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Das Orakel der Daten

Legendär sind die Berichte von Automechanikern und Servicetechnikern, die allein nach Gehör voraussagen konnten, welche Komponente des Wagens oder der Maschine bald ihren «Geist aufgeben» würde. Vorausschauende Wartung ist heutzutage keine Zauberei mehr – Ausfallwahrscheinlichkeiten lassen sich berechnen, und damit kann das Supply-Chain- und Servicemanagement effizienter betrieben werden.

Es scheint ein Widerspruch: Wir leben in Zeiten, in denen sich Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten radikal wandeln; sie werden virtualisiert und digitalisiert. Doch zugleich nimmt die Bedeutung der realen Logistik rasant zu: Immer flexibler, immer individueller, immer schneller müssen die physischen Waren an ihrem Bestimmungsort ankommen. In diesem Spannungsfeld wird die Supply Chain zunehmend anfälliger; jegliche Störung bringt ein minutiös austariertes Geflecht an Zulieferern, Herstellern, Vertriebspartnern und Servicedienstleistern aus dem Takt.
Seit die IT in der Warenbewirtschaftung und im Supply Chain Management Einzug gehalten hat, steigt ihre Bedeutung als Enabler und Effizienztreiber bei der Vernetzung einzelner Akteure und beim Straight-Through- Processing von Arbeitsabläufen unaufhörlich. Mit dem als Internet der Dinge apostrophierten Paradigmenwechsel in der Nutzung des Internets wird nun quasi ein neues Kapitel im Servicemanagement und in der Logistik aufgeschlagen. Die Verflechtung von Sensortechnik mit Informationsund Kommunikationstechnologie eröffnet einen völlig neuen Zugang zur Art und Weise, wie mit Wartung und Störungsmanagement umgegangen wird.

In Echtzeit oder vorausschauend
Bei traditionellen Instandhaltungs- und Servicemodellen wurde bislang entweder auf einen bereits eingetretenen Störfall reagiert oder die Wartung wurde in regelmässigen Intervallen terminiert. Ein Unternehmen stand somit vor der Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder musste man lange Stillstandzeiten beim unvorhergesehenen Ausfall einer Komponente bis zur Fehlerdiagnose und Ersatzteilbeschaffung in Kauf nehmen. Oder man entschied sich für häufigere Besuche des Servicetechnikers und hatte unter Umständen unnötig hohe Ausgaben für den prophylaktischen Austausch von Komponenten, die möglicherweise noch bis zum nächsten Wartungstermin funktionsfähig geblieben wären.
Bei den durch das Internet der Dinge neuerdings ermöglichten Servicemodellen wird zwischen der zustandsbasierten und der vorausschauenden Instandhaltung unterschieden. Bei Ersterer sind alle relevanten Maschinen-, Geräte- oder Anlagendaten jederzeit über das Internet abrufbar. Dementsprechend kann der aktuelle Zustand jeder einzelnen Komponente überwacht und analysiert werden. Wenn die Messwerte sich verschlechtern, kann automatisiert ein Servicetechniker mit der Lieferung und dem Austausch des entsprechenden Teils beauftragt werden.
Bei der vorausschauenden Wartung werden Datenentwicklungen in ihrem zeitlichen Verlauf analysiert und in (übergeordnete) Zusammenhänge eingebettet. Im Störungsfall oder bei registrierten Abweichungen werden historische Fehlermeldungen mit dem aktuellen Status verglichen, um zu prognostizieren, ob und wann es zu einem Ausfall kommen kann. Das neudeutsch als «Predictive Maintenance» bezeichnete Modell legt damit den Grundstein für eine höhere Planungssicherheit und eine effizientere Strukturierung von Wartungsarbeiten.

Einsatzgebiete in der Logistik
Fällt ein Zug, ein Lastwagen oder ein Auto aufgrund eines Motoren- oder sonstigen Schadens urplötzlich aus, kommt eine Supply Chain ins Stocken, entstehen Wartezeiten und schlimmstenfalls wird ein ganzes durchgetaktetes Fahrplansystem beeinträchtigt. Bereits seit einiger Zeit läuft bei einem europäischen Bahnunternehmen ein Pilotprojekt mit einer Predictive-Maintenance- Lösung, bei dem während der Fahrt die Protokolldaten der Lokelektronik per Funk ausgelesen und mit denjenigen verglichen werden, die direkt vor einer Wartung oder einem Schaden erhoben wurden. Daraus entwickeln sich klassische Muster wie beispielsweise ein Temperaturanstieg an einem Sensor vor einem Defekt.
Für die fundierte Mustererkennung und Analyse sind dabei Daten aus unterschiedlichen Quellen nötig, etwa aus dem Streckennetz, der Wetterlage oder der Energieversorgung. Im Störungsfall respektive bei Abweichungen werden historische Fehlermeldungen mit dem aktuellen Status verglichen, um zu prognostizieren, ob und wann es zu einem Ausfall kommen könnte. Das Bahnunternehmen erfährt vorzeitig, welche Bauteile ermüden und ausgewechselt werden sollten. Dies senkt die Kosten für Service und Instandhaltung, hilft Streckensperrungen durch blockierte Loks zu vermeiden und erhöht generell die Stabilität beim Personen- und Güterverkehr. Die gewonnenen Daten und Erkenntnisse können zudem von Lokherstellern für zukünftige Produktentwicklungen verwendet werden.

Neue Servicemodelle – mehr Effizienz
Nicht nur der Bahnverkehr, auch die Automobilindustrie kann sich Predictive Maintenance zunutze machen. So melden Sensoren im Auto aufgrund von Betriebsparametern wie Drehzahl, Temperatur und sogar Geräuschen eine potenzielle Störung oder den Verschleissstatus einzelner Teile an ein Steuergerät. Diese Daten werden anschliessend in die Predictive-Maintenance- Cloud übertragen und analysiert. Sobald Sensorwerte auftreten, die auf spätere Probleme hindeuten, werden regelbasiert Servicemassnahmen angestossen, die verhindern, dass das betroffene Bauteil ausfällt. Je nach definiertem Szenario erhält der Besitzer, der Servicetechniker oder die Autowerkstatt eine automatisierte Nachricht. Der Autobesitzer zum Beispiel bekommt eine E-Mail oder einen Anruf seiner Werkstatt mit dem Hinweis, was auffällig ist und ob eine schnelle Reparatur nötig ist.
Die Autowerkstatt kann die eingegangenen Meldungen sammeln, Ersatzteile bestellen und ihre Servicemitarbeiter wege-, zeit- und kostenoptimiert einsetzen. Dieses Szenario kann auch leicht auf eine Lkw-Flotte übertragen werden – hier bietet Predictive Maintenance klare Einsparungspotenziale:
In Echtzeit sehen die Speditionsmitarbeiter, welchen Lkw wann und wo ein technisches Problem erwartet. Der Disponent kann direkt reagieren und das erforderliche Ersatzteil genau dahin schicken, wo sich der potenziell von einem Ausfall bedrohte Lkw gerade befindet. Dadurch kann das Fahrzeug rasch repariert werden, bevor der erwartete Schaden tatsächlich eintritt. In diesem Fall muss das Ziel von Predictive Maintenance sein, dass die Lkws einer Flotte nur zum Be- und Entladen stehen bleiben. Transferiert auf jegliche Produktionsprozesse bedeutet es, dass eine Supply Chain durch Wartungsausfälle so wenig wie möglich unterbrochen werden muss.

Dieter Haselsteiner
Head of Competence Center
Travel & Transport
T-Systems

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