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App gegen Fälscher

Das Geschäft mit Markenfälschungen ist profitabel und der globale Markt wächst. Um den vielfältigen Täuschungsmethoden auf die Spur zu kommen, setzt die Weltzollorganisation auf Ausbildung, internationale Koordination und moderne Technologie. Auch GS1 Global leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.

Der Handel mit gefälschten und raubkopierten  Gütern floriert. Die Initiative «Business Action to Stop Counterfeiting and Piracy» (BASCAP) der internationalen Handelskammer schätzte den Wert der weltweit vermarkteten Raubkopien und Markenfälschungen für das Jahr 2008 auf 455 bis 650 Milliarden Dollar. Für 2015 wird ein globales Marktvolumen für gefälschte Produkte von 1,22 bis 1,77 Billionen Dollar prognostiziert.

In einem gewissen Gegensatz zur Grösse des Marktes für gefälschte Produkte steht die öffentliche Wahrnehmung. Der Kauf einer schmucken Sonnenbrille oder einer DVD-Raubkopie auf einem Basar in den Ferien gilt als Kavaliersdelikt. Dabei geht ver gessen, dass in Garagenfabriken hergestellte und gefälschte Lebensmittel, Alkoholika, Spielzeuge oder gar Medikamente die Sicherheit der Konsumenten in hohem Masse gefährden können. Ebenso werden die wirtschaftlichen Interessen der Markeninhaber beeinträchtigt, die viel in die Entwicklung ihrer Produkte investiert haben.

Eine Gefahr für die Gesundheit
Die Produktpiraterie hat sich inzwischen vom lokalen Phänomen zu einem hoch profitablen Geschäft mit der Fähigkeit zur Massenproduktion und mit globalen Vertriebsstrukturen entwickelt. Gefälscht werden nicht nur vergleichsweise «harmlose» Konsumgüter, sondern auch komplexere Pro- dukte wie Autobestandteile oder Haushaltgeräte. Die Investitionsgüterbranche muss sich immer öfter gegen gefälschte Bestandteile wehren.

Besondere Risiken birgt der Handel mit gefälschten Medikamenten. Eine vom internationalen Forschungsinstitut gegen gefälschte Arzneimittel (IRACM) und der Weltzollorganisation (WCO) vorbereitete Aktion namens «Biyela» förderte traurige Fakten zutage. Im April 2013 untersuchten die Zollbehörden in 23 afrikanischen Ländern rund 460 Schiffscontainer. Nebst Markenfälschungen wurden 550 Millionen Einheiten gefälschter Arzneimittel beschlagnahmt; die meisten mussten als potenziell gefährlich eingestuft werden. Die Aktion wurde im Folgejahr wiederholt – mit ähnlichen Ergebnissen.

Schlaumeiereien in der Supply Chain
Vielfältig und raffiniert sind die Methoden der Infiltration und Täuschung, um möglichst nahe an die Zielmärkte zu gelangen. Philippe Vorreux, Spezialist für geistiges Eigentum und Sicherheit bei der Weltzollorganisation in Brüssel, schildert anhand von Beispielen typische Vorgehensweisen.

Ein Container enthält Maschinen, mit denen Armbanduhren herzustellen sind. Dazu gehören Ersatzteile, Ausrüstungsgegenstände und Betriebsanleitungen für die Montage. Die Zollexperten sehen einen Trend: Vermehrt werden anstelle des Imports von fertigen Produkten Fertigungstechnik und Einzelteile eingeführt, um gefälschte Ware nahe den Zielmärkten zusammenzubauen.

Rohlinge oder markenlose Produkte wie Sonnenbrillen oder Brieftaschen werden zusammen mit separat eingepackten Logos versandt – in der Hoffnung, dass diese bei einer Routinekontrolle durchschlüpfen. Der separate Versand wird auch bei elektronischen Geräten wie Flachbildschirmen beobachtet – in diesem Fall noch häufig mit Montageanleitung.

Zollbeamte haben es oft mit «verdeckten Ladungen» zu tun. So wurden in einem mozambikanischen Hafen Metallregale und Schaufensterpuppen als Verladegüter gemeldet. An der Vorderseite war der Container tatsächlich vollgestapelt mit solcher Ware. Schob man diese beiseite, kamen Raubkopien von Oakley- und Ray-Ban-Sonnenbrillen und langärmeligen Adidas- T-Shirts zum Vorschein.

Eine weitere Methode ist die Umleitung von Containern in Freihäfen. Betrüger kennen die Gesetze in afrikanischen Ländern. Den Behörden ist es auch bei Verdacht nicht erlaubt, als Transitgut deklarierte Container abzufangen. Einige der Behälter werden zuweilen als vermisst gemeldet. Auf dem Landweg transportiert, entdecken die Behörden Pharmaprodukte mit Beipackzetteln in einer dort nicht geläufigen Sprache.


IPM – eine App mit globalem Zugriff
Die WCO hat in jüngster Zeit den Kampf gegen Produktpiraterie durch international koordinierte Beschlagnahmungsaktionen verstärkt. Der Einsatz moderner Technologie, die den automatisierten Datenaustausch mit legitimen Markeneignern ermöglicht, hat einen grossen Stellenwert. 2007 unterzeichnete die WCO mit der globalen GS1 Organisation eine Absichtserklärung, gemeinsame Projekte zur Sicherheit des Warenverkehrs voranzutreiben.

Zusammen mit GS1 Global schuf die Weltzollorganisation die Anti-Produktfälschungs- Datenbank «Interface Public- Members» (IPM); in der Folge waren die Markeninhaber aufgefordert, diese mit Informationen, Fotos, Hinweisen zu Verpackungen und Kontaktdaten zu füttern. Dank webbasiertem Zugriff können Zöllner zurückgehaltene Güter zweifelhafter Herkunft näher prüfen und mit den Produktinformationen der IPM-Datenbank abgleichen. Die Identifikation von Paletten oder Schiffsladungen wird so zur griffigen Methode bei der Herkunftsprüfung von Gütern. Es kann aber auch sein, dass lokale Marken, die in neue Vertriebskanäle kommen, noch gar nicht im IPM registriert sind. Die Kontaktaufnahme mit dem Markeneigner führt dann zum Eintrag eines neuen Datensatzes.

App zur Produktidentifikation
Zollbehörden konzentrieren sich bei ihren Vollzugsaktionen auf wohlüberlegte Stichproben. Effizientes Arbeiten ist angesagt. «Zollbeamte sind bei ihrer Arbeit ständig unterwegs. Sie brechen Container auf, inspizieren die Ware auf Sicht, suchen nach Indizien für möglicherweise gefälschte Produkte », erklärt Benoît Goyens, IPM Private Sector-Manager beim WCO-Hauptsitz in Brüssel. «Die bereits bestehende Softwarelösung musste für mobile Geräte adaptiert werden.»

Seit zwei Jahren wird nun die IPMApplikation für Smartphones bei allen nationalen Zollbehörden eingeführt. Zollbeamte scannen die GS1 Barcodes und QR-Codes und rufen über die GS1 Identifikationsschlüssel die entsprechenden Informationen aus der IPMDatenbank ab. Mit demselben Gerät haben die Beamten auch Zugriff auf das GEPIR-Register, in dem sämtliche Teilnehmerdaten der Mitgliedsfirmen im weltweiten GS1 Verbund aufgeführt sind. Zollbehörden können auch beschlagnahmte Objekte fotografieren und die Aufnahmen dem Markeninhaber zusenden. Mit der Smartphone-App sind Warnungen zu Fälschungen, die Markeneigner gemeldet haben, in Echtzeit abrufbar.

Ebenso wichtig ist es, die nationalen Zollbehörden zu sensibilisieren. So organisiert die WCO regelmässige Schulungen in verschiedenen Mitgliedsländern. Im Frühjahr 2015 besuchten rund 30 Beamte des ägyptischen Zolldienstes ein Seminar in Alexandria. Neben Risikoanalysen und physischen Ladungsinspektionen sind die Bedienung des IPM-Tools und dessen vielfältiger Funktionalitäten wichtige Seminarbestandteile.

Manuel Fischer

 

Markenfälschungen und Raubkopien weltweit

 
Markenfälschungen und Raubkopien weltweit Schätzungen gemäss OECD-Erhebungen und Extrapolationen gemäss BASCAP in Milliarden Dollar
  2008 2015
International gehandelte raubkopierte und gefälschte Güter 285-360 770-960
In Zielmärkten produzierte und konsumierte raubkopierte
und gefälschte Güter
140-215 370-570
Raubkopierte Musikträger, Filme und Software 30-75 80-240
Globales Marktvolumen mit gefälschten Produkten 455-650 1200-1770
Weitere ökonomische Effekte (Mindereinnahmen an Steuern, Gesundheitskosten infolge illegaler Präparate usw.) 125 125
     
Quelle: GS1 Global; White Paper: The Need for Global Standards and Solutions to Combat Counterfeiting

 

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