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Verborgene Schätze

Binäre DatenmatrixPricewaterhouseCoopers hat vor sechs Jahren eine internationale Studie zum Thema Stammdatenmanagement veröffentlicht. Das Thema wird ernst genommen, dennoch tauchen in den Geschäftsprozessen immer wieder Fehler und Inkonsistenzen auf. Wir haben nachgefragt, wie sich der Umgang mit Stammdaten verändert hat.

Stammdaten sind ein zentrales Thema und gewinnen an Wichtigkeit und Wert für jedes Unternehmen. Die Integration in bestehende Unternehmensprozesse und eine neue Strategie im Umgang mit Stammdaten sind der Schlüssel für mehr Effizienz und damit ein wichtiger Bestandteil jeder erfolgreichen Unternehmensstrategie.

Von der Kür zur Pflicht
Bereits vor einigen Jahren hat sich die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers intensiv mit dem Thema beschäftigt. In einer Studie wurden 49 Experten, meist CIOs aus dem Mittelstand und Konzernen der verschiedensten Branchen, befragt. Ein Blick auf die Studie heute zeigt, wie die Unternehmen in der Zwischenzeit agiert und welche Thesen aus der Studie gegriffen haben. Die komplexe Aufgabenstellung beinhaltet einfach gesprochen die Synchronisation aller Daten eines Unternehmens in einem übergreifenden Prozess. Master Data Management beschreibt den Königsweg, wenn es um den korrekten und zeitgemässen Umgang mit Stammdaten geht, und soll vor allem die Konsistenz, Vollständigkeit und Aktualität aller Daten sicherstellen.

Schwachstelle: Aktualität und Qualität
MDM ist meist eine Top-down-Entscheidung, denn die Aufgabenstellung berührt übergreifend verschiedenste Unternehmensteile und betreibt eine einschneidende Transformation im Handling von Datensätzen. Daten, die bis dato einer einzelnen Domäne, zum Beispiel Lieferanten- oder Materialdaten, Kunden- oder auch Personaldaten, zugeordnet wurden, werden nun einer Genauigkeit und Datendisziplin eine neue Priorität. 78 Prozent der befragten CIOs sehen mangelnde Vollständigkeit und 83 Prozent mangelnde Aktualität in ihren Datenbeständen als gegebenes Problem. Dezentral organisierte Unternehmen bewerten die Qualität ihrer Kundendaten als Beispiel mit 3,9 (Skala von 1 sehr gut bis 5 mangelhaft) schlechter als Unternehmen, die bereits eine zentrale Data Governance eingeführt haben. Bei zentral organisiertem MDM liegt der Wert mit 1,8 in einem erheblich besseren Bereich. Das Ziel ist höhere Prozesseffizienz und damit geringere Kosten. Wie dies heute erreicht und bewertet werden kann, haben wir gut sechs Jahre nach Publikation der zentralen MDM-Studie «Verborgene Schätze» Jan Stüben, Senior Manager bei Pricewaterhouse- Coopers, gefragt und einen aktuellen Blick auf den Status quo erhalten.

GS1 network: Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung für Unternehmen bei der Etablierung von Stammdatenprozessen oder auch MDM?
Jan Stüben: Die grösste Herausforderung für die Etablierung eines Master Data Managements oder Master Data Governance Framework besteht darin, ein echtes Bewusstsein über die Notwendigkeit dafür auf allen Ebenen im Unternehmen zu schaffen. Die wichtigste Ebene dabei ist das Top- Management, hier muss auch die Sponsorenschaft für jede MDM-Initiative angesiedelt werden. Dies ist aus zwei Gründen wichtig: Zum einen greifen alle MDM-Initiativen über Organisations-, Bereichs-, Prozess- und Systemgrenzen hinweg und damit befindet sich das Thema in einem sehr widerstandsfähigen politischen Umfeld, was viele MDM-Initiativen behindert, blockiert oder sogar scheitern lässt. Zum anderen bedeutet das Thema Stammdatenqualität in den meisten Fällen erst einmal eine Investition. Die RoI-Perspektive ist eher mittelfristiger Natur. Dies führt bei kurzfristig operierenden Unternehmen und deren Top-Entscheidern dazu, dass solche MDM-Initiativen viel schwieriger zu vermitteln sind.

Welchen unterschiedlichen Einstellungen begegnen Sie bei Ihrer Arbeit?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir bei Familienunternehmen mit langfristigen Zielen das Thema einfacher planen und umsetzen konnten. Bemerkenswert ist immer wieder, dass überhaupt der Wert von Daten und Datenqualität dem Top-Management transparent gemacht werden muss. Während mittlerweile in jedem produzierenden Unternehmen Methoden wie TQM, Six Sigma zur Sicherstellung von Produktqualität selbstverständlich sind und massiv Wettbewerbsvorteile sichern, ist dies bei der Datenqualität noch lange nicht der Fall. Hier herrscht oftmals die Vorstellung, dass Datenqualität von alleine entsteht. Jeder, der ein oder mehrere Smartphones oder Notebooks mit einem oder mehreren Telefonbüchern nutzt, weiss jedoch, dass Datenqualität eben nicht von selbst entsteht. Daher steht am Anfang jeder MDM-Initiative ein Top-Sponsor, der sich über die Relevanz bewusst und auch bereit ist, Investments zu tätigen, auch unbequeme Fragen zu stellen und Entscheidungen zu treffen.

Welche zentrale Handlungsempfehlung können Sie aus Ihren MDM-Projekten ableiten?
Die wichtigste Basis für jedes Master- Data-Management-Projekt bildet das Commitment des Top-Managements.

Wie und wo würden Sie das Thema MDM dann ansiedeln?
Viele Unternehmen verstehen MDM als ein technisches Thema. Wir starten den Dialog mit unseren Mandanten gerne mit der Frage: «Wer ist bei Ihnen für die Daten und die Datenqualität verantwortlich?» Lautet die Antwort «das ist die IT!», dann wissen wir, es gibt noch viel zu tun. Daten entstehen permanent entlang der Wertschöpfungskette und unterliegen kontinuierlicher Veränderung. Die IT speichert die Daten, das Know-how und die Verantwortung für Datenqualität liegen aber in den jeweiligen Fachbereichen. Darin besteht in der Regel auch gleich die Schwierigkeit, denn in den meisten Fällen können Datendomänen wie Kunde oder Produkt nicht eindeutig einem Fachbereich zugeordnet werden. Hier kommt dann wieder das Top-Management ins Spiel, wenn es gilt, diese Entscheidung zu treffen. Nur eine klare Verantwortung schafft das Fundament aller folgenden Aktivitäten. Daraus leitet sich auch ab, dass es zu der Verantwortung eine am Unternehmen ausgerichtete Organisationseinheit mit Prozessen und Regelwerken geben muss, die die Prozesse der Datenentstehung, der Datenpflege und des Datenqualitätsmanagements steuert. Dies muss ebenso selbstverständlich sein, wie es heute bereits Bereiche und Abteilungen für die Produktqualität gibt. Dann erst kommt die Technik ins Spiel. Die etablierten Softwareanbieter im MDM-Markt können ihre Leistungsmerkmale erst entfalten, wenn dieser Rahmen gesteckt und etabliert ist!

Wie eröffnen Sie mit Ihren Klienten im Idealfall ein MDM-Projekt?
Nichts frustriert ein Top-Management mehr als eine Projektanfrage mit der Kernaussage «…zwei Jahre Analyse aller Stammdatendomänen mit den zugehörigen Prozessen und Qualitätsmängeln… »; als sehr hilfreich hat sich erwiesen, mit einfachen und in der Regel im Fachbereich wohlbekannten Beispielen und Problemen zu arbeiten und dann für eine oder zwei Datendomänen ein sogenanntes Rapid Assessment zu machen, um die notwendige Transparenz zu schaffen. Auf dieser Basis sollte dann in einem nächsten Schritt eine Roadmap entwickelt werden, um die MDM-Initiative in überschaubare Arbeitspakete aufzuteilen. Wir sprechen daher von einer Initiative, denn anders als bei einem normalen Projekt wird diese nicht enden, sondern muss Schritt für Schritt Bestandteil des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses werden.

Gibt es zwischenzeitlich eine allgemeine Best Practice für MDM?
Es gibt bei MDM-Initiativen nicht den einen Best-Practice-Ansatz. Vielmehr gibt es aber eine Menge sehr unternehmensindividueller Ansätze, von denen gelernt werden kann. So macht es beispielsweise wenig Sinn, in einem Unternehmen mit dezentralen oder regionalen Verantwortlichkeiten für Produktdaten eine zentrale Stammdatenpflege einzuführen. Hier ist vielmehr eine ausgewogene Mischung aus zentraler Governance und dezentraler Verantwortung zu definieren. Ferner muss sich eine MDM-Initiative immer streng an der Unternehmensstrategie orientieren. Wenn zum Beispiel ein Lebensmittelhandelsunternehmen plant, einen Onlinevertrieb zu starten, erweitert dies die Anforderungen an Artikeldaten massiv. Dies sollte mit erster Priorität verfolgt werden, was leider in der Praxis nicht immer selbstverständlich ist. Gleiches gilt bei einer geplanten Expansion in andere Länder oder Investitionen in neue Produktkategorien. Am Ende steht eine an der Unternehmens-DNA ausgerichtete lernende MDM-Organisation.

Messbarkeit erscheint als ein zentraler Bestandteil eines jeden Data Managements. Wie ist dies zu verstehen?
«What you can measure, you can manage!» Dies gilt beim Thema MDM genauso wie bei allen anderen Unternehmensfragestellungen. Dabei fokussieren wir von Anfang an aus zwei Blickwinkeln. Zum einen sollte frühzeitig begonnen werden, Key Performance Indicators für die Datenqualität zu entwickeln. Hier gilt, es einfach zu halten. Eine Anzahl von Dubletten oder Füllständen zu erheben, ist kein Hexenwerk. Die KPI-Definition kann dann im weiteren Verlauf verfeinert werden. Auch Auswirkungen von Fehlern bis hin zum Profit & Loss-Impact können erhoben werden. Der andere Blickwinkel ist noch wichtiger: Es gilt, von Anfang an die Verantwortlichen für Datenqualität am Erfolg der Initiative zu beteiligen. Schreiben Sie die KPI in die Zielvereinbarung der Abteilungsleiter, formulieren Sie erreichbare Ziele nach der SMARTFormel – spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminierbar – und Sie werden sich wundern, welche Dynamik das Thema entwickelt und wie vorherige Widerstände plötzlich spurlos verschwinden.

Mit welcher Hauptprämisse sollten Unternehmen in die Umsetzung eines MDM-Projekts gehen?
Aus unserer Sicht ist es erforderlich, sich zu Beginn Klarheit darüber zu verschaffen, wer alles an dem Datenmanagementprozess entlang der Wertschöpfungskette beteiligt ist und wer durch Mängel betroffen ist. Oftmals ist es Mitarbeitenden gar nicht bewusst, was Dubletten weiter hinten in der Wertschöpfungskette anrichten. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist der fünffache Versand von E-Mails oder Katalogen im Onlinehandel an ein und denselben Kunden. In der heutigen Zeit verlieren Unternehmen durch falsches oder wenig spezifisches Marketing so leicht Kunden, was einen enormen Wertverlust darstellt. Je mehr Transparenz über die Auswirkungen bei allen Beteiligten geschaffen wird, desto grösser wird das Engagement und mündet zwangsläufig in der Aufnahme in die Unternehmens-DNA. Daher gilt es auch, die Betroffenen so früh wie möglich einzubinden und kontinuierlich über den Verlauf zu informieren.

Wie beurteilen Sie rückblickend auf Ihre Studie die Situation rund um den Themenkreis MDM heute?
Erfreulicherweise hat sich in den letzten fünf Jahren recht viel getan: Herausforderungen wie der Onlinehandel, regulatorische Anforderungen wie die Lebensmittelinformationsverordnung und nicht zuletzt die geänderten Kundenprioritäten betreffend Bio, regional, aber auch Schadstoffe in Kosmetika haben die Anforderungen an Datenqualität und Datenmanagement massiv erhöht. Dies wirkt sich natürlich unmittelbar auf die Unternehmen aus. Dennoch stehen viele Unternehmen am Anfang der MDM-Journey und haben noch einiges zu tun. So kämpfen viele Firmen mit den üblichen «Altlasten »,wie isolierte Prozesse und Systeme, menschlichen Widerständen oder politischen Interessen. Start-ups haben es in dieser Hinsicht viel leichter. Darin liegt aber auch eine besondere Gefahr, denn wer in Zukunft nicht Transparenz über seine Daten hat und unmittelbar auskunftsfähig ist, riskiert unter anderem Marken- oder Reputationsschäden und deren Folgen. Datenqualität und eine MDM-Initiative sind notwendige Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit aller Unternehmen!

Arthur Wetzel

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