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Postdrohne fliegt dem Stau davon

Postdrohne fliegt dem Stau davonDrohne statt Taxi – diese Lösung hat der Schweizerischen Post den Swiss Logistics Award 2017 eingebracht und dem Tessiner Spitalverbund EOC einen massiv verbesserten Logistikprozess mit hochsensiblen Blutproben.

Sie fliegt jenseits aller Staus: Eine Drohne der Schweizerischen Post transportiert in Lugano Blutproben zwischen zwei Spitälern. Sie ist massiv schneller und günstiger als das bisher genutzte Transportmittel Taxi. Die Post hat für das Projekt «Drohnen im Einsatz für die Gesundheit. Autonome Transportdrohnen der Post und ihr Nutzen für den Spitalverbund EOC» den Swiss Logistics Award (SLA) 2017 erhalten, mit dem GS1 Schweiz alljährlich zukunftsweisende Logistikleistungen auszeichnet.

Für die Jury des SLA war rasch klar, dass man hier ein Flagship-Projekt mit richtungsweisendem Charakter vor sich hatte. Nicht nur, weil dafür die bisher weltweit einzige Bewilligung für Drohnenflüge über besiedeltem Gebiet vergeben wurde. Sondern weil die Drohne im innerstädtischen Gebiet ganz neue Verkehrswege öffnet. «Mit den traditionellen Verkehrsmitteln stossen wir langsam, aber sicher an die Grenzen des Machbaren im Strassen- und Schienenverkehr», betont Hans Rudolf Hauri, Präsident der SLA-Jury. Für den Transport spezieller Güter in die dritte Dimension auszuweichen, sei konsequent innovativ. Ausserdem war sich die Jury einig, dass der Einsatz von Drohnen vor dem Hintergrund von Zentralisierung und dem voranschreitenden Zusammenschluss von Spitälern zu Verbünden dazu beitragen kann, den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen zu entschärfen.

Selbstständig durch die Stadtluft
In Lugano wurde bisher rund 250 Mal pro Monat ein Taxi gerufen, um Blutproben vom Ospedale Italiano im unteren Teil der Stadt ins Ospedale Civico im oberen Teil der Stadt zu bringen – in 30 Minuten und mitten durchs Stadtzentrum. Aber im Ospedale Civico kann das Labor umfangreichere Analysen ausführen und ist länger besetzt. Die Ärzte im Ospedale Italiano möchten die Analyseergebnisse möglichst rasch erhalten. Die Spitäler gehören beide zum Spitalverbund EOC, der mehrere öffentliche Spitäler umfasst und im Tessin einen Marktanteil von rund 70 Prozent erreicht.

Vor diesem Hintergrund nahm der Spitalverbund mit der Post Kontakt auf, als die ersten Drohnentests in der Schweiz durchgeführt wurden. Die Abteilung «Autonomous Delivery» der Post priorisierte das Anliegen, weil es die On-demand-Logistik der Spitäler verbesserte. Die Spitäler erhielten Landeplätze und Ladestationen für die Drohnen. Wenn eine Blutprobenbox transportbereit ist, wird eine Drohne angefordert. Diese fliegt autonom und kann 40 Minuten in der Luft bleiben. Für die Navigation nutzt sie GPS oder das russische Pendant GLONASS. Die Kommunikation mit dem Steuerungscomputer erfolgt über das Mobilfunknetz oder eine redundante Satellitenverbindung.

Vor dem Start prüft die Drohne über angebundene Meteo-Systeme, ob die Wetterverhältnisse einen sicheren Flug erlauben. Die Software unterbindet Abflüge bei starken Winden oder Gewittern. Dann wird umgehend ein alternatives Transportmittel – in Lugano wie bisher ein Taxi – bestellt, ohne dass Spitalmitarbeitende sich darum kümmern. Falls im Flug wider Erwarten alle Sicherheitssysteme versagen, wird ein Fallschirm ausgelöst und die Drohne gleitet abgebremst nach unten, wobei ein akustisches Signal Personen am Boden warnt.

Schnell, direkt und sicher
Die nun vorgestellten Ergebnisse sind überzeugend: Mindestens 95 Prozent aller Transporte eines Jahres kann die Drohne erledigen. Sie ist jederzeit und sofort verfügbar, sonst wird eine alternative Transportart avisiert. Sie braucht 70 Prozent weniger Zeit als das Taxi. Es gibt ein Tracking der Sendung und keinen fremden Zugriff. Der gesamte Prozess ist hoch automatisiert und rund 80 Prozent günstiger als bisher.Das System kann einfach auf weitere Spitäler oder Laborstandorte erweitert werden. Die Drohne spart zudem Ressourcen. Während das Taxi 1,5 Tonnen Fahrgewicht hat, wiegt sie nur rund 10 Kilogramm.

Kaum wurde der Projekterfolg bekannt, war das Interesse gross: «Nach dem erfolgreichen Start der Drohnenverbindung in Lugano wurden wir von Anfragen für weitere Drohnenrouten regelrecht überrannt», heisst es in den Bewerbungsunterlagen für den SLA. Mittlerweile sind Drohnennetzwerke in verschiedenen Schweizer Städten geplant. Die Drohne spart Zeit und erhöht die Verfügbarkeit des Transports. Blutprobentransporte sind nur die Spitze des Eisbergs und ein skalierbarer Business Case. Weitere konkrete Anfragen bestehen für pathologische Transporte, Medikamente, Blutkonserven, Ersatzteile und viele andere Anwendungen.

Alexander Saheb


«Wie das Auto um 1900 herum»
Die Kunden kommen jetzt von selbst: Janick Mischler und Andrea Marazzo leiten bei der Post den Bereich «Autonomous Delivery». Sie attestieren Drohnen viel Potenzial in der Speziallogistik.

GS1 network: Wie haben das Drohnenprojekt in Lugano und der Swiss Logistics Award Ihren Arbeitsalltag verändert?
Andrea Marazzo: Das Projekt in Lugano hat relativ hohe Wellen geworfen und uns einen grossen Vertrauensbonus gebracht. Vor den ersten Testflügen mussten wir proaktiv auf potenzielle Kunden zugehen. Seither kommen Kunden auf uns zu. Vor allem steht die Frage nach der Machbarkeit jetzt im Hintergrund, weil die Lösung in Lugano funktioniert. Unser Arbeitsalltag hat sich insofern verändert, als dass wir jetzt viele verschiedene Cases für Drohnen in der Pipeline haben und nicht mehr nur das eine Projekt.

Sind neue Drohnenlogistik-Projekte in der Pipeline?
Andrea Marazzo: Weitere Einsätze von Drohnen für Spezialanwendungen sind schon bald möglich. Welche Anwendungen umgesetzt werden, hängt von den Kundenbedürfnissen und den ersten Langzeiterfahrungen mit der Drohnenzustellung ab.

Welche strategische Rolle spielen Drohnen für die Post?
Janick Mischler: Drohnen ermöglichen eine neue Art der Ad-hoc-Logistik. Sie haben daher in der Logistik – und dort vor allem auf der letzten Meile – ein vielversprechendes Potenzial. Deshalb prüft die Post verschiedene Anwendungsmöglichkeiten für solche Geräte. In absehbarer Zeit wird der Einsatz von Drohnen aber nicht über ein Nischendasein hinausgehen. Drohnen eignen sich primär für den Transport von Spezialsendungen. Sie werden die traditionelle Paketzustellung ergänzen, jedoch nicht ersetzen.

Wird die Post in 20 Jahren mehr Lieferdrohnen haben als Postboten?
Andrea Marazzo: Die Post stellt jährlich fast 130 Millionen Pakete zu. Diese Leistung lässt sich nicht flächendeckend durch Drohnen ersetzen. Der Fokus von Lieferdrohnen liegt auf dringenden Spezialtransporten, insbesondere medizinischen Sendungen. Es ist nicht geplant, Pakete mit Drohnen auszuliefern.

Gibt es «natürliche Grenzen» der Drohnentechnologie im Transportbereich?
Janick Mischler: Es gibt regulatorische, technische und prozessuale Herausforderungen. So muss jede neue Flugroute behördlich bewilligt werden. Technisch haben Drohnen beschränkte Tragfähigkeit und müssen in den Luftraum integriert werden. Aus Prozesssicht gilt es die Drohnenlieferungen in bestehende Prozesse einzubinden. Wo ist beispielsweise der Landeplatz? Es ist schwierig vorherzusagen, wo genau die «natürlichen Grenzen» liegen. Ich denke, wir befinden uns mit den Lieferdrohnen in einem sehr frühen Stadium, ähnlich dem Auto um 1900. Wohin diese Entwicklung führt, ist kaum absehbar.

Die Fragen stellte Alexander Saheb.

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