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Die EU-Direktive fordert die Pharmabranche heraus

Die Anfang Februar publizierte EU-Rechtsakte (EU) 2016/161 veranlasst Pharmahersteller zu umfangreichen Anpassungen. Ab dem 9. Februar 2019 sollen alle Medikamentenpackungen mit einer Seriennummer versehen sein, um eine bessere Absicherung gegenüber Arzneimittelfälschungen sicherzustellen. Davon sind fast alle EU-Pharmamärkte betroffen. Wie ein Augenschein bei Teva Europe zeigt, sind nun anspruchsvolle IT-Projekte mit einer engen Koordination zwischen Marktorganisationen, den eigenen Produktionsstandorten und den Lieferanten zu bewältigen.

Philippe Drechsle ist beim weltweit grössten Generikahersteller Teva als Manager für die Optimierung des breiten Produktportfolios zuständig. Zuvor lange Jahre für den Generikaanbieter Mepha AG tätig, eröffnete sich für ihn mit der Übernahme des lokalen Pharmaherstellers durch Teva auch eine europäische Jobperspektive. Drechsle, der während zwei Dritteln seiner Arbeitszeit in Europa unterwegs ist, hat nun eine zusätzliche Aufgabe wahrzunehmen.

Schon länger zeichnete sich ab, dass das Unternehmen der Umsetzung neuer grundlegender Bestimmungen zur Arzneimittelsicherheit hohe Priorität einräumen muss. Im Mai 2015 übernahm Drechsle zusätzlich die Verantwortung für das sogenannte «FMDProjekt ». FMD steht für Falsified Medicine Directive, die von der Europäischen Kommission erlassene Rechtsakte zu Sicherheitsmerkmalen auf der Verpackung von Humanarzneimitteln, in der amtlichen Sammlung der Europäischen Union zu finden unter dem Kürzel (EU) 2016/161.

Drechsle behielt trotz seiner häufigen Reisetätigkeit ein Büro in Basel, wo er sich mit seinen Kollegen aus den Bereichen Portfolio, Qualitätssicherung und Supply Chain rege austauscht. An einer Zusammenkunft im Februar besprach er mit Dr. Wiltrud Baier, Head Supply Chain bei Mepha Schweiz AG, die zahlreichen kniffligen Details, welche die Umsetzung des FMD-Serialisierungsvorhabens für Teva allgemein und lokal mit sich bringt.

Dritthersteller sind gefordert
Die Umsetzung der EU-Rechtsakte hat komplexe Anpassungsprozesse für die Unternehmen der Branche zur Folge. Der Teva-Konzern gehört zu den grössten Generika-Arzneimittelherstellern in Europa und verkauft auf diesem Absatzmarkt jedes Jahr 1,3 Milliarden Arzneimittel-Einheiten. Dass der Gesundheitsmarkt gerade von Generikaherstellern ein breites Produktportfolio erwartet, gehört zu den branchenspezifischen Eigenheiten. «Je breiter ein Portfolio, desto komplexer für uns die Abläufe. Für gewisse Spezialprodukte werden wir auch in Zukunft auf Dritte angewiesen sein», erklärt Philippe Drechsle. Denn für Teva müssen rund 400 Zulieferer und deren Verpackungsspezialisten, die alleine für den europäischen Markt produzieren, hinsichtlich der FMD-Zielvorgaben – Serialisierung ab Produktionslinie, Verpackungslösung für die Verhinderung von Arzneimittelfälschungen – auf Kurs gebracht werden. Rund drei von zehn Produkten stammen von Vertragsherstellern, die unter anderem spezielle Technologien anwenden (spezielle Darreichungsformen wie Sprays, Implantate, Medizinalpflaster usw.).

Teva übernimmt von Dritten hergestellte Arzneimittel nur dann, wenn diese die für den Zielmarkt massgeblichen gesetzlichen und konzerninternen Vorgaben erfüllen. Diese Kontrollaufgabe wird jeweils von den europäischen Lieferantenbetreuungsorganisationen (TPO) wahrgenommen. Einige Schweizer Produktionsstätten und beauftragte Drittlieferanten von Teva Schweiz, welche diverse europäische Märkte beliefern, müssen die FMD-Vorgaben ebenso erfüllen. Das genaue Zusammenspiel zwischen den Partnern wird demnächst definiert.

Zeit wird knapp
Der geforderte Serialisierungsprozess setzt einen perfekten Datenaustausch zwischen einem zentralen, in der Europäischen Union zu betreibenden Datenhub und verschiedenen Datenservern auf Landes- und Herstellerebene voraus. Bei Teva werden die Lohnhersteller über das Teva-System an den zentralen EU-Hub angebunden. Da diese in der Wertschöpfungskette in der Produktion und im Vertrieb von Generika-Heilmitteln als Vertragshersteller gelten, sollen die europaweit agierenden Markeneigner von Pharmaprodukten auch die Koordination der Daten zu ihren Partnerunternehmen steuern.

Wie muss man sich nun den Datenaustausch zwischen den Akteuren auf unterschiedlichen Niveaus vorstellen? Der EU-Hub teilt eine genügend grosse Bandbreite von Seriennummern an Datenspeicher zu, die von Teilnehmern des europäischen Pharmamarktes, wie beispielsweise von Teva, verwaltet werden. Der Datenaufbewahrungsort «Teva Global Repository» teilt wiederum periodisch Mengen von Seriennummern an Produktionslinien von Teva oder an vertraglich gebundene Drittpartner zu. Grosse Markeneigner im europäischen Generikageschäft wie Teva haben sich verpflichtet, ihre Vertragslieferanten hinsichtlich der technischen Umsetzung zu begleiten.

«Die komplexe Umstellung der Produktion muss vor dem Hintergrund einer Gesundheitspolitik bewältigt werden, die in Europa Druck auf die Medikamentenpreise macht», sagt Wiltrud Baier. Der europäische Verband der Generikahersteller ist bereit, einen Grossteil der Projektkosten mitzutragen. Die Herausforderung für alle Akteure sei beträchtlich, erklärt Drechsle. Unter anderem ist auch die Druckindustrie mit Aufträgen für die Herstellung manipulationssicherer Verpackungen ausgebucht. «Für einige unserer Lieferanten, die noch keinen Umsetzungsplan haben, wird die Zeit knapp.»

Verpflichtungen entlang der Supply Chain
Auf dem Weg vom Hersteller bis zum Patienten mögen die Einzelpackungen zwar vor Manipulationen geschützt sein. Die EU-Rechtsakte auferlegt aber diversen Partnern in der Wertschöpfungskette spezifische Aufgaben. Je nach EU-Mitgliedsstaat haben die Grossisten – die an autorisierte Abgabestellen wie Gefängnisse, Pflegeheime, Rettungssanitäter, Zahnärzte usw. liefern – die Pflicht, die Einzelpackungen mit Sicherheitsverschluss und codiertem Erkennungsmerkmal auf Unversehrtheit zu überprüfen und den DataMatrix schliesslich zu deaktivieren. Auch bei Retouren aus Apotheken muss der Grossist den Code deaktivieren, bevor er Inhalt und Verpackung vernichtet. Parallelimporteure müssen ihre neu verpackten Produkte dem EUHub melden und von dort eine Seriennummer beziehen.

Die Hauptmenge der Arzneimittel wird auch in Zukunft über klassische Offizin- Apotheken abgegeben. Auch diese sind in der Pflicht, Einzelpackungen vor Abgabe an die Kunden zu prüfen und schliesslich das Sicherheitsmerkmal (DataMatrix) zu scannen und auszulösen im EU-Hub. Hierzu müssen die Abgabestellen per Datenschnittstelle mit dem Hub verbunden sein. Zurzeit scheint es so, dass der Wissensstand der Apotheker zu diesem Projekt noch sehr bescheiden ist – hierzulande wie auch anderswo. In der Schweiz als Nicht-EU-Mitglied sind die Apotheken zwar (noch) von derlei Anforderungen ausgenommen. Die Frage des «autonomen Nachvollzugs» wird infolge der starken Vernetzung der Schweizer Pharmahersteller mit den europäischen Märkten früher oder später auf den Tisch kommen.

Datenschutz und Nutzen
Ein wichtiger Aspekt des EU-Megaprojekts ist der Datenschutz. Als Geschäftsmodell könnte man sich Interessenten vorstellen, die genau wissen wollen, welches Medikament in welcher Kadenz welchen Patienten abgegeben wird. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass Hersteller zum Beispiel Zugriff auf Verkaufszahlen per Apotheke oder Patienteninformationen erlangen können. Deshalb hat jeder Akteur in der Herstell- und Distributionskette nur Zugriff auf die Daten, die er auch selber generiert hat.

Einer Behörde ist der Zugriff auf die Daten erlaubt, etwa um die Sicherheit neu eingeführter Arzneimittel zu überprüfen oder Rückrufaktionen zu veranlassen (Pharmakovigilanz oder Qualitätsprobleme). «Dies bietet eine zusätzliche Möglichkeit der Rückverfolgbarkeit – quasi auf Knopfdruck», so Drechsle. Nebst dem Maximum an Sicherheit in der Supply Chain könnten auch weitere Anwendungen Nutzen stiften: «Es ist Zukunftsmusik. Aber mithilfe einer Smartphone-App könnte man eines Tages über einen 2D-Code auch Empfehlungen zur Dosierung und Häufigkeit der Einnahme einer Arznei herauslesen – ergänzend zum Beipackzettel.»

Manuel Fischer

Sicherheit in der Pharma-Supply-Chain
(mf) Im Kampf gegen die Produktpiraterie in der Pharmabranche zeichnet sich ein globaler Trend ab. Immer mehr Staaten sehen in der Serialisierung von Medikamentenpackungen die adäquate Strategie, um der immer mehr um sich greifenden Seuche der Produktpiraterie entgegenzuwirken. Dabei haben die Behörden in erster Linie die Integrität pharmazeutischer Lieferketten im Blickfeld. Möglichst hohe Hürden sollen das Einschleusen von gefälschten Arzneimitteln in reguläre Absatzkanäle verunmöglichen. Länder wie Argentinien, Brasilien, Südkorea, Indien, die Türkei oder die USA haben Gesetze erlassen, um die Sicherheitslücken in der Distribution von Pharmaprodukten zu beseitigen. Am weitesten in der Umsetzung war bislang die Türkei, die in der Serialisierung auch ein Mittel gegen Betrug bei Rückerstattungen aus staatlichen Kassen sieht. Seit Juli 2010 setzt das türkische Gesundheitsministerium die GS1 DataMatrix-Symbologie und eine zentralisierte Datenbank ein, zwei elementare Instrumente der Serialisierung.

EU fordert zusätzlich manipulationssichere Verschlüsse
Auch die Europäische Union stellte bereits mit der Richtlinie 2011/62/EU die Weichen für ein ähnliches regulatorisches Vorhaben. Die Richtlinie verpflichtete die Europäische Kommission, mittels einer Studie praktikable Lösungsansätze für das Anbringen von Sicherheitsmerkmalen bei verschreibungspflichtigen Medikamenten vorzuschlagen. Am 9. Februar 2016 veröffentlichte die Kommission die sogenannte «Delegierte Rechtsakte» in der finalen Fassung (EU) 2016/161; bis Februar 2019 soll die Umsetzung geschehen (Belgien, Italien und Griechenland haben eine sechsjährige Implementierungsfrist). Sie enthält folgende Leitplanken:

_Die Arzneipackungen sollen als hervorstechendes Merkmal einen 2D-DataMatrix aufweisen. Folgende Eigenschaften sind darin verschlüsselt und über einen Scanner decodierbar: der Produktname, der Produktcode (Artikelnummer), die Chargennummer, das Verfalldatum und eine nach dem Zufallsprinzip vergebene Seriennummer. Je nach EU-Mitgliedsstaat darf der 2D-Data- Matrix weitere Attribute aufweisen, so etwa eine Kostenrückerstattungsnummer, wie es einige nationale Gesundheitssysteme verlangen.
_Die Elemente Produktcode, Seriennummer und – falls nötig – Kostenrückerstattungsnummer sind in einem «von Menschen lesbaren Format» als Folge von Ziffern und Buchstaben zusätzlich gut lesbar anzubringen.
_Zusätzlich müssen die Verpackungen über manipulationssichere Verschlüsse verfügen, beispielsweise eine Versiegelung, dank der die Unversehrtheit des Inhalts auf Sicht überprüft werden kann.
_Ein Datenspeicher- und Abrufsystem verwaltet die Informationen zu den Sicherheitsmerkmalen. Das System besteht aus einem zentralen EU-Hub, Datenspeichern für das Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedsstaates oder für das Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedsstaaten. Diese sind mit dem Hub verbunden. Vom Check-in des Arzneimittels (auf der Produktionslinie) bis zum Check-out (Abgabe an den Patienten) vergeht eine Frist von maximal sechs Jahren. Währenddessen darf das System keinem andern Pharmaprodukt, das auf den EU-Binnenmarkt in den Vertriebskanal gelangt, dieselbe Kombination aus Produktcode und Serien- nummer zuteilen.
_Die Seriennummer aus mehr als 20 Ziffern und Buchstaben soll als Zufallszahl (aus einer mathematisch sehr grossen Menge an Kombinationsmöglichkeiten) direkt ab Produktionslinie vergeben werden. Die individuelle Seriennummer (pro Einheit) ist ein Element der maschinenlesbaren zweidimensionalen Datenmatrix auf der Etikette.

Der Grundgedanke dieses Sicherheitsmodells ist eine Art «Tunnellösung»: Die einzigartige Identität und der Schutz vor Manipulation des Produkts ist während des Durchlaufs durch die Wertschöpfungskette von der Verpackungslinie bis zur Abgabe an einer autorisierten Stelle (z.B. Apotheke) gewährleistet, wo das Sicherheitsmerkmal (Seriennummer) per Meldung an den EU-Hub zu deaktivieren ist. Der Güterfluss der Einzelpackungen direkt ab Linie über Grossisten bis zur Apotheke geschieht in der «regulären» Pharma-Supply-Chain. Die grossen logistischen Einheiten (wie Palett-Ladungen, Umverpackungen usw.) wurden von der Serialisierung ausgenommen.

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