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Die Abwarte der Autobahn

Die Abwarte der AutobahnSchnee räumen und Eisglätte bekämpfen, so sah jahrzehntelang der klassische Winterdienst auf den Schweizer Autobahnen aus. Vor einigen Jahren kam als drittes Element der präventive Winterdienst dazu. Dadurch hat nicht nur die Strassensicherheit zugenommen. Auch die Winterdienst-Equipen sind bei ihren meist nächtlichen Einsätzen weniger von Stress geplagt. Für die logistischen Hochleistungen zugunsten der Sicherheit auf den Nationalstrassen erhielt das zuständige Bundesamt für Strassen den Swiss Logistics Public Award 2017.

Was im Quartier oder am Ferienort für Winterstimmung sorgt, ist auf den Nationalstrassen tabu: Fällt Schnee, darf die weisse Pracht auf keinen Fall liegen bleiben. «Schwarzräumung» lautet die Devise, und dafür zuständig ist die Besitzerin der insgesamt 1900 Kilometer Autobahn, also die Schweizerische Eidgenossenschaft. Doch an der Mühlestrasse 2 im bernischen Ittigen, wo die Abteilung Strasseninfrastruktur des Bundes ihre Geschäftsräume hat, sind gerade einmal zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im dafür zuständigen Bereich «Betrieb» beschäftigt. Kommt dazu, dass die Abteilung auch noch für Grünpflege, Reinigung, Instandhaltung und die Strassensicherheit generell verantwortlich ist.

«Wir verwalten zwar ein Budget von jährlich 350 Millionen Franken», gibt der Bereichsleiter Pablo Juliá zu Protokoll. Aber gesalzen und gepflügt wird nicht von Ittigen aus. Hier laufen vielmehr die Fäden zu den elf sogenannten Gebietseinheiten zusammen. Diese Einheiten organisieren den Unterhalt der Autobahnen – und besonders auch den Winterdienst. Sie garantieren, dass innerhalb von 30 Minuten der Pikettdienst aufgeboten und ausgerückt ist und zum Beispiel einer plötzlichen Eisglätte zu Leibe rückt. Ob man sich da bei auf eigenes Personal abstützt oder Dritte unter Vertrag nimmt, ist Sache der Kantone, welche die Gebietseinheiten im Rahmen eines Leistungsauftrags mit dem Bund betreiben.

Kochsalz reicht fast immer
Auf kommunalen Gehwegen und auf Kantonsstrassen wird im Kampf gegen die Vereisung immer mal wieder mit Ameisensäure, Splitt oder Harnstoff experimentiert – auf Nationalstrassen setzt der Winterdienst konsequent auf das klassische Natriumchlorid, auch Kochsalz genannt: «Nur in alpinen Zonen und bei speziell ungünstigen Streckencharakteristiken oder Witterungsbedingungen kann es gelegentlich sinnvoll sein, Magnesium- oder Kalziumchlorid einzusetzen», erklärt Juliá. Diese Streumittel sind dann angesagt, wenn die Temperaturen unter minus 20 Grad fallen. Denn bei klirrender Kälte wird herkömmliches Streusalz wirkungslos. Die beiden alternativen Chlorverbindungen sind allerdings nicht nur deutlich teurer, sondern auch aggressiver als NaCl. Damit sie den Fuhrpark des Winterdienstes nicht korrodieren, müssen Fahrzeuge und Gerätschaften nach einem Einsatz sorgfältig abgeduscht werden. Mit solchen Details setzen sich Juliá und seine Kolleginnen und Kollegen aber nicht auseinander. Vielmehr überlässt man den Entscheid über die Wahl der Taumittel und Fahrzeuge den Gebietseinheiten.

Ein Hauch von Salz erhöhtdie Sicherheit
Eine der elf Gebietseinheiten ist die Nationalstrassen Nordwestschweiz AG (NSNW), in der sich die Kantone Aargau, Basel-Landschaft und Solothurn zusammengeschlossen haben. Der Leiter Betrieb, Thomas Leuzinger, setzt praktisch ausschliesslich auf das klassische Streumittel Natriumchlorid: «In unserer Region sinkt die Quecksilbersäule nur selten unter minus 20 Grad», so seine Erklärung.

Innovativ ist die NSNW beim Streumitteleinsatz aber dennoch. So wurde in den letzten Jahren ein sogenanntes Thermalmapping durchgeführt. Als Grundlage dient die Temperaturmessung von 61 Glättemeldeanlagen entlang der 230 Kilometer des Autobahnnetzes, das die NSNW betreut. Weil diese Meldeanlagen aber nur Informationen über ihre unmittelbare Umgebung liefern, wurde das Strassennetz in der Vergangenheit mit Spezialfahrzeugen vermessen. Dabei wurde die Bodentemperatur flächendeckend erhoben, denn je nach Topografie und Umgebung variiert sie enorm: «Gebäude, Wald und Hügel können einen Strassenabschnitt beschatten und die Bodentemperatur sinken lassen», nennt Leuzinger Gründe dafür, weshalb sich die Fahrbahn am einen Ort deutlich über den Nullpunkt aufwärmen kann, während in 100 Meter Distanz Minustemperaturen herrschen.

Wird nun in der Nacht eine Wettersituation erwartet, bei der die Bodentemperatur unter den Gefrierpunkt fällt und die Luftfeuchtigkeit mehr als 75 Prozent beträgt, muss man in den frühen Morgenstunden mit Reifglätte rechnen. Für diese Situation ist der präventive Einsatz ideal: Am Abend davor, nach der Rushhour, rücken vier Sole-Streumaschinen für die breiten Fahrbahnen und sechs Kombi-Streumaschinen für die Anschlüsse aus. «Wir besprühen dann nicht nur die gefährdeten Stellen, sondern bedienen lückenlos die ganzen 230 Kilometer, was in zweieinhalb Stunden erledigt ist», so Leuzinger. Weil das Hightech- Gerät bis zu zwölf Meter weit sprüht und pro Quadratmeter bloss drei Gramm Salz liegen bleiben, kommen pro Präventivfahrt lediglich 20 Kubikmeter Sole respektive 4000 Kilogramm Trockensalz zur Anwendung. Durch die Befahrung nutzt sich dieser Hauch von Salz aber ab. Bleibt die Wettersituation stabil, muss deshalb am nächsten Tag erneut Sole ausgebracht werden.

Prävention entlastet das Winterdienstteam
Trotz präventiver Solesprühung braucht es auch auf dem Perimeter der NSNW AG gelegentlich Schneeräumung und kurzfristige Einsätze gegen Eisglätte. «Dieser Winter war in unserer Region besonders anspruchsvoll, weil es nach dem überdurchschnittlich warmen Januar mehrfach zu spontanen Schneeschauern kam», erzählt Leuzinger. Dabei lasse sich kaum voraussehen, wo und in welcher Menge der Schnee niedergehe – und ob er sich auf der Strasse halte. Dennoch hat sich das Notfallszenario gegenüber früher vor allem bei Eisglätte deutlich entspannt. Denn weil präventiv Sole eingesetzt wird, dauert es bis zur Reifglättebildung deutlich länger oder sie findet in der Regel gar nicht statt. «Deshalb verläuft der Winterdienst vorhersehbar. Die über 100 Mitarbeitenden haben weniger Stress und Alarmeinsätze und sie können auch besser ihre Freizeit organisieren.»

Neophyten, Abfall und Abrieb
Ende März, spätestens im April, ist in der Nordwestschweiz der Winter definitiv passé. Die Fahrzeug-Aufsätze fürs Salzsprühen und Schneeräumen werden abmontiert, gereinigt, gefettet und bis zum Herbst eingelagert. Jetzt stehen die übrigen Arbeiten an: Borte müssen gemäht, Bäume gefällt, Neophyten bekämpft und Sträucher zurückgeschnitten werden. Denn neben den 500 Hektar Fahrbahn und Pannenstreifen besteht das NSNW-Gebiet aus nochmals so viel angrenzender Grünfläche.

Bewältigt werden müssen auch jährlich 500 Tonnen Abfall, die entlang dem Nationalstrassennetz der vier Nordwestschweizer Kantone liegen bleiben und vom NSNW-Team eingesammelt und korrekt entsorgt werden – was Kosten von einer halben Million Franken verursacht. Weniger augenfällig sind Pneuabrieb, Öl und andere feine Stoffe, die mit dem Regenwasser in die Kanalisation der Nationalstrassen gelangen. Das belastete Abwasser muss in den sogenannten Strassenabwasserbehandlungsanlagen neutralisiert werden. Leuzinger: «Wir sind die Abwarte der Autobahn, und eine gut funktionierende Logistik ist für uns unverzichtbar. »

Pieter Poldervaart

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