissläufer- Festbremsortungsanlage (HFO) gibt sich als in gelber Farbe gehaltenes Metallgehäuse in einer Hohlschwelle zu erkennen. Die darin installierten Infra rotsensoren ermitteln über Tausende von Messungen in Sekundenschnelle die Oberflächentemperatur der Radscheibe, des Radlagers und der Bremsscheiben.

Zentrale Auswertung der Sicherheitsdaten
Dass ein RFID-Lesegerät gerade hier steht, hat mit den vielfältigen Anforderungen des modernen Eisenbahnverkehrs zu tun. «Die Sicherheitstechnik  und die operative Begleitung im Interventionsfall dienen sowohl der Sicherheit als auch der Verfügbarkeit des Transportwegs Schiene», erklärt Stefan Koller. Denn das schweizerische Eisenbahnnetz bewältigt Tag und Nacht ein grosses Personen- und Güterverkehrsaufkommen. Sicherheitsrelevante Schäden an Schienenfahrzeugen können dazu führen, dass Züge angehalten werden müssen. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Verfügbarkeit des Schienennetzes.

Doch die Installation modernster Sicherheitstechnik alleine reicht noch nicht, um den beiden Hauptanforderungen an den Schienenverkehr – Sicherheit und Verfügbarkeit – gerecht zu werden. Hervorzuheben ist, dass die Sensoranlagen laufend Daten darüber an eine nationale Leitstelle übermitteln. «Diese Vernetzung und die zentrale Alarmbehandlung der Zugkontrollen in einem Interventionszentrum sind weltweit einzigartig», so der Bahnfachmann.

Das Interventionszentrum Erstfeld ist 7x24 Stunden in Betrieb und zuständig für die Überwachung der Alarme, die durch die Kontrolleinrichtungen ausgelöst werden.Das Besondere am Interventionszentrum Zugkontrolleinrichtung (IZ ZKE) in Erstfeld: Hier trifft modernste Technologie auf den Sachverstand erfahrener Bahntechniker. Ein Expertenteam analysiert die einkommenden Meldungen und Alarme innert 90 Sekunden und kann allenfalls die vom Bahnsystem automatisch angeordneten Massnahmen berichtigen. Dank Interpretation der Meldungen auf den Bildschirmen durch die Sicherheitsexperten lassen sich Fehlalarme ausschliessen, und die Betriebsbehinderungen werden auf das unvermeidbare Mass reduziert. Gerade für die Güterbahn sind die Nachteile von Betriebsunterbrüchen offensichtlich: Rangiermanöver führen unweigerlich zu Verzögerungen und demzufolge zu mangelhaft ausgeführten Kundenaufträgen.

Das IZ-ZKE-Team unterstützt die Lokführer telefonisch bei notwendigen Interventionen. Alarm wird beispielsweise ausgelöst, wenn das Radlastverhältnis einen zulässigen Faktor überschreitet. Der Lokführer oder die Lokführerin muss nun den Zug am nächstmöglichen Standort anhalten. Als nächster Schritt wird der Zustand des betroffenen Fahrzeugs vor Ort überprüft: Ist eine Ladeverschiebung erkennbar? Sind Schäden an Radsätzen und Radsatzlagern erkennbar? Klar ist, dass diese Situation auch bei tiefen Temperaturen, stürmischem Wetter, tagsüber wie nachts eintreffen kann. Umso besser, wenn das schadhafte Fahrzeug und die betroffene Achse rasch und zweifelsfrei identifiziert werden können.

Fahrzeug- und Sicherheitsdaten zusammenführen
Hier kommt nun der Vorteil von RFID zur Geltung: Mit der automatisierten Identifikation jedes Schienenfahrzeugs können die Messdaten aus dem Fahrverhalten des Zuges mit den Fahrzeugdaten «radscharf» zusammengeführt werden. Ein Ablesen der Wagen- nummer durch den Lokführer ist so nicht mehr nötig. Ein weiterer Vorteil: Meldungen zu schadhaften Fahrzeugen können direkt an die Fahrzeughalter gemeldet werden. Darüber hinaus erlaubt die radscharfe Zuordnung eine dynamische Betrachtungsweise des Fahrzeugverhaltens über eine längere Zeitperiode. Denn die Bahnexperten wissen: Ein zu beobachtender Effekt, zum Beispiel eine Flachstelle im Rad, verschlechtert sich über die Zeitdauer kontinuierlich.

Seit Februar 2014 läuft die RFIDReader- Pilotanlage im Testbetrieb. Gemäss Angaben von Stefan Koller hat sie den Nachweis erbracht, auch bei hoher Geschwindigkeit der Züge die Tags zuverlässig zu lesen. Bereits weit fortgeschritten ist die Umsetzung der europäischen GS1 Richtlinie «RFID in Rail» bei der SBB-Division Personenverkehr. Dort beginnt man nun damit, die Fahrzeuge gemäss GS1 Richtlinie mit RFID-Tags zu bestücken.

Naturgemäss komplexer ist die Situation bei der Güterbahn. In der Bahnlogistik sind immer mehrere Teilnehmer involviert. So kann das Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) für einen Güterzug seine eigene Lok aufbieten, diese aber auch mieten. Die Lok zieht Güterwaggons verschiedener Wagenhalter mit verschiedenen Kundenaufträgen.

Werden eine starke Erwärnung oder sichtbare Schäden festgestellt, muss das Fahrzeug ausgesetzt und eine Kontrolle durch Fachspezialisten vorgenommen werden.Das Interventionszentrum in Erstfeld bezieht die Daten von Güterverkehrszügen aus dem SBB-Planungssystem und dem Cargo-Informationssystem. «Die Plandaten sind in der Regel von sehr hoher Güte», sagt Stefan Koller. Die Datensätze geben über die Zugsnummer, die Zuglänge, die Anzahl Achsen, das Sollgewicht, bei Güterzügen auch über die Waggonhalter, selbst über Eigenschaften der geladenen Güter Auskunft. Trotzdem kann es in Einzelfällen vorkommen, dass die Daten nicht oder fehlerhaft vorliegen und eine zuverlässige Fahrzeugidentifikation nicht automatisch möglich ist. Mit der RFID-Identifikation sollen solche Fälle ausgeschlossen werden.

Betriebswirtschaftlicher Aspekt
Damit die RFID-Technik ihren Zusatznutzen bei der Zustandsüberwachung einbringen kann, genügt es nicht, nur die Bahninfrastruktur mit Lesegeräten auszurüsten. Der breite Einsatz von RFID im Güterverkehr, also auch bei den Loks und den Güterwaggons, braucht Anreize und Perspektiven: Denkbar wäre in Zukunft, dass im Bereich Cargo die privaten Wagenhalter Sicherheits- und Zustandsmeldungen ihrer Schienenfahrzeuge vom Interventionszentrum beziehen und auswerten dürfen.

Zwar ist «RFID in Rail» nicht mehr als eine Vorgabe, wie ein elektronisches Nummernschild auf Schienenfahrzeugen anzubringen ist. Allerdings sind die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Basistechnologie RFID für den Bahnbetrieb sehr interessant. Stefan Koller nennt als weiteres Beispiel individualisierte Waschprogramme bei der Aussenreinigung von Loks und Waggons mit automatisierter Verrechnung an die Fahrzeugeigner. Nach einem ähnlichen Modell könnten RFID-Tags in Zukunft ihren Dienst bei Unterhaltsarbeiten für ganze Drehgestelle und Achsen leisten.

Manuel Fischer

 

Ortsfeste Zugkontrolleinrichtungen (ZKE)
Die SBB betreiben seit 1973 (Flüelen), an neuralgischen Punkten über das ganze Netz verteilt, ortsfeste Zugkontrolleinrichtungen (ZKE) zur automatisierten Überwachung fahrender Züge. ZKE dienen dazu, Defekte an Rollmaterial, welche eine unmittelbare Gefährdung für den Betrieb darstellen können, zu detektieren, um Züge rechtzeitig anzuhalten und die notwendigen Massnahmen an den betroffenen Fahrzeugen einleiten zu können. Neben den unten beschriebenen zwei Typen gibt es noch die Brand- und Chemieortung (BCO) – vor allem Detektionsanlagen, die in Tunnels zum Einsatz kommen – sowie die Profil- und Antennenortung (PAO) zur Erkennung von Profilverletzungen an Zügen, beispielsweise durch lose und verschobene Ladung.

Heissläufer-Festbremsortungsanlagen (HFO)
Zu den ZKE zählen die Heissläufer-Festbremsortungsanlagen, die eine wichtige Komponente im Sicherheitssystem eines Eisenbahnbetriebs bilden. Sie können heisslaufende Achsen und Räder erkennen. Diese verursachen Schäden am Rollmaterial und können zu Achs- oder Radbrüchen und in der Folge zu Entgleisungen führen. Eine frühe Erkennung heisslaufender Achsen und Räder ermöglicht eine rechtzeitige Intervention und damit eine Reduktion von Schäden und Gefährdungen durch Entgleisungen und Brände. Heute sind auf dem Netz Messanlagen mit drei und vier Infrarotsensoren bestückt, die sich in einer Hohlschwelle im Gleiskörper befinden. Die Daten werden an einen zur HFO gehörenden Rechner übertragen, der daraus die Oberflächentemperatur des Radlagers oder der Radscheibe ermittelt. Pro Sekunde werden von jedem der Sensoren einige tausend Messungen durchgeführt. Die Sensoren 1 und 2 erfassen die Achse respektive das Lager. Sie bilden zusammen die Heissläuferortungsanlage. Die Sensoren 3 und 4 sind auf die Innenseite des Rades gerichtet. Sie liefern Temperaturdaten von vorbeifahrenden Rädern und Bremsscheiben.

Radlast-Checkpoint (RLC)
Die Radlast-Checkpoints gehören zu den Zugkontrolleinrichtungen, die netzweit bei der SBB im Einsatz stehen und der Sicherheit des Bahnbetriebs dienen. Ein RLC besteht aus zwei Messschienen, die – je nach Streckengeschwindigkeit – in einem Abstand von drei bis 15 Metern im Gleis eingebaut sind. Jede Messschiene besteht aus Strängen mit je acht Messzonen, die im Abstand von 1,8 Metern (in jedem dritten Schwellenfach) angeordnet sind. Eine Messzone besteht aus einer speziellen Anordnung von Dehnmesstreifen, welche die Schubspannung in der Schiene messen. Aus der gemessenen Schubspannung kann die Radaufstandskraft respektive die Radlast für jedes einzelne Rad bei voller Streckengeschwindigkeit berechnet werden. (Quelle: Handbuch Zugkontrolleinrichtungen, Regelwerk SBB)

 

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