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Kooperation und Datenaustausch als Fundament von Industrie 4.0

Eine vernetzte und kollaborierende Industriewelt soll mehr Innovationen und Profit ermöglichen. Bis 2020 wollen viele Schweizer Firmen die Digitalisierung stark vorantreiben.

Nachdem Industrie 4.0 in der Schweiz lange auf Kongressen und Veranstaltungen thematisiert wurde, dringt die Vision nun in die Unternehmen vor. Allerdings stehen diese oft noch am Anfang der Entwicklung. Bis 2020 wol- len sie aber einen deutlichen Sprung nach vorn machen, weiss Alex Koster, Partner und Geschäftsführer von PwC Strategy& Schweiz. Auf diesem Weg hält er vor allem Kooperationen und Partnerschaften für erfolgskritisch. Ein Unternehmen dürfe nicht nur die eigenen Kunden betrachten, sondern müsse auch deren Kunden – bis hin zum Endkunden – miteinbeziehen. Die nötige Entwicklungsgeschwindigkeit lasse sich in der Regel nicht allein mit den eigenen Fähigkeiten erreichen. Zudem müssten Firmen den Mut haben, digitale Pilotprojekte zu starten, auch wenn noch nicht alle Fragen beantwortet werden können. Erfahrungen seien wichtig, aus Fehlschlägen könne man nur lernen.

Die Vision einer Industrie 4.0 verlangt zudem international möglichst einheitliche Standards für einen reibungslosen Daten- und Informationsaustausch zwischen den Unternehmen. «Klar definierte Standards und Normen bilden die Grundlage für die horizontale und vertikale Vernetzung der Wertschöpfungsketten. Sie ermöglichen einen reibungsfreien, maschinen-, system- und softwareübergreifenden Austausch von Daten und Informationen», heisst es in einer Studie der Unternehmensberatungen PwC und Strategy& (früher Booz & Company). Für die im Jahr 2014 vorgestellte Studie «Industrie 4.0 – Chancen und Herausforderungen der vierten industriellen Revolution» wurden 235 deutsche Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe so- wie der Informations- und Kommunikationsindustrie befragt und in fünf Branchen zusammengefasst.

Daten der Wertschöpfungskette besser verwerten
Den gewonnenen Erkenntnissen zufolge wird sich der Digitalisierungsgrad der Wertschöpfungsketten in Zukunft deutlich erhöhen. Die Unternehmen erwarten, dass etwa bis zum Ende der laufenden Dekade 86 Prozent der horizontalen und 80 Prozent der vertikalen Wertschöpfungsketten einen hohen Digitalisierungsgrad erreicht haben werden. Das optimiert den Informations- und Warenfluss vom Kunden über das eigene Unternehmen bis hin zum Lieferanten und zurück. Dabei werden alle unternehmensinternen Bereiche (z. B. Einkauf, Produktion, Logistik, Planung) und die für die jeweilige Leistung erforderlichen externen Wertschöpfungspartner miteinander verbunden und vorausschauend gesteuert.

Die in solchen digitalisierten Wertschöpfungsketten gewonnenen Datenberge sind wiederum die Grundlage für betriebliche Verbesserungen. 90 Prozent der befragten Firmen wollen künftig mehr aus solchen Daten machen. Sie sind überzeugt, dass die Fähigkeit, grosse Datenmengen zu analysieren und effektiv zu nutzen, für den Geschäftserfolg entscheidend sein wird. Ein Unternehmen aus der Prozessindustrie konnte beispielsweise die Profitabilität deutlich steigern dank einer Big-Data-Anwendung. Diese löste ein Optimierungsproblem, indem Nachfrage, Maschinenverfügbarkeit, Rohstoffpreise und weitere Parameter darüber entschieden, wie viel von welchen Produkten hergestellt wurde.

Schnellere Marktreife, mehr Innovationen
Für Industrie 4.0 sind aus Sicht der Unternehmen aber nicht nur die Datenflüsse entlang ihrer Wertschöpfungskette wichtig. Bedeutsam sind auch die eindeutige Produktkennzeichnung, der Austausch von Daten mit Kooperationspartnern und die Nutzung solcher Daten. Von dieser intensiveren horizontalen Vernetzung erhoffen sich die Unternehmen raschere Innovationen und eine schnellere Marktreife von Produkten. Ferner stehen effizientere Arbeitsteilung und mehr Flexibilität auf der Wunschliste an die horizontale Vernetzung.

Erst die Einbindung einer Vielzahl von Firmen ermöglicht den Autoren der Studie zufolge auch «bahnbrechende Innovationen». Neue Geschäftsmodelle entstehen, wenn verschiedene Unternehmen ihre jeweils komplementären Fähigkeiten einbringen. Ein Beispiel sei die Elektromobilität: Hier schliessen sich Automobilhersteller in interdisziplinären Partnerschaften mit Zulieferern und unterschiedlichsten Anbietern aus anderen Industriezweigen zusammen, um gemeinsam schneller und effizienter neue Lösungen für veränderte Kundenanforderungen zu finden. Unternehmen, die Teil eines solchen Partner-Ökosystems sind, konkurrieren zunehmend gemeinsam mit anderen Unternehmen oder anderen Partner-Ökosystemen.

Künftig wird die auch Optimierung von Geschäftsabläufen über Wertschöpfungsketten hinweg erfolgen. Die befragten Unternehmen rechnen damit, innerhalb von fünf Jahren Effizienzsteigerungen von rund 18 Prozent zu erreichen. Ein Drittel glaubt, diese Marke noch übertreffen zu können. Ferner soll eine jährliche Kostenreduktion von 2,6 Prozent möglich sein. Zudem wird Industrie 4.0 eine ganz neue Dimension der Rückverfolgbarkeit von Material-, Produkt- und Prozessdaten erlauben. Das gestattet es den Unternehmen, die Qualitätskontrolle weiter vorn in der Wertschöpfungskette anzusiedeln. Schon die Lieferanten stellen lückenlose Produktinformationen zur Verfügung, dank denen der Lebenslauf eines Produkts transparent wird und bleibt.

Kosten hoch, Nutzen unklar
Zahlreiche Unternehmen haben jedoch Schwierigkeiten auf dem Weg in Richtung Industrie 4.0. Knapp die Hälfte der Befragten nennt einen «unklaren wirtschaftlichen Nutzen» und zu hohe Investitionskosten als Hürden. Fast ein Drittel bemängelt nicht genügend qualifizierte Mitarbeitende: Die Geschäftsmodelle und Prozesse werden agiler und datengetriebener, was von den Mitarbeitenden neue Qualifikationen und Fähigkeiten fordert. Rund ein Viertel der Befragten findet noch, dass Standards für das Thema Industrie 4.0 fehlen. Aus Sicht der Experten sind Branchen- und Industrieverbände, aber auch die Politik hier gefordert. Im Mittelpunkt sollten die Förderung der bei den Mitarbeitenden nötigen Qualifikationen, aber auch die Auswahl und Festlegung von Standards stehen. In Deutschland sollte sich die Politik insbesondere für einheitliche Industriestandards auf europäischer respektive internationaler Ebene einsetzen.

Alexander Saheb

Der Weg zu Industrie 4.0
Das Ergebnis der vierten industriellen Revolution heisst Industrie 4.0. Sie wird geprägt durch eine zunehmende Digitalisierung und Vernetzung von Produkten, Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodellen, folgt man den Ausführungen der Studie «Industrie 4.0 – Chancen und Herausforderungen der vierten industriellen Revolution» von PwC und Strategy&. Zentral sind folgende Schritte:

1.    Industrieunternehmen digitalisieren und vernetzen die vertikale Wertschöpfungskette: vom Bestellprozess über die Fertigung bis zum Kundenservice. Ausserdem erfolgt eine horizontale Vernetzung und damit die Integration von Bestands- und Planungsdaten mit Zulieferern, Kunden und anderen Wertschöpfungspartnern.

2.    Das Produkt- und Serviceangebot wird digitalisiert. Die Unternehmen erweitern das Produktspektrum mit digitalen Produktbeschreibungen und Angeboten wie etwa einer Onlineverbindung zum regelmässigen Abgleich von Leistungs- und Verschleissdaten. Das Serviceangebot wird zudem mit automatisierten oder datenbasierten Dienstleistungen erweitert.

3. Neue Geschäftsmodelle entstehen: Sie sind häufig das Ergebnis disruptiver Innovationsprozesse. Dadurch können neue Unternehmen in bestehende Märkte und etablierte Kundenbeziehungen eindringen, weil die Digitalisierung auch die Eintrittsbarrieren senkt.

Eine wichtige Grundlage für das Entstehen einer «Industrie 4.0» ist die Verfügbarkeit und integrierte Nutzung relevanter Daten. Dazu müssen die an der Wertschöpfung beteiligten Produkte, Produktionsmittel und Unternehmen vernetzt werden. Dies erfordert eine grundlegende Transformation der Prozesse, des Produkt- und Serviceportfolios sowie der bestehenden Geschäftsmodelle. «Alles in allem ist dies ein umfassender Veränderungsprozess, der nur durch das Topmanagement selbst erfolgreich vorangetrieben werden kann», heisst es in der Studie.

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