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Unverpackt traut sich in der Schweiz noch keiner vor die Kunden

Bulk Shopping ist weit verbreitet. Das Verkaufsmodell wird vor allem für Produkte aus dem Trockensortiment eingesetzt, beispielsweise für Getreide und Hülsenfrüchte.Lebensmittel unverpackt einkaufen – in Europa gibt es mehrere Geschäfte, die diesen neuen Trend losgetreten haben. Schweizer Grossisten sind skeptisch, auch wenn Trendforscher nicht schwarz sehen.

London, Wien, Kiel und demnächst Berlin: In diesen Städten gibt es Lebensmittelgeschäfte, die ihre Ware weitestgehend unverpackt anbieten. Die Konsumenten müssen eigene Behälter mitbringen, um dort einzukaufen. Aus Sicht von Mirjam Hauser, Senior Researcher beim GDI Gottlieb Duttweiler Institut, sollte der Verkauf von unverpackten Lebensmitteln differenziert bewertet werden. «Im kleinen Kreis wird das Konzept sicher sehr gut funktionieren, weil es einem Kundenbedürfnis entspricht», sagt sie. Im Hintergrund steht der auch vom GDI beobachtete Trend hin zum bewussten Konsum: Der Kunde will wissen, woher die Lebensmittel kommen, wie sie zubereitet, gelagert und verkauft werden. Sein Interesse erstreckt sich jetzt über die ganze Wertschöpfungskette. Zudem möchte man Konsumreste wie Verpackungsmüll vermeiden, damit man auch nach dem Essen kein schlechtes Gewissen haben muss.

Logistische Innovation für verpackungsloses Einkaufen gefragt
Andererseits aber kollidiere das Konzept mit dem heute meist eng strukturierten Alltag der Konsumenten. Der sei geprägt von Flexibilität und Tempo, meint Hauser. Es werde nicht immer zur gleichen Zeit konsumiert. Die Menschen haben also weniger Zeit, selbst zu kochen, sie essen vermehrt unterwegs und ausser Haus. Das Konzept des Verkaufs unverpackter Lebensmittel könne nur greifen, wenn die Geschäfte in direkter Nähe des Konsumenten oder seiner Wege liegen. Ausserdem muss dieser sich logistisch neu organisieren.
Für den Einkauf unverpackter Lebensmittel sind eigene Behälter nötig, die mitgebracht werden müssen. «Damit unverpacktes Einkaufen aus der Nische herauskommt, braucht es eine logistische Innovation», findet Hauser. Denkbar seien beispielsweise wiederauffüllbare Becher, die man einfach transportieren könne. Sie kann sich auch eine Kombination mit Liefer- und Abholservice oder Drop-off- und Pick-up-Angebote nahe der Arbeit vorstellen.
Für den Handel streicht Hauser aber ganz andere Aspekte heraus. Zum einen könnte die Qualitätssicherung in Bezug auf Kontamination der Ware gerade bei Selbstbedienung kritisch sein. Da müsse man erst noch eine massentaugliche Lösung entwickeln; denn für hunderte Kunden müsse man anders arbeiten als für einige zehn. Aus Sicht der heute zahlreich vertretenen Markenprodukte ergibt sich ein Vakuum: Der Laden selbst sei die einzige präsente Marke und hebe den Markenaspekt auf eine höhere Ebene. Könne man Qualität auf dieser Ebene zuverlässig vermitteln, brauche es im Laden- inneren keine Marken mehr. Das Konsumentenvertrauen müsste in diesem Fall von der Produktebene auf die Filial- respektive Ladenebene transferiert werden.

Verpackungen haben einen festen Platz
Die grösseren Schweizer Lebensmittelhändler stehen dem Verkauf unverpackter Lebensmittel eher skeptisch gegenüber. «Für Denner ist der vollständige Verzicht auf Verpackungen aus logistischen Gründen und aus Sicht der Qualitätssicherung derzeit kein Thema», lässt beispielsweise Thomas Kaderli wissen, Mediensprecher des Discounters. Man verkaufe mehrheitlich länger haltbare Waren, die aus Gründen der Qualitätssicherung, der Lagerung und des Transports verpackt werden müssten. Die Verpackungen brauche es, um das Produkt vor Verunreinigungen und anderen äusseren Einflüssen zu schützen. Ausserdem trage die Verpackung vorschriftshalber anzubringende Deklarationen. Man sei jedoch bemüht, bei Eigenmarken das Verpackungsmaterial zu reduzieren oder auf ressourcenschonende Alter- nativen umzustellen.
Ähnlich antwortet Tamara Scheibli von Volg Konsumwaren. «Ein Einkauf von verpackungsfreien Produkten erscheint uns – mit Ausnahme gewisser Spezialfälle – nicht als sinnvoll», stellt sie fest. Verpackungen hätten mit Blick auf Marketing und Schutz der Ware eine wichtige Funktion. Scheibli erwartet auch nicht, dass sich in der Schweiz ein Trend zum verpackungslosen Lebensmittelverkauf etabliert. Dies gehe am bestehenden Trend zur Convenience vorbei.
Auch bei Coop findet sich keine Begeisterung für die Idee. Wo möglich und sinnvoll, verkaufe man offene Ware, vor allem bei Früchten und Gemüse, Trockenfrüchten, Fleisch, Fisch und Käse. Eine Ausweitung des Offenverkaufs auf andere Bereiche habe man zwar geprüft, aber aus hygienischen Gründen wieder verworfen, teilt Firmensprecher Ramon Gander mit. Deshalb gebe es im Moment keine Bestrebungen, den verpackungslosen Verkauf auszuweiten.
Die Migros bewertet den verpackungslosen Einkauf unter dem Aspekt der Müllvermeidung als sinnvoll. Er bedeute für den Kunden aber auch mehr Aufwand, gibt Sprecherin Monika Weibel zu bedenken. Der müsse nämlich «eigene Behälter mitbringen oder solche im Laden zuerst erstehen». Heikel ist aus Migros-Sicht auch der hygienische Aspekt, darüber hinaus sei der Einkauf von unverpackten Lebensmitteln auch zeitaufwendig. Ein solches Ladenformat spreche wohl nur eine sehr kleine Zielgruppe an, findet Weibel. In der Schweiz müsste man erst testen, ob sich so etwas etablieren könne.

In Kiel kommen 1700 Kunden im Monat
Marie Delaperrière hat diesen Schritt bereits gemacht. Sie hat Anfang 2014 in Kiel den Laden «unverpackt - lose, nachhaltig, gut» eröffnet. Dort bietet sie mehr als 300 Produkte an, von Mehl über Reis und Öl bis zu Schokolade, Tee und Reinigungsmitteln.

 

Marie Delaperrière bietet seit Anfang 2014 in ihrem Laden in Kiel unverpackte Ware an.

Marie Delaperrière bietet seit Anfang 2014 in ihrem Laden in Kiel unverpackte Ware an.

 

Jeder Kunde nimmt, so viel er braucht. «Meine Waage reicht von zwei Gramm bis 15 Kilogramm, in diesen Mengen verkaufe ich auch alle Waren», sagte sie der «Berliner Zeitung» im Mai. Bis heute ist ihr Fazit über die Geschäftseröffnung und Kundennachfrage positiv. «Das Konzept insgesamt kommt sehr gut bei den Kunden an, viele sind begeistert, dass endlich mal jemand auf die Idee gekommen ist, einen Laden dieser Art zu eröffnen und somit einen grossen Schritt Richtung Umweltschutz zu tun», stellt sie fest.
Auch mit dem Sortiment seien die Kunden zufrieden. Sie erhielten vieles, was sie auch in anderen Supermärkten erwerben würden. Bei «unverpackt» könnten sie aber nur die tatsächlich benötigte Menge kaufen. Jeden Tag kommen mittlerweile zwischen 50 und 70 Kunden ins Geschäft, in einem guten Monat sind es also bis zu 1700.
«Insgesamt kann man sagen, dass sich vor allem die Kunden, die sehr regelmässig ihre Einkäufe erledigen, vermehren», berichtet Delaperrière. Die stetige Medienberichterstattung lässt zudem viele Neukunden durch Neugier getrieben den Weg ins Geschäft finden. Demnächst soll das Sortiment auch um Molkereiprodukte erweitert werden.

Bei der Lieferantensuche hat sie hingegen manchmal noch etwas Mühe. Man sei zu klein, um bei grossen Lieferanten Forderungen zu stellen. Die kleineren hingegen würden sehr gern auf individuelle Wünsche reagieren. Zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens macht Delaperrière keine Angaben. Demnächst wolle man den Businessplan anhand der gemachten Erfahrungswerte überarbeiten. Zudem ist die Eröffnung eines zweiten Geschäfts in Kiel geplant. Ausserdem soll ein Franchise-Konzept geschaffen werden, damit sich das Ladenkonzept auch in andere Städte verbreiten kann. Die Entwicklung sei schon sehr weit fortgeschritten, und es gebe viele Interessenten aus unterschiedlichen Orten.

Alexander Saheb

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