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Medizinprodukte identifizieren und auszeichnen

Die Europäische Union (EU) verschärft seit 2017 mit der Medical Device Regulation (MDR) die Richtlinien und Kontrollmechanismen für Medizinprodukte und fordert deren lückenlose Rückverfolgbarkeit. Mithilfe des GS1 Systems lässt sich diese Forderung erfüllen und der Datenaustausch zwischen Partnern der Lieferkette erleichtern. 

Mit Medizinprodukten wird eine breite Palette von Objekten bezeichnet, die zu medizinisch-therapeutischen oder diagnostischen Zwecken an Menschen verwendet werden, wobei die Hauptwirkung im Unterschied zu Arzneimitteln nicht pharmakologisch, sondern physikalisch erfolgt.

Fakten, Fristen, Verordnungen
Verschiedene Vorkommnisse mit Medizinprodukten – zum Beispiel aus nicht konformem Silikon hergestellte Brustimplantate – liessen Zweifel am bisherigen Kontrollsystem aufkommen. Die Europäische Kommission stellte deshalb 2012 Entwürfe für zwei Verordnungen über Medizinprodukte und Invitro- Diagnostika vor. Nach gründlichen Verhandlungen haben der Rat der EU am 7. März 2017 und das europäische Parlament am 5. April 2017 die beiden Verordnungen verabschiedet. Für Hersteller, Händler und Importeure von Medizinprodukten hat die am 5. Mai 2017 veröffentlichte Verordnung (EU) 2017/745 zur Reglementierung von Medizinprodukten, kurz Medical Device Regulation (MDR) genannt, weitreichende Konsequenzen. Auch in der Schweiz. Denn die Schweiz ist über das Abkommen (Schweiz-EU) über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen in die europäische Marktüberwachung eingebunden. Sie ist verpflichtet, ihre gesetzlichen Grundlagen für Medizinprodukte an diejenigen der EU anzupassen. Das Gesetzeswerk umfasst 175 Seiten.

GS1 Standards erfüllen die MDR- Anforderungen
Die MDR verlangt von den Herstellern die Kennzeichnung von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika. Mithilfe der Unique Device Identification (UDI) erhalten Medizinprodukte eine eindeutige Identifikation, was eine durchgängige Transparenz und Rückverfolgbarkeit in der gesundheitlichen Versorgungskette ermöglicht. Dank einer Reihe von Identifikationsschlüsseln, die Produkte, Dienstleistungen und Objekte eindeutig identifizieren, erfüllt das GS1 System die MDR-Anforderungen vollständig. Bei Medizinprodukten wird nach Semantik der UDI jeder Artikel mit einem Device Identifier (DI) gekennzeichnet. Im GS1 System entspricht dem DI die Global Trade Item Number (GTIN). Die GTIN setzt sich aus der GS1 Basisnummer, einer vom Unternehmen erteilten Artikelnummer und einer automatisch generierten Prüfziffer zusammen. Mit dem GS1 Application Identifier Standard (AI) werden variable Daten wie Chargennummer (AI 10), Verfalldatum (AI 17) oder Seriennummer (AI 21) dargestellt.

Zuteilen der Produktidentifikation
Artikel 27 der MDR schreibt eine eindeutige Produktidentifikation vor, wobei zwischen Produktkennzeichnung und Herstellungskennung unterschieden wird. Die Forderung nach der UDIProduktkennzeichnung (UDI-DI) kann mithilfe der GTIN aus dem GS1 System umgesetzt werden. Um eine vollständige und fehlerlose Rückverfolgung zu ermöglichen, hat GS1 aufgrund der komplexen Bedürfnisse der Gesundheitsindustrie spezielle Vergaberegeln definiert und veröffentlicht. Ändert sich eine wichtige Produkteigenschaft, wird eine neue GTIN vergeben. Und so sieht’s in der Praxis aus: Für Medizinprodukte wird je nach Standort in der Supply Chain mit unterschiedlichen Packungsgrössen gearbeitet. So gelangt beispielsweise Verbrauchsmaterial wie Katheter in einer Karton- Umverpackung à sechs Schachteln in die Spitalapotheke (Tertiärverpackung). Auf dem Stationszimmer werden einzelne Schachteln à 10 Katheter aufbewahrt (Sekundärverpackung). Am Krankenbett oder im Operationssaal wird die sterile Einzelpackung (mit einem Katheter) geöffnet (Primärverpackung). Jeder Verpackungsgrösse wird eine andere GTIN zugeteilt. Zudem wird eine eindeutige Herstellungskennung gefordert, die UDI-PI: Aus welcher Charge stammt das Produkt? Wann wurde es hergestellt? Welches Verfallsdatum hat es? Wie lautet die Seriennummer, wenn eine solche vorgesehen ist? Solche variablen Daten lassen sich mithilfe des GS1 Application Identifier Standard (AI) der Artikelnummer hinzufügen.

Datenträger und Produkte
Zur automatisierten Erfassung des Warenflusses entlang der Supply Chain dienen die GS1 Datenträger. Ein Unternehmen, das Medizinprodukte in den Verkehr bringt, verwendet je nach Verpackungsstufe geeignete Datenträger, mit denen es das Produkt als solches wie auch die erforderlichen Informationen zu dessen Herstellung eindeutig in menschen- und maschinenlesbarer Form kennzeichnet. Um beide Anforderungen zu erfüllen, sind Datenträger auszuwählen, die den GS1 Application Identifier Standard darstellen können. Abgebildet werden die Informationen in eigens dafür zugelassenen Datenträgern wie dem GS1-128 Barcode oder dem GS1 DataMatrix. Letzterer eignet sich besonders für die Kennzeichnung von sehr kleinen Einheiten im Gesundheitswesen, aber auch zur Direktkennzeichnung (Direct Part Marking) von chirurgischen Instrumenten. Die vorangestellten Application Identifiers sind notwendig, damit die codierten Merkmale eindeutig interpretiert werden können.

Zentrale Produktdaten
Das volle Potenzial der Unique Device Identification kann erst ausgeschöpft werden, wenn die Hersteller die Daten ihrer Medizinprodukte in die Eudamed- Datenbank übertragen haben und die Produkte eindeutig identifiziert sowie menschen- und maschinenlesbar ausgezeichnet sind. Durch diese Massnahmen werden beispielsweise die Durchführung von Rückrufen und das Melden von Vorkommnissen erheblich erleichtert, was zur Verbesserung der Patientensicherheit beiträgt. Die Eingabe kann manuell über einen Onlinezugang erfolgen. Vertreibt das Unternehmen eine Vielzahl von Produkten, empfiehlt sich die Nutzung einer Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, wie zum Beispiel des Global Data Synchronisation Network (GDSN). Das weltweite Netzwerk zertifizierter Datenpools bietet Herstellern die Möglichkeit, allen Datennutzern ihre UDIDaten über eine einzige Verbindung zur Verfügung zu stellen, und gewährleistet, dass die ausgetauschten Daten dem GS1 Standard entsprechen. Zertifizierte GDSN-Datenpools werden entsprechende Dienstleistungen anbieten, um die Eudamed-Datenbank zu befüllen.

Joachim Heldt

 

Umsetzungsfahrplan
Für rund 20 000 europäische Medizinproduktehersteller besteht Handlungsbedarf. Entsprechen Implantate, OP-Besteck und Co. anschliessend nicht den regulatorischen Anforderungen, dürfen sie nicht in den Markt eingeführt werden. Artikel 123 f der Medical Device Regulation (MDR) sieht eine gestaffelte Dringlichkeit der Kennzeichnung von Medizinprodukten vor, wie sie grundsätzlich in Artikel 27 Absatz 4 vorgeschrieben ist. Dabei sind die Klassifizierungsregeln in Anhang VIII der MDR zu beachten: Für implantierbare Produkte und Produkte der Klasse III ist der 26. Mai 2021 das verbindliche Datum, für Produkte der Klassen IIa und IIb ist es der 26. Mai 2023, für Produkte der Klasse I gilt der 26. Mai 2025.

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