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Mit «walk and talk» zu hoher Stammdatenqualität

KnieimplantatSinnvolle Stammdaten, automatischer Datenaustausch, weniger Fehler: Die Reorganisation des Stammdatenmanagements bei der Medizintechnikfirma Mathys hat sich gelohnt.

«Stammdaten haben in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen », sagt Stephan Zurbuchen, Head Supply Chain Management bei der Mathys AG Bettlach. Mit einer Neuorganisation des Stammdatenmanagements wurde die Fehlerquote stark gesenkt und die internen Verarbeitungszeiten wurden reduziert. Das Medizintechnikunternehmen befindet sich im Familienbesitz, hat drei Produktionsstandorte in der Schweiz und Deutschland, weltweit zwölf Tochterfirmen und beschäftigt über 550 Mitarbeitende.

Umfangreiche Stammdaten
Stammdaten haben für Mathys grosse Bedeutung: Das gilt sowohl für Produktionsvorgänge als auch wegen regulatorischer Anforderungen. Die Rückverfolgbarkeit und der Nachweis, wie etwas produziert wurde, stehen im Vordergrund. Heute ist eine Rückverfolgung vom Patienten bis zum Rohmaterial – Mathys stellt unter anderem künstliche Hüftgelenke her – möglich. Die Stammdaten des Unternehmens sind umfangreich. Sie beinhalten den Entwurf des Produkts ebenso wie Herstellungsangaben und spielen auch bei Auslieferung und Verkaufssteuerung mit. In den Stammdaten wird erfasst, für welche Länder eine Vertriebszulassung vorliegt und für welche nicht. Auch wenn eine behördliche Zulassung vorliegt, werden manche Artikel in einem Land aus strategischen Gründen nicht vertrieben. Das ist ebenfalls in den Stammdaten hinterlegt.

System führt Benutzer zu richtigen Eingaben
Seit vier Jahren arbeitet Zurbuchen bei Mathys, seit dreieinhalb Jahren verantwortet er die Stammdaten. Zusammen mit zwei Mitarbeitenden hat er das neue Stammdatenmanagement aufgebaut und entwickelt es stetig weiter. «Wir haben die Prozesse schlank aufgebaut und lassen uns vom System führen, damit wir es zu dritt erledigen können», sagt er. Der Anstoss zur Neuorganisation der Stammdaten kam zum einen aus dem Unternehmen heraus, zum anderen aber auch von Kundenseite. Immer mehr Kunden wünschten sich Daten, mit denen sie ihre Prozesse vollelektronisch laufen lassen konnten. Somit startete Mathys das Projekt im Juni 2015. In den folgenden sechs Monaten wurde mit jeder beteiligten Abteilung definiert, welche Anforderungen sie an die Stammdaten hat. Dabei wurden einerseits die benötigten Datenfelder festgelegt, andererseits auch die abzuarbeitenden Prozessschritte bei der Datenerfassung. Auf dieser Basis wurden die Laufwege der Datenerfassung definiert. Laut Zurbuchen erforderte es eine gewisse Zeit, die Vielfalt der Anforderungen in eine transparente Struktur zu bringen. Die Durchgängigkeit der Prozesse konnte erst durch diese übergeordnete Optik, die auch über das eigene Unternehmen hinausreichte, gewährleistet werden. Anschliessend entstand auf dieser Basis ein Testsystem, das nach weiteren sechs Monaten in den operativen Betrieb übergeführt wurde. Rund 170 Attribute hat die Erfassungsmaske, je nach Artikel ist eine variable Zahl zu befüllen. Der starke Einsatz von Dropdown- Menüs soll Falscheingaben verhindern. Sechs Monate später erhielt der Eingabeprozess eine dynamische Steuerung. Das System entscheidet aufgrund weniger initialer, aber auch aufgrund laufender Eingaben, welchen weiteren Weg das Datenset im Unternehmen nimmt. So erfolgen nur dort Eingaben, wo dies tatsächlich nötig ist.

Scharfe Kontrolle vor dem zentralen Datenpool
Besonders auffällig ist die starke Reduzierung der Nutzungsrechte. Früher hatten rund 180 User Vollzugriff auf die Stammdaten. Sie konnten alle Felder sehen und schrieben direkt in den zentralen Datenpool. Man konnte Felder zudem einfach leer lassen. Heute haben rund 90 Personen reine Schreibrechte zum Eröffnen eines Artikels und 80 Personen können Daten mutieren. Ihre Eingaben gehen aber nicht mehr direkt in den Datenpool. Jede Abteilung sieht zudem nur die Felder, für deren Ausfüllen sie zuständig ist. Zurbuchen und sein Team kontrollieren nach allen Eingaben die Qualität der erfassten Stammdaten. So wird beispielsweise ein Punkt oder anderes Zeichen in einem für Zahlen vorgesehenen Feld nicht akzeptiert. Erst wenn die Datenerfassung vollständig ist und geprüft wurde, erfolgt die offizielle Freigabe der Daten. Sollen neue Spezifikationen in einem Feld dargestellt werden, ist ein Antrag notwendig, bevor diese freigeschaltet werden.

Change Management mit grossem Einsatz
Mathys nutzt durchgängig Identifikationselemente von GS1. Aus dem firmeneigenen Datenpool werden die Daten an einen GS1-zertifizierten externen Datenpoolbetreiber (Contentis) geliefert, der sie individuell formatiert und per GDSN an andere Datenpools wie UDI, PEPPOL oder EUDAMED sowie direkt an Kunden weiterreicht. Mathys wählte den externen Datenpoolbetreiber, weil er die Datensätze für jeden Kunden im Wunschformat ausliefern kann. Ausserdem unterstützt Stepcom das E-Procurement, dessen Bedeutung zunimmt. In England beispielsweise treibt die Gesundheitsbehörde NHS den elektronischen Datenaustausch und das E-Procurement massiv voran. In naher Zukunft dürfen öffentliche Spitäler nur noch mit Lieferanten zusammenarbeiten, welche diese Anforderungen erfüllen. Das Change Management rund um die Neuorganisation der Stammdaten erfolgte vor allem durch das grosse persönliche Engagement von Zurbuchen. Neben einigen grösseren Präsentationen war es rund ein Jahr intensiver «walk and talk», wie er sagt. Er sprach viel über die ganz alltäglichen Vorteile des neuen Systems, da die Umstellung teilweise als Eingriff in die bisherige Autonomie im Umgang mit den Stammdaten gesehen wurde.

Schnellere Abläufe, weniger Rückfragen
Die Leistungen des neuen Stammdatensystems sind ansprechend: «Wir haben bisher sehr gute Erfahrungen gemacht», resümiert Zurbuchen. Die Fehlerrate ist massiv gesunken. In den einzelnen Abteilungen von Mathys hat sich der stammdatenbezogene Workflow deutlich beschleunigt. Zudem gibt es kaum mehr zeitraubende und den Workflow bremsende Rückfragen zwischen Abteilungen. Für Produktzulassungen nötige Datensätze können immer öfter auf Knopfdruck abgerufen werden. Im Hinblick auf die einfache Integration von Informationen, die für Registrierungen und/oder Zulassungen nötig sind, laufen derzeit Anpassungen und Optimierungsprojekte. Besonders wertvoll für die Aussenwahrnehmung des Unternehmens ist die mit Zurbuchens Team eingebaute Datenkontrolle: Sind falsche Daten erst einmal im Markt, sind Korrekturen schwierig und die Reputation des Unternehmens nimmt sogleich Schaden. Insgesamt bewertet Zurbuchen das neue Stammdatenmanagement in erster Linie weniger als wertschöpfenden Prozess, sondern vielmehr als eine Verbesserung betrieblicher Grundlagen mit starker Innen- und Aussenwirkung. In Zukunft stehen folgende Themen auf seiner Agenda:

  • • Steuerung des Stammdatenaustauschs: Hier geht es um die Vergabe und Steuerung von Zugriffsberechtigungen für den Datenbezug durch Kunden. Mathys möchte den Datenaustausch sowohl auf Kunden- wie auch auf Landesebene möglichst einfach steuern können. Dabei gilt es Contentis miteinzubeziehen. Externe Partner für erste Pilotversuche im Bereich Stammdatenaustausch wurden bereits gefunden.
  • • E-Procurement: England und Frankreich stehen ganz oben auf dem Roll-out-Plan für das E-Procurement- Projekt. Zurzeit laufen erste Tests. Mit der Unterstützung von Stepcom soll das Prinzip anschliessend auf alle 12 Tochtergesellschaften ausgeweitet werden.
  • • Unternehmensübergreifender Stammdatenaustausch: Zurbuchen beobachtet über sein Unternehmen hinaus einen vorhandenen Willen zum Datenaustausch auf Basis gemeinsamer Standards. Viele Entscheidungsträger teilen diese Vision, weil die Relevanz des Stammdatenaustauschs zunimmt.

Wenn es um die Umsetzung geht, bremst man sich aber immer mal wieder gegenseitig aus. Das geschieht beim Festlegen des Standards für die auszutauschenden Informationen oder schon bei der Frage, wer denn jetzt den ersten Schritt macht. Grundsätzlich ist aber die Bereitschaft für eine Kooperation in diesem Bereich gestiegen und Anbindungen für den Austausch erfolgen schneller als früher.

Alexander Saheb

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