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Dauerbrenner Stammdatenmanagement

Der Austausch von Produktinformationen (B2B und B2C) erfolgt nach wie vor über unterschiedlichste Kommunikationswege. Eine der Folgen ist die mangelhafte Qualität solcher Informationen im Internet. Die Einsicht beginnt zu reifen: Vertrauenswürdige, aktuelle und vollständige Produktstammdaten können nur über einen Stammdatenpool ausgetauscht werden.

Unablässig und auf verschiedensten Kanälen übermitteln Geschäftspartner der Konsumgüterbrache untereinander eine grosse Menge an Informationen über ihre Produkte. Ein fiktives Beispiel: Kunde Y telefoniert einem Mitarbeiter des Unternehmens A zu spezifischen Produkteigenschaften, da Y selbst von seiner Kundschaft kritische gesundheitsrelevante Fragen zu Eigenschaften einer Snack-Mischung erhalten hat.

Mehr Erfolg mit Datenqualität
Wir stellen uns vor, dass Y mehrere Dutzend Artikel von A bezieht. Deren Rezepturen wurden aber vor ein paar Monaten geändert. Das produzierende Unternehmen A hat auf das gesteigerte Gesundheitsbewusstsein der Konsumenten reagiert. Mit weniger Salz und weniger gesättigten Fettsäuren pro 100 Gramm sollen die Marktchancen längerfristig gesichert werden. Bloss verfügt Kunde Y noch über die ältere Zutatenliste oder Nährwerttabelle; diese Angaben sind seit fünf Jahren nicht mehr aktualisiert worden. A sendet an Y nach dem Telefonat eine Excel-Liste. Y tippt schliesslich die Daten in die betriebseigene Business-Software ein.
Supply Chain Manager aus der Industrie bestätigen, dass der Austausch von Stammdaten mit der Kundschaft noch immer in unterschiedlichsten Formaten und Technologien erfolgt. Der Versand von B2B- wie B2C-relevanten Produktstammdaten mittels Excel- und Word-Dateien, PDF-Datenblättern und ergänzenden telefonischen Nachfragen verursacht zusätzliche Arbeit. Die Folge davon erläutert Matthias Schwyn, Supply Chain Manager beim Müeslimixhersteller bio-familia AG: «Aufgrund des manuellen Abgleichs tauchen immer wieder Fehler auf und beeinträchtigen das Tagesgeschäft, da der Prozessablauf gestört wird.»

Ein weiteres Unding in sehr vielen Unternehmen: Produktstammdaten liegen nicht zentral gebündelt vor, sondern verstreut auf Abteilungen und bei deren Mitarbeitern – etwa in der Entwicklungsabteilung, im Vertrieb, im Marketing und bei externen Agenturen. Dabei werden solche Stammdaten in unterschiedlichen Formaten abgespeichert oder sind womöglich nur als Druckversion verfügbar.

Der Nutzen von Stammdaten
Im historischen Zeitlauf betrachtet, geraten Produktstammdaten relativ spät ins Blickfeld des Interesses von Organisationen, die sich um die Durchsetzung globaler Standards zur Rationalisierung des Warenflusses kümmern. Da ging es zuerst um die eindeutige Produktidentifikation einer Verkaufseinheit an der Kasse. Sehr bald geriet die Logistik in den Fokus. Typische Prozesse der Lagerhaltung, der Kommissionierung konnten standardisiert und vereinfacht werden dank der Einführung eindeutiger Identifikationszeichen (z. B. GS1-128-Barcode) zur Kennzeichnung von Paletten, Behältern oder anderen Objekten.

Mit der Zeit wuchs der B2B-Informationsbedarf zu den Eigenschaften eines Produkts. Angesichts der Überfülle von Artikeln, die alle in die heiss begehrten, aber räumlich begrenzten Regale drängen, wollen die Grossverteiler zahlreiche Fragen schon vor dem Vertrieb geklärt haben: Welche Dimensionen (Länge, Breite) hat der Artikel, wie viele Varianten? Muss der Artikel gekühlt, tiefgekühlt oder unter üblicher Raumtemperatur gelagert werden? Sind auf dem Reinigungsmittel Gefahrenstoffhinweise aufgebracht?

Nun stossen die Konsumenten hinzu, die sich über digitale Kanäle informieren wollen. Einerseits ist der Bedarf nach mehr oder weniger verzehrfertigen Lebensmitteln weiterhin beträchtlich, andererseits ändern sich die Ernährungsgewohnheiten: Man will gesünder und besser essen, ohne dafür sehr viel Zeit aufwenden zu müssen. Zudem sind Ernährungsthemen trendy und werden medial wirksam aufbereitet. «Das Bedürfnis nach verlässlichen Informationen zu Produktstammdaten hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Fast täglich erhalten wir Anfragen von Konsumenten», sagt Matthias Schwyn von bio-familia. Das Unternehmen kommt dem Bedürfnis nach gesicherter und zuverlässiger Information entgegen. «Unsere Müesli bestehen in der Regel aus bis zu 15 verschiedenen Einzelzutaten; deren Zusammenwirken im Herstellprozess kann einen Einfluss auf die Risikobewertung haben, beispielsweise bezüglich allergenem Potenzial», so Schwyn.

Markant gestiegen sind auch die Anfragen aus dem Detailhandel; dies vor dem Hintergrund gesetzlicher Anpassungen wie der Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) der Europäischen Union.
Auch Kliniken, Gastronomiebetriebe oder Onlineshops wollen mit derselben Treffsicherheit absolut verlässliche Informationen über Zutaten, Nährwerte und Allergene erhalten. Domenic Schneider, Business Development Management bei GS1 Schweiz und Betreuer eines Workshops zum Thema Stammdaten, macht es anschaulich: «Personen mit Lebensmittel-Unverträglichkeiten begegnen Tücken, wenn sie bei einem Kongressveranstalter in Erfahrung bringen wollen, ob kleine Häppchen des Stehlunchs etwa Gluten oder Lactose enthalten. Solche Informationen können unter Umständen lebenswichtig sein.»

Sorgfaltspflicht für Hersteller und Handel
Angesichts der erhöhten Anforderungen an die Aktualität und Qualität der Produktstammdaten werden die Pflichten neu ausgehandelt. Jean-Luc Schmutz, Qualitätssicherungs-Verantwortlicher beim Grosshandelsunternehmen Pistor, erläutert den Wandel: «Noch vor wenigen Jahren bekamen wir von den Lieferanten Datenblätter, die wir als Team in unser System eingetragen haben. Mit dem raschen Wachstum des Sortiments haben wir die Lieferanten aufgefordert, ihre Produktinformationen selber über eine Internet-Schnittstelle in unser System einzupflegen.»

Primär sind nun die Lieferanten (in der Regel Markeneigner) in der Sorgfaltspflicht. «Es war schon eine Umstellung für unsere Lieferanten, dass sie von nun an für die Datenqualität geradestehen und die Daten vollständig liefern und aktualisiert halten müssen», so Jean-Luc Schmutz von Pistor. Kein Produkt kommt bei Pistor in den Verkauf, wenn es nicht den Anforderungen des unternehmenseigenen Produktinformationssystems genügt.
Überdies kann das Pistor-System das Datum der eingegebenen Produktstammdaten automatisch auswerten. Eine Status-Funktion erinnert Pistor- Mitarbeitende nach einer bestimmten Frist daran, nach aktualisierten Produktstammdaten zu fragen. «Wir gehen also direkt auf unsere Lieferanten zu.» Das Pistor-Team übernimmt die Eingabe der Produktstammdaten nur noch bei einigen Kleinproduzenten und bei Importeuren (um die Korrektheit der Dateneingabe in den diversen Landessprachen zu gewährleisten).

Erfahrungsaustausch und Zielstrebigkeit
Angesichts der vielfältigen Bedürfnisse liegt es auf der Hand, nach Vereinfachung und Normierung des elektronischen Datenaustauschs zu rufen. Eine der offenen Online-Datenaustauschplattformen ist trustbox®, die von der Organisation GS1 Schweiz ihren Mitgliedern zur Verfügung gestellt wird. Sie wurde, so Domenic Schneider von GS1 Schweiz, «als nationale Lösung für den Schweizer Markt» entwickelt. Die Anzahl Attribute zur Verkaufseinheit (70 an der Zahl), welche publiziert werden müssen, ist vergleichsweise bescheiden und erfüllt die Vorgaben des neuen schweizerischen Lebensmittelgesetzes. trustbox ist zudem auf die Bedürfnisse des E-Commerce und von App-Entwicklern ausgerichtet.

Viel versprechen sich die Supply-Chain- Verantwortlichen auch vom GS1-zertifizierten und aus der Schweiz agierenden Datenpool GloLIB, einem von weltweit über 30 Datenpools, die dem Austausch von Produktinformationen im Global Data Synchronisation Network (GDSN) dienen. Im internationalen Datenaustausch sind allerdings häufig noch weit mehr oder spezifischere Stammdaten pro Artikel zu übermitteln.
Die Forderung nach barrierefreiem, digitalem Zugang zu vertrauenswürdigen Produktstammdaten betrifft alle Player aus Handel wie Industrie. Multinational agierende Herstellerfirmen und grosse Handelsketten brauchen oft mehr Anlaufzeit, um diese Forderung zu erfüllen. Die Hindernisse sind bekannt: Oft sind Produktstammdaten je nach Herstellungsort dezentral abgelegt, eine zentrale Datenablage fehlt. Andererseits müssen IT-Projekte in grossen Unternehmen von der Konzernleitung genehmigt werden und brauchen eine lange Anlaufzeit bis zur effektiven Umsetzung.

Angesichts des nach wie vor unbefriedigenden Zustands hilft der gegenseitige Austausch von Erfahrung und Wissen, Unsicherheiten zu beseitigen und Gewissheiten und Zielsetzungen zu festigen. Matthias Schwyn, der den Stammdaten-Workshop im Juni dieses Jahres besucht hat, formuliert es so: «Wir sind für die Praxis bestärkt worden. Nur ein Stammdatenpool kann die Bereitstellung vertrauenswürdiger Produktinformationen für alle User gewährleisten. Wir sind alle gefordert.»

Manuel Fischer

Manuel Fischer

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