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Unsichtbar und effizient – Barcode als Wasserzeichen

In den USA sorgt zurzeit das «digitale Wasserzeichen» der Firma Digimarc für Aufsehen. Die Inhalte der klassischen EAN-Codes oder anderer Symbologien sind auf einer Produktverpackung unsichtbar aufgebracht, aber über optoelektronische Scanner an einer Kasse oder an einer Self-Checkout-Station decodierbar. Der europäische Detailhandel verhält sich abwartend.

Fürs Auge unsichtbar und doch vorhanden? Der schwarz-weisse Barcode, heute milliardenfach auf Produktverpackungen angebracht, könnte dank eines speziellen Wasserzeichens eines Tages verschwinden. An der im Januar 2014 in New York durchgeführten «Retail’s Big Show» der US-amerikanischen Dachorganisation des Detailhandels (NRF) wurden die Vorteile des neuen Codierungs- und Decodierungsverfahrens der Branche angepriesen und demonstriert. Bemerkenswert ist die enorme Gestaltungsfreiheit beim Digimarc-Verfahren.

Als spezielles Wasserzeichen können damit ein- wie zweidimensionale (GS1) Symbologien verschlüsselt werden. Die Begeisterung sprang offenbar über, sodass grosse US-Händler Ressourcen bereitstellen, um in die Technologie einzusteigen. Gemäss einem Bericht der deutschen Lebensmittelzeitung im Juli 2015 will Walmart, der grösste Detailhändler der Welt, die Funktionalität des Digimarc umfassend testen. CEO Doug McMillon soll dieser Technik das Potenzial zuschreiben, «die Kassenabwicklung grundlegend zu verändern».

Durchbruch in den USA
Nicht nur der Branchenriese, sondern auch das viel kleinere, familiengeführte Retailunternehmen Wegmans Food Markets, das in einigen Nordoststaaten der USA aktiv ist, springt auf den Zug auf. Wegmans bedruckt bereits seine Eigenmarken mit Digimarc und führt eine neue Generation von Imaging- Scannern in seinen Filialen ein. Eine solche Investition ist unverzichtbar, damit die digitale Wassermarke überhaupt an der Kasse lesbar ist. Erik Bank, bei Digimarc verantwortlich für die Geschäftsentwicklung in Europa, wertet diese Entscheidung als besonders bedeutungsvollen Schritt: «Wegmans war der erste Detailhändler in den USA, der seinerzeit den UPC-Code flächendeckend einführte.» Ein weiterer regional verankerter Versorger im pazifischen Nordwesten der USA, New Seasons Market, kündigt ebenfalls an, Digimarc anzuwenden.

Der fulminante Anfangserfolg in den USA verlangt nach Erklärungen: Welche Eigenschaften der neuen Technologie sind für den Detailhandel so vielversprechend? Immerhin sind Anpassungen bei den Druckverfahren auf Produktpackungen, aber auch Investitionen für die Decodierung der Ware an der Kasse unumgänglich.

Scan-Geschwindigkeit als Argument
Erik Bank sieht entscheidende Vorteile für die drei Hauptakteure am Konsumgütermarkt, nämlich für Detailhandel, Markenartikel-Hersteller und Konsumenten. Er verweist auf die schnellere Scan-Geschwindigkeit bei Artikeln, die mit dem Digimarc-Barcode versehen sind. IPM (Items per minute) ist die Leitwährung für die Produktivität an der Kasse. Der Branchen-Durchschnittswert liegt typischerweise bei 24 IPM. «Unsere Tests haben gezeigt, dass professionelle Kassierer Verpackungen, die mit Digimarc-Codes versehen sind, mit einer Geschwindigkeit von 36 Artikeln pro Minute scannen.» Voraussetzung ist dabei, dass ausnahmslos alle Artikel mit Digimarc versehen sind.

Die Technik bietet auch gesundheitliche Vorteile. Mitarbeitende an der Kasse müssen bislang speziell dimensionierte Artikel auf umständliche Weise in Position drehen, bis der Barcode über den Scanner gelesen werden kann. Auch schwerere Güter müssen heute zuerst hochgehalten werden, um sie dann mit einem Handscanner «abzuschiessen ». Häufig kommt es dabei auch vor, dass der Kassierer oder die Kassierin sich über das Warenband hinaus nach vorne beugen muss. Alles nicht mehr nötig mit dem unsichtbaren Barcode: Sperrige Ware kann auf Distanz gescannt werden.

Items per minute (IPM), die Scan-Geschwindigkeit, ist die Leitwährung der Produktivität an der Kasse. In Tests der Firma Digimarc erhöhte sich diese bei mit Digimarc-Codes versehenen Artikeln auf 36 IPM, im Vergleich zu 24 IPM bei Artikeln mit üblichen Barcodes.

Für Markeneigner öffnet sich mit der Technologie ein neuer Marketingkanal, denn nach wie vor ist die attraktive Produktverpackung ein bedeutender Punkt in der Kommunikation zwischen Markeninhaber und Käufern. Konsumenten brauchen nur ihr Smartphone an die Verkaufspackung zu halten, um via Digimarc – und dank entsprechender Scan-App – reichhaltige Zusatzinformationen zu einem Produkt zu entschlüsseln. Auch zuhause könnte eine im Digimarc- Verfahren in die Packung integrierte Identifikation zusätzlichen Nutzen für die Konsumenten bringen. Im Falle einer Lebensmittelverpackung könnten sie sich «inspirierende Ideen für die Zubereitung einer Mahlzeit» zugänglich machen. Schliesslich haben sie die Möglichkeit, bereits vor dem Kaufentscheid im Laden zusätzliche und vertrauenswürdige Produktinformationen zu erhalten, zumal der Digimarc-Barcode in den USA bereits von der nationalen GS1 Organisation als Standard akzeptiert wird.

Europäischer Detailhandel wartet ab
Ungeachtet der guten Resonanz im US-Detailhandel überwiegt Skepsis und Abwarten bei den europäischen Grossverteilern, oder man gibt sich zugeknöpft. Die Edeka-Zentrale in Hamburg will sich nicht äussern, ob sie den Digimarc demnächst in ihrem «Markt der Zukunft»-Testsupermarkt in Hamburg prüfen will. Die Rewe-Group in Köln teilt mit, dass das neue Kennzeichnungsverfahren «derzeit noch keine Bedeutung» habe.

Coop macht geltend, dass jede neue Technik von den Kunden kulturell angeeignet werden müsste.  Selektionsund Zahlungsvorgänge mit einer unsichtbaren Artikel-Codierung setzten Vertrauensbildung voraus, so Coop- Mediensprecher Urs Meier: «Es müsste sichergestellt werden, dass der Kunde überhaupt erkennen kann, dass ein solcher Barcode vorhanden ist.»

Trivial ist dieser Einwand nicht. Denn immer mehr Supermärkte offerieren ihren Kunden die Möglichkeit, ihre Einkäufe mit Handscannern oder Smartphones vor dem Bezahlungsvorgang oder unmittelbar während des Self- Checkout-Inkassos zu scannen. Das Hantieren mit Identifikationsnummern, die als Wasserzeichen-Prägung in eine Verpackung integriert sind, bedürfte wohl der Übung und der Instruktion. Dazu Urs Meier: «Es müsste sichergestellt werden, dass ein Artikel an der Kasse trotzdem nur einmal gescannt wird. Ausserdem sollte der klassische EAN-Barcode dennoch leserlich auf der Verpackung angedruckt werden – als Backup-Lösung, falls der Scanning- Vorgang via Digimarc nicht funktionieren sollte.»

Diese verpackten Lebensmittel sind nicht etwa mit Retro-Design-Etiketten ausgerüstet, sondern können jede GS1 Symbologie für alle Anwendungsfälle aufnehmen.

Weder Coop noch Migros hegen die Absicht, in nächster Zeit die Funktionstüchtigkeit dieser neuen Kennzeichnungs- und Erfassungstechnik im Testbetrieb zu erproben. Dazu fehle, so die Migros, «ein klar definierter Anwendungsfall ». Die neue Technik erfordere zwingend Investitionen in Kassensysteme. Diese würden nicht getätigt «ohne klar ersichtlichen Kunden- oder Prozessnutzen ». Künftig könnten jedoch externe Faktoren die Bereitschaft zum Experiment beeinflussen. «Bei neuen gesetzlichen Regelungen, die zusätzliche Identifikationsmerkmale auf der Verbrauchsverpackung bedingen, wäre der Einsatz einer neuen Methode prüfenswert », erklärt Migros-Sprecherin Monika Weibel.

Laut Michel Ottiker, Senior Consultant bei GS1 Schweiz, gibt es zurzeit mehrere Gründe, weshalb die Konsumgüterbranche kaum geneigt sei, eine solche Technologie einzuführen. Mit der Aufhebung des Euro-Franken-Mindestkurses erlitt die Branche gerade in der Schweiz Umsatzeinbussen. Zudem ist der europäische Detailhandel mit der Umsetzung der EU-Lebensmittel- Informations-Verordnung (LIV) und deren Auswirkungen auf Produktverpackungen beschäftigt. Gleichwohl sieht er in Digimarc langfristig ein grosses Anwendungspotenzial, da sich so auch die Inhalte kompakter 2D-Symbologien wie DataMatrix oder QR-Code verschlüsseln lassen.

Manuel Fischer

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