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«500 Tonnen Sondermüll pro Tag mussten weg»

Der Sondermüll der Deponie in Kölliken ist weggeräumt. Der Swiss Logistics Public Award 2019 von GS1 Switzerland ehrt die ingenieurtechnischen und logistischen Meisterleistungen, wie der Bau eines speziellen Verladeterminals und eine minutiös durchgeführte Chargenrückverfolgbarkeit, die dies möglich machten.

Die schweizweit bekannte Deponie für Sonderabfälle in Kölliken blickt auf eine wechselvolle und spannende Geschichte zurück, die 1870 mit einer Tongrube begann. Diese rückte ins Zentrum des Interesses einer 1974 gegrünentdeten einfachen Gesellschaft aus den beiden Kantonen Aargau und Zürich, der Stadt Zürich und der Basler Chemie (BCI), die intensiv nach einem geeigneten Standort zur geordneten Entsorgung von Sonderabfällen suchte. Nach der Evaluation anderer Gelände schien die ausgeräumte Tongrube offenbar besonders geeignet für die Aufnahme von Sonderabfällen zu sein. Diese stammten aus der Industrie, aus dem Gewerbe und von der öffentlichen Hand. Doch bald erwies sich der Untergrund als undicht und der Giftmüll bedrohte das Grundwasser. Benjamin Müller ist aktueller Geschäftsführer der Sondermülldeponie Kölliken (SMDK), die immer noch als einfache Gesellschaft funktioniert. Er erläutert den damaligen kommunalen Entscheid zur Schliessung: «Ausschlaggebend waren Emissionen wie übler Geruch, Staub oder stinkendes Sickerwasser, das über die Kellerentwässerung in die benachbarten Einfamilienhäuser emporstieg. »

Dem Flickwerk ein Ende setzen
Mit der Schliessung der Deponie 1985 begannen umfassende Sanierungsarbeiten in der Hoffnung, dem Betrieb eine zweite Chance zu geben. Dazu kam es aus politischen Gründen nicht mehr. Zum Zeitpunkt der Schliessung waren bereits 457 000 Tonnen Abfälle eingelagert worden. Man baute Fassungsstollen und stellte bis 2003 eine unternehmenseigene Kläranlage fertig, die weiterhin ihren Dienst tut. Angesichts des ständigen Flickwerks in den Neunzigerjahren, das bereits gegen 150 Millionen Franken gekostet hatte, setzte sich schliesslich bei den Verantwortlichen der Gedanke einer Gesamtsanierung der Anlage durch. In den Worten Müllers: «Nach dem Motto ‹ Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende›.»

Nach einem internationalen Ideenwettbewerb wählte eine Jury drei Vorschläge aus, von denen Machbarkeitsstudien ausgefertigt wurden. Resultat des Siegerprojekts war die während Jahren unübersehbare riesige Fachwerkskonstruktion entlang der Autobahn zwischen Zürich und Bern. Diese hatte den Zweck, den kontaminierten «schwarzen» Bereich vom sauberen «weissen» Aussenbereich abzuschotten. Die Fachwerkbögen mussten den künstlich erzeugten Unterdruck auf die Dachplatten, ebenso maximale Windund Schneelast aufnehmen.

Zentraler Bestandteil der Gesamtsanierung der Deponie war eine minutiös geplante Entsorgungslogistik, die 2019 mit dem Swiss Logistics Public Award von GS1 Switzerland ausgezeichnet wurde.

Ein einfaches Konzept
Nicht nur die Gesamtplanung, sondern auch die Ausführung der Bergungsarbeiten musste ausgeschrieben werden. Die hochkontaminierte Ware in Fässern oder Big Bags, welche in Schichten von Kehrichtschlacken aufgereiht waren, stellte die Beteiligten vor grosse Herausforderungen. Es stellte sich heraus, dass jedes einzelne Fass sorgfältig ausgegraben werden musste. Über den gefährlichen Inhalt der Fässer wusste man nur ungefähr Bescheid – mithilfe einer Datenbank, die Einlagerungen mit einer Genauigkeit eines Zehn-Meter-Rasters registrierte. «Vor Überraschungen war man nicht gefeit. Erst beim Öffnen eines Fasses wurde jeweils klar: Sind hier irgendwelche Putzlappen eingepackt oder Magnesiumspäne, die sich an der Luft spontan entzünden können?», schildert Müller.

Ursprüngliche Varianten zur Umsetzung der innerbetrieblichen Logistik sahen den Einsatz moderner Fördermittel wie Rollenbänder oder den Bau eines Hochregallagers im Lagerbereich des kontaminierten Areals vor. «Die Unternehmervariante, die zum Zug kam, stellte ein sehr stark vereinfachtes Konzept vor. Die Gewinner der Ausschreibung pokerten richtig, da sie ahnten, dass die Fässer nicht für einen automatischen Prozess taugten. Tatsächlich waren nur etwa 10 Prozent der eingelagerten Fässer unbeschädigt.»

Trennung schwarz/weiss
Ein Werkfilm lässt die schwierigen Arbeiten im hochkontaminierten Bereich nur erahnen. Darauf zu sehen sind klimatisierte Fahrzeuge mit eigener Luftversorgung. Baggerführer hatten mit grosser Geschicklichkeit mit Greifern den Spannring eines Fasses zu öffnen und dieses in eine offene Wanne zu platzieren. Jeder einzelne Inhalt musste vom Labor beprobt werden. Im sogenannten schwarzen Bereich war man ansonsten nur mit Schutzanzügen und Atemschutzflaschen unterwegs.

«Die grosse Herausforderung bestand darin, mindestens 500 Tonnen kontaminierte Ware pro Tag so zu beladen, dass Reinigungsarbeiten an Behältern wegfielen und dass der teilweise hochgiftige Müll unter keinen Umständen in die Umwelt gelangte», so Benjamin Müller. Zum Einsatz kamen speziell entwickelte gefahrenguttaugliche Container, die, mit Druckpendelsystem und Aktivkohlefilter ausgerüstet, auch bei einem schweren Verkehrsunfall noch dichthalten mussten.

Eine spezielle Schleuse wurde zur Trennung der schwarzen und der weissen Zone angefertigt. Vor dem Beladungsvorgang wurde ein spezieller Kragen abgesenkt. Im nächsten Schritt hob man den Deckel des Containers weit in den «Schwarzbereich» der Halle hoch. Anschliessend wurde der Container auf Schienen über einen Trichter mit Sonderabfällen befüllt. So war gewährleistet, dass der Sondermüll bei der Verpackung und Ausschleusung in den Weissbereich nicht in die unbelastete Umwelt gelangte.

Rückverfolgbarkeit
Vom Verlad gelangten die Container auf Eisenbahn-Flachwagen und Schiff in Sonderabfallverbrennungsanlagen in den Niederlanden oder in Deutschland. In Vorbereitung sicherer Entsorgungswege musste die SMDK eine lückenlose Chargenrückverfolgbarkeit gewährleisten, die mithilfe einer schrittgesteuerten Datenbank bewerkstelligt wurde. Festgehalten wurden der Zeitpunkt des Abbaus eines Fasses aus der Deponie, Analyseresultate aus der Laboruntersuchung, die Bildung transportfähiger Chargen desselben Materials, der Verlad in die Gefahrengutcontainer und schliesslich die Ankunft der Ware in den Verbrennungsöfen.

Das Bundesamt für Umwelt wiederum kontrolliert, registriert und bewilligt generell Transporte von Abfällen ins Ausland. Ausserdem vollzog die SMDK einen unterbrechungsfreien Verlad des Gefahrenguts, womit sich Zwischenlagerung vermeiden liess. Aus Redundanz- und Kapazitätsgründen wurden mehrere Anlagen angefahren.

Raumplanerisch ein weisser Fleck
Seit die gewaltige Stahlkonstruktion von 280 Metern Länge und einer Spannweite von 175 Metern vollständig demontiert worden ist, gibt es vor Ort nur noch terrassierte Kiesschichten zu sehen. Seit 2018 befindet sich die Deponie in der Nachsanierungsphase. Die Sanierung gilt erst als abgeschlossen, wenn das Grundwasser die von den Behörden vorgegebenen Werte erreicht – was in einigen Jahren der Fall sein wird.

Bereits ringen Vertreter der Landwirtschaft und des Naturschutzes um die Zukunft des Areals. Der Streit hat einen amüsanten Grund: Die Deponie Kölliken ist bis zum heutigen Tag als einziger weisser Fleck im Kanton Aargau raumplanerisch nie einer Zone zugeteilt worden.

Manuel Fischer  

Zahlen und Fakten
Rückbaumenge
Deponieinhalt (Abfälle) 513 996 Tonnen
Deponieabdeckung (Deckschicht) 104 704 Tonnen
Deponiesole (Fels) 45 403 Tonnen
Total  664 103 Tonnen

Thermische Bodenbehandlung
Kontaminierte Erde und Steine (Kies, Sand, Schlacke) 55,2 %

Sonderabfallverbrennung
Sonderabfälle (stark kontaminierte Materialien) 11,1 %

Kehrichtverbrennung regulär
Papier, Kunststoff, Holz  0,7 %

Recycling
Batterien  0,3 %
Metalle  0,6 %

Deponien
Schwach belastetes Bodenmaterial  32,1 %

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