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Die Technischen Industrien ticken anders

QR-Code auf Bauelement der technischen IndustrieIm vorliegenden Beitrag beschreiben wir die wichtigsten Produktemerkmale der Technischen Industrien, identifizieren die Herausforderungen und stellen mögliche neue Geschäftsmodelle vor.

Produkte der Technischen Industrien umfassen alle Güter oder Dienstleistungen, die zur Produktion oder Weiterverarbeitung von Gütern dienen. Sie unterscheiden sich von den Konsumgütern hauptsächlich durch eine längere Lebensdauer, eine grössere Anzahl von Bauteilen und infolgedessen eine komplexere Lieferkette sowie durch die Notwendigkeit regelmässiger Wartung, Reparatur und Überholung (MRO).

Der Produktlebenszyklus
Vor der Entwicklung eines Investitionsprodukts geht es für den Hersteller vor allem darum, den Betreiber in die Lage zu versetzen, durch die flexible und nachhaltige Gestaltung des Produktlebenszyklus die Lebensdauer im Betrieb flexibel gestalten und somit seinen individuellen Bedürfnissen optimal anpassen zu können.

Der Produktlebenszyklus wird in 13 Phasen unterteilt. Nach der Erarbeitung der technischen Spezifikation innerhalb der Spezifikationsphase werden die weiteren Entwicklungsphasen mithilfe analytischer und experimenteller Werkzeuge (Validierungsprozess) abgearbeitet, um so eines der Projektrisiken zu verringern. Diese Phasen werden, je nach Technologie oder Produktions- Reifegrad (TRL/MRL), in bis zu fünf Phasen unterteilt: Spezifikation (MRL/TRL: 1), Konzept (2–3), Entwurf (4–5), Entwurf Freigabe (6–8), Kommissionierung/Betrieb (8–10). Der Beachtung von Intellectual Property Rights (IPR) kommt dabei besondere Beachtung zu, um die geplante Konstruktion gegen bestehende Erfindungsmeldungen und Nutzungsrechte abzugrenzen.

Die Stammdaten der einzelnen Bauteile werden generiert, um damit die Beschaffungslogistik zu initiieren. Neben der Erfassung der Rohmaterialien und Dienstleistungen kommt hier vor allem dem Qualitäts-, Projekt-, und Risikomanagement eine besondere Bedeutung zu. Sind die Vorstudien zum Start der Fertigung parallel zu den oben genannten Entwicklungsphasen erfolgreich verlaufen, kann die Prototypenproduktion in die Serienproduktion übergehen. Damit werden alle erforderlichen Bauteile auf die Qualitätsabnahme, den Zusammenbau und die Installation beim Kunden vorbereitet. Mit dem Aufbau der Anlage beim Kunden tritt das Produkt in seine entscheidende Phase, da nach Abnahme der erforderlichen Testläufe und Freigaben durch den technischen Gutachter der kommerzielle Betrieb beginnt. Diese Phase stellt den Hauptnutzen für den Betreiber dar und sollte schnell zu einer Amortisierung der Anschaffungskosten führen.

Innerhalb des Produktlebenszyklus kommt der Wartung, Reparatur und Überholung eine immer wichtigere Rolle zu. Neben der schadensabhängigen Wartung gibt es noch die vorbeugende Wartung. Hierbei wird unterschieden zwischen genau definierten Wartungszeitpunkten wie Anzahl Laufzeitstunden oder genau definierten Bedingungen/ Zuständen wie dem Unterschreiten einer minimalen Belagsstärke.


Abb1: Beschreibung Produktlebenszyklus

Komplexität in der Lieferkette 
Ein weiteres Erkennungsmerkmal der Technischen Industrien besteht in der Komplexität von technischen Produkten aufgrund der hohen Anzahl Einzelteile. So bestand ein in den Sechzigerjahren entwickeltes Verkehrsflugzeug aus etwa 360 000 Teilen. Heute besteht das modernste Verkehrsflugzeug der Welt, der Airbus A-380, aus ungefähr 3,5 Millionen Teilen. Diese Komplexität und hohe Anzahl an Einzelteilen spiegelt sich auch in der Lieferkette wider. 70 Prozent der Bauteile des A-380 stammen von 1500 Lieferanten aus 30 Ländern.

Laut einem kürzlich publizierten Report der Allianz-Versicherung werden die Technologien immer spezialisierter. Dies führt zu einer beträchtlichen Erhöhung der Kosten für Reparatur und Austausch. Viele Unternehmen schöpfen jedoch weder das volle Potenzial der Digitalisierung aus, noch nutzen sie die offenen GS1 Standards. Durch saubere Stammdaten kann in einer offenen Lieferkette die Rückverfolgbarkeit dazu genutzt werden, Produktefälschungen eindeutig zu identifizieren und Produktrückrufe umzusetzen. Reduziert wird auch das Sicherheitsrisiko aufgrund nicht zugelassener und nicht gekennzeichneter Fremdprodukte.

Ebenso entfällt die aufwendige Beweispflicht bei eventuellen Haftungsund Gewährleistungsansprüchen nicht autorisierter Teile. Dies ist besonders bei modernen Technologien wichtig, da die Beanspruchung der einzelnen Bauteile aufgrund der besseren Materialausnutzung ständig zunimmt. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass durch die zunehmende Komplexität der Technologien häufig unterschiedliche Designvariationen in derselben Maschine eingesetzt werden. Um den einzelnen Varianten später die Entwicklungskosten und ihre Wirksamkeit zuordnen zu können, ist eine genaue Identifizierung essenziell.

Transparente Lieferketten
Die wichtigsten Gründe für die Verwendung von GS1 Standards in den Technischen Industrien sind jedoch die vielen Vorteile, die sich aus der Neuorientierung des Servicegeschäfts ergeben werden. Zum einen versetzt die offene und transparente Lieferkette den Hersteller in die Lage, aufgrund der jederzeit möglichen Statusanzeige die passenden Ersatzteile zu jedem Zeitpunkt termingerecht an den Endkunden auszuliefern, um damit ungeplante Betriebsunterbrechungen zu vermeiden. In Zusammenhang mit der Anlagenfernwartung könnte dies als zusätzliche Informationsquelle für den Hersteller interessant sein.

Andererseits versetzen die Vorteile einer transparenten Lagerstandanzeige und deren Kontrolle die Hersteller in die Lage, Logistikabläufe im Auftrag des Betreibers zu übernehmen, wodurch sich für den Anlagen-Hersteller eine interessante Verlagerung hin zum Anbieter von Dienstleistungen ergeben könnte. So ist es denkbar, dass die Betreiber in Zukunft die Fertigungsanlagen nicht mehr kaufen, sondern nur für deren Nutzung eine Gebühr entrichten (pay-per-use). Ebenso ist es denkbar, aufgrund der belegbaren Servicegeschichte einen Pool an aufbereiteten Originalteilen zu pflegen, der gezielt an Ersatzteilkunden verkauft werden kann. Im nächsten Beitrag wird der Produktlebenszyklus durch moderne Elemente von IIoT (Industrial Internet of Things) ergänzt. Bleiben Sie also dran, es lohnt sich!

Dr. Uwe Rüdel

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