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«Die Zahl derjungen KäuferInnen nimmt ab.»

Thomas Schweizer, Direktor Textilverband SchweizDer Textilverband Schweiz ist der Gesamtverband der schweizerischen Textil und Bekleidungsindustrie. Er wahrt und fördert die Interessen seiner Mitglieder.GS1 network traf Verbandsdirektor Thomas Schweizer zum Gespräch.

GS1 network: Wie ist der TVS strukturiert und organisiert? Wie viele Firmen sind im Verband aktuell zusammengeschlossen?
Thomas Schweizer: Der Textilverband Schweiz (TVS) ist 1992 aus der Fusion zwischen dem Gemeinschaftsverband Textil (GVT) und dem Verband der Arbeitgeber der Textilindustrie (VATI) entstanden. Danach wurden alle Unterverbände (Stickerei, Veredlung, Teppichfabrikanten usw.) sowie der Bekleidungsverband Swissfashion in den TVS integriert. Heute ist die gesamte Textil- und Bekleidungsindustrie unter einem Dach vereint. Der TVS unterhält zwei Geschäftsstellen, eine in Zürich, die andere in St. Gallen. Die Ressorts Finanzen, Arbeitgeber- und Sozialpolitik sowie PR und Kommunikation befinden sich in Zürich, die Ressorts Wirtschaft und Statistik, Aus- und Weiterbildung, Umwelt und Energie sowie Technologie und Forschung in St. Gallen. Der TVS hat zurzeit 178 ordentliche und 61 Sondermitglieder. Die Anzahl der Mitglieder ist nur leicht abnehmend, jedes Jahr kommen neue dazu.


Welches Selbstverständnis liegt dem TVS zugrunde? Versteht er sich primär als externe Lobby-Organisation?
Einerseits sind wir ein kompetenter Partner von Politik, Behörden, Spitzenverbänden und Öffentlichkeit und sorgen dafür, dass die Anliegen der Textil- und Bekleidungsindustrie in geeigneter Form aufgenommen werden. Andererseits bieten wir Lösungen an für die individuellen Probleme unserer Mitgliedfirmen. Da die Grundausbildung von Lernenden die Basis der Textil- und Bekleidungsindustrie darstellt, engagieren wir uns auch in diesem Bereich.


Wo liegen derzeit, im Herbst 2011, die inhaltlichen Schwerpunkte der TVS-Tätigkeit?
Zum jetzigen Zeitpunkt liegt der Schwerpunkt eindeutig in den Massnahmen gegen die Frankenstärke, ist doch die Textil- und Bekleidungsindustrie als Exportindustrie stark davon betroffen. Wir setzen uns an verschiedenen Stellen ein, um die Exportmöglichkeiten der Mitgliedfirmen zu verbessern. Weitere Kernthemen sind die Energie- und Klimapolitik.


Wie hat sich die Eurokrise (bzw. die Frankenstärke) dieses Jahr auf die Schweizer Textilindustrie ausgewirkt?
Die Frankenstärke hat die Textil- und Bekleidungsfirmen, die eine hohe Exportquote haben, stark beeinträchtigt. Auf der einen Seite sind schweizerische Textilien und Bekleidung für viele Kundinnen und Kunden zu teuer geworden, was sich auf die Ausfuhren negativ ausgewirkt hat. Zudem sind die Margen, die ohnehin nicht sehr hoch waren, erodiert. Damit hat sich die finanzielle Situation vieler Firmen verschlechtert. Im internationalen Umfeld hat die Konkurrenzfähigkeit gelitten.


Welche europapolitischen Rahmenbedingungen wären für die Schweizer Textilindustrie am nützlichsten: EUBeitritt? Ausbau der bilateralen Verträge? Kündigung der bilateralen Verträge? Status quo?
Die EU stellt für die Schweizer Industrie den wichtigsten Absatz- und Beschaffungsmarkt dar. Der grösste Teil der Exporte geht in die EU-Staaten. Die Importe aus der EU sind ebenfalls bedeutend. Dem ist Sorge zu tragen. Übereilte Aktionen wären da fehl am Platz. Die Schweiz sollte sich Europa weiter annähern, aber nicht um jeden Preis. Ein Beitritt zur EU steht im heutigen Zeitpunkt nicht zur Diskussion. Politisch gesehen ist ein solcher Schritt nicht mehrheitsfähig, eine Volksabstimmung kaum zu gewinnen. Ein Beitritt zum EWR ist sicherlich prüfenswert, würde doch damit der Marktzugang der Schweizer Unternehmen in die EU-Länder wesentlich verbessert. Dieser Weg müsste hinsichtlich der wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen genau unter die Lupe genommen und dem Bilateralismus gegenübergestellt werden. Solange sich ein EWR-Beitritt nicht aufdrängt, ist der erfolgreiche bilaterale Weg weiter zu beschreiten.


Wie beurteilen Sie die gegenwärtigen innenpolitischen Rahmenbedingungen für die Schweizer Textilindustrie?
Die Rahmenbedingungen sind im internationalen Vergleich, von einigen Ausnahmen abgesehen, immer noch gut. Wir müssen aber Sorge dazu tragen und diese nicht verschlechtern. Eine weitere Verteuerung der Arbeitskosten hätte negative Auswirkungen auf die Beschäftigung.


Sie differenzieren zwischen Textilien und Bekleidung: Die Wertschöpfung der Textilien steigt, diejenige der Bekleidung sinkt. Warum sind diese Entwicklungen unterschiedlich?
Es handelt sich hier um einen Frühindikator. Wenn der Motor ins Stocken gerät, sinkt die Wertschöpfung der Sparte Textilien zuerst, erholt sich jedoch rascher als diejenige der Sparte Bekleidung. Die Wertschöpfung der Bekleidungsindustrie hinkt somit etwas hinterher.


Welche Zukunft hat Ihrer Meinung nach die Schweizer Textilindustrie kurzfristig und langfristig?
Kurzfristig wird sich die Anzahl der Beschäftigten weiter reduzieren. Danach wird es zu einer Stabilisierung kommen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass ein Teil des Personalabbaus auf Produktivitätssteigerungen zurückzuführen ist. Langfristig werden die technischen Textilien vermehrt in den Vordergrund treten, zu Lasten der Bekleidungstextilien. Sollte die Politik mit der Ökologisierung der Gesellschaft weiterfahren, dürften die Chancen für den Produktionsstandort Schweiz ebenfalls wachsen.


Wo liegen heute die hauptsächlichen Wachstumsmärkte der Textilindustrie?
Die ohnehin komplexe und dynamische Wertschöpfungskette der Textil- und Bekleidungsindustrie untersteht einem Wandel, der sich mehr denn je auf die Unternehmensstrategie auswirkt. Der Beschaffungsmarkt ist geprägt vom enormen Anstieg der Roh stoffpreise – insbesondere des Preises für Baumwolle – aufgrund des weltweit eingeschränkten Angebots. Die Beschaffung gewisser Vormaterialien aus dem EU-Raum ist aufgrund von Produktionsauslagerungen nicht mehr möglich. Die veränderten Preise und Handelsmodalitäten zwingen die Unternehmen der Textil- und Bekleidungsindustrie, die Beschaffungsstrategie zu überdenken.

Auch der Absatzmarkt stellt neue Herausforderungen an die Unternehmen. Der demografische Wandel bewirkt, dass die Zahl der modebewussten jungen Käuferinnen und Käufer in den Industriestaaten abnimmt. Auf der anderen Seite bedeuten die steigenden Löhne in einigen Schwellenländern und das damit einhergehende Wachstumspotenzial im höheren Preissegment auch eine Chance. Die Wachstumsmärkte dürften sich mittel- bis langfristig Richtung Asien und Südamerika verschieben.


Was kann der TVS langfristig zur positiven Entwicklung der Schweizer Textilindustrie beitragen? Müsste er andere Schwerpunkte setzen?
Der Textilverband wird sich vermehrt dafür einsetzen, dass die zurzeit vorteilhaften Rahmenbedingungen in der Schweiz nicht verschlechtert werden, damit die De-Industrialisierung nicht weiter voranschreitet. Die Schweiz braucht eine starke Industrie. Die individuellen und kollektiven Dienstleistungen werden regelmässig darauf überprüft, ob sie noch aktuell sind. Bei fehlender Nachfrage werden Dienstleistungen gestrichen und durch neue ersetzt.

Die Fragen stellte Bernhard Stricker.

 

Angaben zur Person

Dr. Thomas Schweizer (Jahrgang 1956) hat an der Universität Zürich studiert und mit Dr. iur. abgeschlossen. Seit 1992 ist er beim Textilverband Schweiz tätig, seit 1999 als Direktor. Seine Hobbys sind Reisen, Fotografie und Sport.

 

Fakten und Zahlen zur Schweizer Textilbranche 2010

  • Wertschöpfung der gesamten Textilbranche
    1,14 Milliarden Franken (Chemiefaserproduktion, Spinnereien, Webereien, Veredlung, Stickereien, Heimtextilien und Bekleidung)
    Textilindustrie: 0,87 Milliarden Franken
    Bekleidungsindustrie: 0,27 Milliarden Franken
  • Anzahl Beschäftigte
    Textilindustrie: 8800
    Bekleidungsindustrie: 5000
  • Grösste Abnehmerländer für Textilien und Bekleidung
    Deutschland, Italien, Frankreich, Österreich, USA, Japan und Belgien 75,6 Prozent der Textil- und 62,8 Prozent der Bekleidungsprodukte gehen in EU-Staaten
  • Marktsegmente Textilindustrie gemessen an Exportzahlen
    Andere: 32,9 Prozent (Spinnstoffe, Garne, Gewebe/Gewirke, spezielle Flächengebilde)
    Heimtextilien: 5,3 Prozent
    Technische Textilien: 20,1 Prozent
  • Marktsegmente Bekleidungsindustrie gemessen an Exportzahlen
    Oberbekleidung: 35,5 Prozent
    Unterbekleidung: 5,3 Prozent Bekleidungszubehör, z. B. Krawatten: 6,2 Prozent
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